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Vergesslichkeit und Dauerstress: So hängt es zusammen


Körper in Alarmbereitschaft
Wodurch wir immer vergesslicher werden


08.07.2024Lesedauer: 4 Min.
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Gestresst wirkende junge Frau vor ihrem Computer, im Hintergund KollegenVergrößern des Bildes
Permanenter Stress kann sich auf die Gedächtnisleistung auswirken. (Quelle: fizkes/getty-images-bilder)

Dauerstress versetzt den Körper in Alarmbereitschaft. Stehen wir unter Druck, können wir nicht mehr klar denken – und werden immer vergesslicher.

Akuter Stress mobilisiert kurzzeitig unsere Energiereserven und macht den Körper leistungsfähig und reaktionsbereit. Anhaltender Stress hingegen setzt der körperlichen und psychischen Gesundheit zu. Nicht nur das Risiko für Erkrankungen steigt. Auch die Gehirnleistung reduziert sich: Konzentration und Lernfähigkeit nehmen ab, Vergesslichkeit nimmt zu.

Bei Stress schaltet der Körper in den Überlebensmodus

Registriert der Körper Situationen als bedrohlich, überfordernd oder beängstigend, gerät er in Alarmbereitschaft und schüttet Stresshormone wie Adrenalin, Noradrenalin und Cortisol in größeren Mengen aus. Dies dient der Vorbereitung auf Kampf oder Flucht. Auf diese Weise ist es möglich, rasch auf die Herausforderung der Stresssituation zu reagieren. Ab wann sich ein Mensch gestresst oder in einer Situation überfordert oder gar bedroht fühlt, ist individuell verschieden. Jeder hat seine persönliche Belastungsgrenze.

"Bei akutem Stress beginnt das Herz schneller zu schlagen, der Atem beschleunigt sich, mehr Sauerstoff wird aufgenommen, der Blutdruck steigt, Glukose wird bereitgestellt und die Muskeln spannen sich an. Auch die Aufmerksamkeit ist fokussiert. Wir sind hoch konzentriert, um gezielt auf eine mögliche Gefahr reagieren zu können", erklärt Dr. Andreas Hagemann, Facharzt für Psychiatrie und Psychotherapie und Ärztlicher Direktor der unter anderem auf Burn-out und Stresserkrankungen spezialisierten Privatkliniken Duisburg, Eschweiler und Merbeck.

Dr. Andreas Hagemann
Dr. Andreas Hagemann (Quelle: privat)

Zur Person

Dr. Andreas Hagemann ist Facharzt für Psychiatrie und Psychotherapie und Ärztlicher Direktor der unter anderem auf Burn-out und Stresserkrankungen spezialisierten Privatkliniken Duisburg, Eschweiler und Merbeck.

Akuter Stress und das Gehirn

Unter akutem Stress können Menschen viel leisten: etwa die schwierige Klausur schaffen, einen Vortrag meistern, das Projekt unter Zeitdruck erfolgreich zu Ende bringen, viele Termine gut koordinieren oder andere private und berufliche Herausforderungen stemmen. Doch die Leistungsfähigkeit hat ihre Grenzen. Wird der Stress zu groß, besteht das Risiko eines Zusammenbruchs oder Blackouts. Der ein oder andere hat es vielleicht schon einmal erlebt: Plötzlich ist der Kopf leer und man kann auf das Wissen nicht mehr zugreifen. Oder es kommt zu unerwarteten emotionalen Reaktionen mit Weinen oder Wut.

Je nach Stressintensität sind verschiedene Gehirnbereiche besonders aktiv oder eben eingeschränkt. "Je stärker das individuelle Stresslevel ist, desto näher bewegen wir uns, vereinfacht ausgedrückt, in Richtung des limbischen Systems, auch Reptiliengehirn genannt, dem ältesten Bereich des Gehirns. Dort werden die Überlebensfunktionen gesteuert. Einmal in diesem Notfallmodus angekommen, können wir nicht mehr klar denken und entscheiden – und auch Situationen nicht mehr klar einschätzen", erklärt Hagemann. "Wir reagieren, statt bewusst zu handeln. Statt den Vortrag auf der Bühne zu präsentieren, kann es passieren, dass wir aus dem Stressimpuls heraus von der Bühne rennen, ehe wir wissen, was wir tun."

Vergesslichkeit bei Dauerstress

Nicht nur unter akutem Stress kann es passieren, dass eine Person nicht mehr auf ihr Wissen zugreifen kann. Auch Dauerstress setzt der Gehirnleistung zu. Unter anhaltender Belastung wird der Mensch vergesslicher. Die Konzentration lässt nach. Die Aufmerksamkeit sinkt und die Reaktionsfähigkeit ist verlangsamt. In der Folge gehen Termine vergessen, Fehler schleichen sich vermehrt ein, Aufgaben werden nicht mehr erinnert und man reagiert zunehmend mit Unruhe, Gereiztheit und Gedankenkreisen. Ebenso können Schlafprobleme, Verwirrung, Antriebslosigkeit und geistige Erschöpfung auftreten.

