"Science"-Durchbruch des Jahres Diese Forschung hilft im Kampf gegen Omikron
Bei der Analyse von Omikron kommt eine ganz neue Technik zum Einsatz. Mit ihr können Form und Wirkweise von Proteinen so einfach wie nie studiert werden. Forschung und Medizin könnte das revolutionieren.
Den menschlichen Körper kennen Forscher schon ziemlich genau: Wie Blutgefäße aussehen, warum Krebs entsteht, welche Zellen für das Sehen wichtig sind. Doch im ganz Kleinen ist das Bild noch nicht so klar. Denn nur von einem eher kleinen Teil unserer Proteine – das sind essenzielle Bestandteile des Körpers – wusste man bislang, wie sie aussehen und was sie genau machen. Doch das ändert sich mit Hilfe künstlicher Intelligenz (KI) gerade rasant.
Grund dafür sind neue Computerprogramme, die dreidimensionale Strukturen von Proteinen mit hoher Genauigkeit errechnen, ohne dass zeitaufwendige und teure Messmethoden nötig wären. Kenne man die Gestalt und damit auch die Funktion der Proteine, ließen sich biologische Abläufe im Körper und Krankheiten besser verstehen, erklärt Andreas Bracher vom Max-Planck-Institut für Biochemie in Martinsried.
Forscher nutzen die Software bei der Corona-Variante Omikron
Auch bei der Suche nach neuen Medikamenten helfe dieses Wissen, so Bracher. So wollen Forscher mit Hilfe des neuen Ansatzes Wirkstoff-Kandidaten entwickeln, die genau auf bestimmte Proteine abgestimmt sind. Andere Fachleute nutzen die Software bei der neuen Corona-Variante Omikron. Sie untersuchen Auswirkungen von Mutationen im Erbgut auf die Form des sogenannten Spike-Proteins. Eine geänderte Form könnte dazu führen, dass menschliche Antikörper nicht mehr so gut binden können und der Immunschutz nachlässt.
Neuer Ansatz für die Forschung revolutionär
Das Fachmagazin "Science" schätzt den neuen Ansatz für so bedeutsam ein, dass es ihn zum wissenschaftlichen Durchbruch des Jahres gekürt hat. "Der Durchbruch bei der Proteinfaltung ist einer der größten aller Zeiten, sowohl in Bezug auf die wissenschaftliche Leistung, als auch mit Blick auf dadurch mögliche künftige Forschungen", schreibt "Science"-Chefredakteur Holden Thorp. Er zieht einen Vergleich zur Genschere Crispr, die die Gentechnik revolutioniert hat.
Proteine sind winzig klein, man kann diese Eiweiße selbst unter dem Mikroskop nicht sehen. Bislang war es deshalb sehr aufwendig und teuer, mit Methoden wie Röntgenkristallographie und Kryoelektronenmikroskopie ihren Aufbau zu erforschen. "Science" zufolge kann das Entschlüsseln einer einzelnen Proteinstruktur auf herkömmliche Weise Jahre dauern und Hunderttausende Dollar kosten.
"Bei vielen Proteinen des Menschen wusste man deshalb bisher nicht, wie sie aussehen", sagt MPI-Forscher Bracher. Bislang sind nur für gut ein Drittel der Proteine des Menschen experimentell bestimmte Strukturen in einer Datenbank hinterlegt – in vielen Fällen davon sind auch nur Teilbereiche untersucht.
Künstliche Intelligenz von herausragenden Wissenschaftlern
Mit den neuen Programmen – AlphaFold and RoseTTAFold – braucht es nun keinen großen Aufwand mehr. Ein Team um den AlphaFold-Entwickler John Jumper, der für die auf künstliche Intelligenz spezialisierte Google-Schwester Deepmind arbeitet, hat bereits Strukturen für fast alle menschlichen Proteine vorgelegt. Das Fachblatt "Nature" zählt Jumper in seiner aktuellen Top-10-Liste zu den derzeit maßgebenden Wissenschaftlern auf der Welt. Sein KI-gestütztes Programm trainiert sich praktisch selbst mit Hilfe von Datenbanken, in denen bereits erforschte Proteinstrukturen hinterlegt sind.
Das sind Proteine
Proteine bestehen aus langen Ketten, die eine Art definiertes Knäuel bilden und dann bestimmte Aufgaben erfüllen. So können manche Proteine (Enzyme) Zuckermoleküle spalten, andere sind Strukturelemente unserer Muskeln. Die Ketten werden von hintereinander aufgereihten Bausteinen gebildet, den sogenannten Aminosäuren. Deren Abfolge ist durch unser Erbgut vorgegeben. Insgesamt gibt es dort rund 20.000 Gene, auf denen die Aminosäurenabfolge für verschiedene Proteine festgelegt ist. Bei der Faltung zum Knäuel spielen unter anderem Anziehungskräfte zwischen den Aminosäuren eine Rolle.
Kennt ein Forscher ein spezifisches Gen, kann er daraus auf dem Papier oder am Computer die Aminosäurekette eines Proteins ableiten – schon seit Jahrzehnten. Allerdings war es bislang nicht möglich, ohne weiteres die genaue Form und den Aufbau des Proteinknäuels zu bestimmen. "Die ist aber entscheidend, um die Wirkungsweise eines Protein verstehen zu können", erklärt Bracher, der selbst mit AlphaFold arbeitet.
Die neuen, für Forscher frei zugänglichen Programme schließen nun genau diese Lücke. Ihnen reicht die durch das Erbgut vorgegebene Aminosäuresequenz eines Proteins, um ein dreidimensionales Modell zu erstellen, wie Bracher erklärt. "Hat man früher Jahre daran gearbeitet, um die Struktur eines Proteins aufzuklären, reicht es jetzt, eine Aminosäuresequenz in den Computer einzugeben."
- Die Informationen ersetzen keine ärztliche Beratung und dürfen daher nicht zur Selbsttherapie verwendet werden.
- Nachrichtenagentur dpa