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Zum journalistischen Leitbild von t-online.Kinderarzt klärt auf So gefährlich ist Omikron für Kinder
Mit der Omikron-Welle steigen auch die Infektionszahlen unter den Kleinsten dramatisch an. Bleibt der Verlauf auch für sie eher leicht? Zahlen aus dem Ausland beunruhigen, doch ein Mediziner klärt auf.
Bereits, als die Omikron-Variante sich in Südafrika ausbreitete, schlugen erste Experten Alarm: Es schien so, als greife die Mutante vor allem Kinder und Jugendliche stärker an, als es von bisherigen Varianten des Coronavirus bekannt war.
Bereits Ende Dezember 2021 konnten erste Studien diese Befürchtungen allerdings relativieren. Der Kinderarzt Holger Röblitz erklärt im Interview mit t-online, warum Omikron nicht das dringendste Problem für Kinder und Jugendliche ist.
Was zeigen die aktuellen Zahlen?
Das Robert Koch-Institut (RKI) fasst wöchentlich die Entwicklung der Corona-Zahlen und ihre Bedeutung zusammen. Im aktuellen Wochenbericht vom 3. Februar zeigt sich, dass in der akuten vierten Corona-Welle unter der Omikron-Variante vor allem die Altersgruppen unter 60 Jahren betroffen sind.
Bei den Kindern zwischen fünf und 14 Jahren stiegen die Inzidenzen sehr früh bereits über 900 oder sogar 1.000 Neuinfektionen binnen einer Woche pro 100.000 Kinder. In der vierten Januarwoche lag der Altersdurchschnitt aller Corona-Infizierten demnach bei 30 Jahren.
Holger Röblitz, der als Kinderarzt in Berlin arbeitet, erklärt dazu im Interview mit t-online, dass er und seine Kollegen bereits seit Anfang Dezember vergangenen Jahres merken, dass sich sehr viel mehr Kinder infizieren.
"Die Labore arbeiten schon lange an der Kapazitätsgrenze und können daher nicht umfangreich sequenzieren," schränkt Röblitz ein, "also die genaue Variante von SARS-CoV-2 bestimmen. Jedoch gehe ich davon aus, dass es seit Dezember größtenteils Omikron-Fälle sind."
Holger Röblitz ist Facharzt für Kinder- und Jugendmedizin, Allergologie und Kinderpneumologie. Als Spezialist für Allergien und Lungenerkrankungen im Kindes- und Jugendalter kümmert er sich in seiner Praxis in Berlin-Köpenick neben seinen Spezialgebieten zusammen mit seinen Kolleginnen auch um die ganz normalen kinderärztlichen Belange, wie beispielsweise das Impfen.
Allerdings gibt es mittlerweile auch erste Studien, die zeigen, dass Corona-Schnelltests bei Kindern weniger sichere Ergebnisse anzeigen als bei Erwachsenen. Auch das kann sich natürlich auf die Zahlen niederschlagen.
Röblitz erklärt dazu, dass es natürlich wesentlich schwieriger sei, eine gute Probe zu entnehmen, je jünger das Kind sei. "Es ist für alle Beteiligten nicht angenehm, bei einem Kleinkind einen tiefen Rachenabstrich zu entnehmen, bis es zum Würgereiz kommt", stellt Röblitz klar. Daher müsse man, wie bei jeder anderen Untersuchung auch, immer darauf achten, welche zusätzlichen Erkenntnisse zu gewinnen sind.
Auf der anderen Seite sei die Viruslast häufig deutlich geringer bei den Kindern, da sie im Allgemeinen auch weniger Symptome aufweisen. Deshalb sei eine gute Probenentnahme wichtig, um keine falsch negativen Ergebnisse zu erhalten, nur weil nicht tief genug abgestrichen wurde.
Hinzu komme, dass viele Schnelltests – beispielsweise in Testzentren oder Schulen – nicht richtig, beispielsweise zu kalt, gelagert werden und dann falsch positiv sind. "Dies zieht dann wiederum einen riesigen Rattenschwanz an Nachkontrollen und Testen mit sich."
Wie problematisch ist die Situation in Kitas und Schulen?
Seit Jahresbeginn gibt es laut RKI wieder deutlich mehr Corona-Ausbrüche in Kitas, in der zweiten Januarwoche gab es mit 334 Ausbrüchen die höchste Zahl an Ausbrüchen binnen einer Woche seit Pandemiebeginn. In den vergangenen vier Wochen waren es 609 Ausbrüche in Kitas.