Bleibt das enorme Stresslevel weiter bestehen und kann sich der Körper nicht regenerieren, können sich psychische Krankheiten wie Angst- und Panikzustände, Burn-out und Depressionen entwickeln. "Auch von diesen Krankheitsbildern ist bekannt, dass sie auf die Gehirnleistung einwirken und Vergesslichkeit fördern können – und zudem die Ausschüttung von Stresshormonen weiter ankurbeln", sagt Hagemann. "Gefühle von Überforderung, Hilflosigkeit, Kontrollverlust und Angst wirken wie Stressverstärker auf das Nervensystem. Je mehr Stresshormone im Blut zirkulieren, desto weniger können wir die Aufmerksamkeit konzentriert auf das Außen richten."

Kann Stress das Gehirn anhaltend verändern?

Nicht nur psychische Krankheiten drohen, wenn Menschen Dauerstress ausgesetzt sind. Unter Stress steigt unter anderem das Risiko für vermehrte Infekte, Autoimmunerkrankungen, Herz-Kreislauf-Erkrankungen und Diabetes mellitus. Sogar Nervenzellen im Gehirn können absterben, sodass in Untersuchungen eine Minderung der Hirnsubstanz im sogenannten Hippocampus nachgewiesen werden konnte. Ergebnisse verschiedener Studien deuten darauf hin, dass starker, anhaltender Stress möglicherweise Demenzerkrankungen begünstigt.

"Man vermutet als einen Einflussfaktor die vermehrte Ausschüttung von Stresshormonen. Beispielsweise können Glucocorticoide wie Cortisol Wachstums- und Regenerationsfaktoren hemmen, die Bildung entzündungsfördernder Botenstoffe anregen und Nervenschädigungen verursachen", sagt Hagemann. Werden unter Stress zudem schädigende Substanzen, etwa Zigaretten und Alkohol, konsumiert, wirkt sich das ebenfalls schädigend auf das Gehirn aus.

Raus aus der Stressspirale

Nur bewusst wahrgenommener Stress lässt sich reduzieren. Aufmerksam werden sollte eine Person, wenn zunehmend Gefühle von Überlastung und Überforderung in den Vordergrund rücken und sie kaum Zeit für sich findet. Auch, wer sich immer öfter gehetzt und angespannt fühlt, sollte versuchen, Stress abzubauen. Neben Erholungszeiten sowie einer Veränderung der Stress auslösenden Lebenssituation spielen Entspannungsmethoden und Bewegung eine bedeutende Rolle bei der Stressreduzierung. Der Körper kann Stresshormone abbauen und zugleich entspannende Hormone freisetzen, darunter Serotonin und Dopamin.

Verschlechtere sich das Allgemeinbefinden und komme jemand aus eigener Kraft nicht aus der Belastungsspirale heraus, sollte man sich Hilfe holen, rät der Experte. Der erste Kontakt könne der Hausarzt sein. Dieser überweise bei Bedarf zu einem Psychotherapeuten, Psychiater oder Psychologen.

Transparenzhinweis
  • Die Informationen ersetzen keine ärztliche Beratung und dürfen daher nicht zur Selbsttherapie verwendet werden.
Verwendete Quellen
  • internisten-im-netz.de: "Stress". Online-Information des Berufsverbands Deutscher Internistinnen und Internisten e. V. (BDI). (Stand: Aufgerufen am 28. Juni 2024)
  • bmz.de: "Resilienz". Online-Information des Bundesministeriums für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung. (Stand: Aufgerufen am 28. Juni 2024)
  • gesundheitsinformation.de: "Wie funktioniert das Nervensystem?". Online-Information des Instituts für Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen (IQWiG). (Stand: 5. April 2023)
  • gesund.bund.de: "Stress: Auswirkungen auf Körper und Psyche". Online-Information des Bundesministeriums für Gesundheit. (Stand: 31. Januar 2022)
  • gesund.bund.de: "Entspannungsmethoden: Welche Techniken gegen Stress helfen können". Online-Information des Bundesministeriums für Gesundheit. (Stand: 18. Januar 2022)
  • leitbegriffe-bzga.de: "Stress und Stressbewältigung". Online-Information der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung (BZgA). (Stand: 7. Januar 2022)
  • ncbi.nlm.nih.gov: "High Cortisol and the Risk of Dementia and Alzheimer’s Disease: A Review of the Literature". Online-Information der National Library of Medicine. (Stand: 2019)
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