An den Schulen zeigt sich ein ähnliches Bild: Auch hier steigen die Zahlen seit Jahresbeginn stark an. In den vergangenen vier Wochen hat es 754 Ausbrüche an Schulen gegeben. Den größten Anteil an den Infektionen haben Kinder zwischen sechs und zehn Jahren mit 48 Prozent.
Auffällig ist auch: In den Kitas scheinen vor allem die Erzieherinnen Überträger des Virus zu sein, während in den Schulen die Lehrer weniger betroffen sind.
Wie viele Kinder landen mit Covid-19 im Krankenhaus?
Seit Omikron das Infektionsgeschehen zunehmend dominiert, sinkt die Zahl der Hospitalisierungen unter den Corona-Infizierten insgesamt. In den vergangenen Wochen stieg die Zahl in der Altersgruppe der 0- bis 34-Jährigen, die meisten Covid-Patienten im Krankenhaus sind jedoch 60 Jahre oder älter.
Aus den USA oder auch Großbritannien kamen hingegen besorgniserregende Meldungen: Dort soll es vermehrt Einlieferungen von Kindern mit Covid-19 in den Kliniken gegeben haben. Und auch in Deutschland steigen die Zahlen auf den Kinder-Intensivstationen seit Dezember deutlich an, wie Daten der Deutschen Interdisziplinären Vereinigung für Intensiv- und Notfallmedizin zeigen:
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Demnach lagen im November noch rund zehn bis 15 Kinder mit Covid-19 auf den Intensivstationen im Land. Mittlerweile sind es an einigen Tagen mehr als 35. Insgesamt bildet die Gruppe der 0- bis 17-Jährigen allerdings mit nur 1,7 Prozent immer noch den kleinsten Anteil der intensivpflichtigen Covid-Fälle. Bei den 18- bis 29-Jährigen sind es nur etwa 1,9 Prozent.
Auch Holger Röblitz kann beruhigen: "Die allermeisten Kinder sind ganz normal krank – ja es sind viele, das ist im Januar und Februar jedoch erst einmal nichts Ungewöhnliches." Aber er räumt ein: "Aufgrund der Vielzahl der Erkrankten steigt auch die Zahl der Kinder, die im Krankenhaus behandelt werden müssen." Dennoch seien die Intensivstationen aktuell noch nicht stark überfüllt mit Kindern.
Allerdings seien einige Kinderstationen im Laufe der Pandemie umfunktioniert worden, sodass dort nun Erwachsene behandelt werden. Hinzu komme das ohnehin verstärkte Personalproblem in den Kliniken.
Somit entstand eine Knappheit an stationären Behandlungsmöglichkeiten für Kinder und Jugendliche insgesamt und dadurch könnten nun all die anderen Erkrankungen, die ja nicht weniger geworden sind, oftmals nicht im gleich guten Maße versorgt werden wie vor der Pandemie.
Wie gefährlich ist Omikron für Kinder?
Omikron führt zwar zu leichteren Verläufen, besonders betroffen sind allerdings weiterhin diejenigen, die noch nicht geimpft oder genesen sind. Zu dieser Gruppe zählen auch Kinder, für die teilweise noch gar keine Impfung zugelassen ist. Dazu erklärten die Deutsche Gesellschaft für Kinder- und Jugendmedizin und die Deutsche Gesellschaft für Pädiatrische Infektiologie bereits Ende 2021: "Es ist zu erwarten, dass sie sich häufiger infizieren werden als andere Altersgruppen."
Das bestätigt auch Röblitz, der allerdings auch erklärt, die Kinder entwickeln größtenteils "die ganz typischen Symptome: ein bisschen Fieber, ein bisschen Kränkeln, Halskratzen, Kopfschmerzen – meist ist nach etwa einer Woche alles wieder gut."
Und er betont: "Die sind alle nicht schwer krank." Ohne Pandemie und Tests wären es in den meisten Fällen Symptome einer Erkältung oder Infektion der oberen Atemwege. Obwohl sich mehr Kinder mit Omikron infizieren, habe die Schwere der Krankheit nicht zugenommen.
Die größte Komplikation, die generell bei einer Corona-Infektion bei Kindern auftreten kann, ist laut Röblitz aber immer noch das sogenannte Pims-Syndrom, das Kinder schwer krank machen kann. Ob dieses Syndrom auch durch Omikron verursacht wird, werde sich wohl erst nach Ostern zeigen, schätzt der Kinderarzt.
Pims-Syndrom
Die Abkürzung Pims steht für "Pediatric Inflammatory Multisystem Syndrome", also ein Entzündungssyndrom, das bei Kindern nach Viruserkrankungen wie Covid-19 auftritt. In schweren Fällen kann Pims zu Schäden an den Organen führen. Beruhigend allerdings: Pims ist gut behandelbar.
Droht den Kindern unter Omikron Long Covid?
Auch bei der Frage nach Langzeitfolgen oder Post- sowie Long Covid kann Kinderarzt Holger Röblitz beruhigen. "Das sehen wir momentan noch nicht." Bei den hohen Erkrankungszahlen müssten mittlerweile die Folgeerkrankungen wie Entzündungssyndrome auftreten. "Das sehen wir momentan nicht in dem Ausmaß, wie es zu erwarten gewesen wäre." Das spreche dafür, dass die Erkrankungsschwere nicht zugenommen habe.
Allerdings sei es bei Kindern schwieriger abzugrenzen, wann es sich um Long Covid oder Spätfolgen der Infektion handelt. Dass die Lunge im Anschluss lebenslang geschädigt ist, sei bei Kindern jedoch ziemlich sicher nicht zu sehen. Die neurologischen Ausfallerscheinungen, die typisch für Long Covid bei Erwachsenen sind, seien jedoch bei Kindern nicht so leicht festzustellen.
Viel auffälliger hingegen seien psychische sowie körperliche Reaktionen der Kinder und Jugendlichen auf die Corona-Maßnahmen, welche seit mehr als zwei Jahren das Leben von Familien extrem belasten. "Dass Sie nicht zur Schule gehen, keinen Sport treiben, ihre Freunde nicht treffen können: Daran leiden die meisten Kinder in meinen Augen stärker und nachhaltiger als unter einer Covid-Infektion." Deshalb glaubt Röblitz, mit vielen Maßnahmen werde bei den Kindern sehr viel mehr Schaden angerichtet als durch die Infektion selbst.
Wie können die Kinder nun geschützt werden?
Grundsätzlich gelten für den Schutz der Kinder und Jugendlichen natürlich die gleichen Möglichkeiten wie bei Erwachsenen auch: Hygieneregelungen, Abstand, FFP2-Masken und Impfungen schützen vor einer Infektion mit dem Virus. Und auch Kontakte können verringert werden, um das Risiko zu minimieren.
Allerdings gibt es vor allem für kleinere Kinder noch keinen zugelassenen Corona-Impfstoff – zudem sei der individuelle Nutzen für die Kinder sehr gering, erklärt Röblitz.
Momentan sei der größte Nutzen für die Familien die Erleichterung im Alltag durch weniger Tests und mehr Reise- und Freizeitmöglichkeiten. "Zunächst einmal sollten sich alle Eltern und Großeltern impfen oder auch boostern lassen", betont er. Aber natürlich impfe er Kinder, wenn es der Wunsch der Eltern sei. "Dem stehen wir natürlich nicht im Weg."
Das Tragen von Masken und das Durchsetzen von Hygieneregeln und Abstandswahrung sind aus seiner Sicht ganz sicher sehr gute Möglichkeiten, um einer Infektion vorzubeugen. "Jedoch lassen sich diese beiden Maßnahmen natürlich immer schwerer konsequent umsetzen, je jünger die Kinder sind."
Hinzu komme, dass Kindergartenkinder miteinander spielen und sprechen lernen sollen, damit sie sich normal entwickeln. "Da sind in den vergangenen zwei Jahren gravierende Defizite entstanden, die wir noch lange spüren werden", führt Röblitz an.
Er plädiert für ein Umdenken in Bezug auf die Kinder, spätestens seit Sommer 2020 sei nicht mehr wirklich im Sinne der Kleinsten gehandelt worden. "Jetzt, da man sieht, dass Kinder und Jugendliche in der Regel nicht schwer erkranken, sollten andere Maßstäbe gesetzt werden", sagt er. Eine Einschränkung des Regelbetriebs in Kitas und die Aussetzung der Präsenzpflicht in den Schulen hält er für falsch.
- Die Informationen ersetzen keine ärztliche Beratung und dürfen daher nicht zur Selbsttherapie verwendet werden.
- Eigene Recherche
- Interview mit dem Kinderarzt Holger Röblitz
- Robert Koch-Institut: Wochenbericht vom 27. Januar 2022
- Stellungnahme der Deutschen Gesellschaft für Kinder- und Jugendmedizin und der Deutschen Gesellschaft für Pädiatrische Infektiologie sowie des Berufsverbandes der Kinder- und Jugendärzte, 29. Dezember 2021.