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Human-Challenge-Studie: Forscher planen absichtliche Coronavirus-Infektionen


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Riskante Studie
Forscher planen absichtliche Corona-Infektionen


Aktualisiert am 06.10.2020Lesedauer: 3 Min.
Corona-Pandemie: Bei einer neuen Studie werden Testpersonen erst geimpft und dann kontrolliert infiziert. (Symbolbild)Vergrößern des Bildes
Corona-Pandemie: Bei einer neuen Studie werden Testpersonen erst geimpft und dann kontrolliert infiziert. (Symbolbild) (Quelle: Funkey Factory/getty-images-bilder)
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Um die Entwicklung eines Covid-19-Impfstoffs voranzutreiben, wollen sich mehrere Tausend Menschen freiwillig infizieren lassen. Sie riskieren damit ihre Gesundheit. Was bringt das in der Corona-Pandemie?

Während in aller Welt Mediziner um das Leben schwer erkrankter Corona-Patienten ringen, infiziert ein Ärzte-Team in einer Londoner Klinik Menschen gezielt mit dem Virus. Was erstmal etwas gruselig klingt, könnte in wenigen Monaten Realität sein. Dahinter steht ein ehrgeiziges Ziel: Mit sogenannten Human-Challenge-Trials soll schneller ein wirksamer Corona-Impfstoff gefunden werden. Doch die Vorgehensweise ist umstritten.

Was passiert bei Human-Challenge-Studien?

Bei Human-Challenge-Trials, die bei der Entwicklung von Malaria- oder Dengue-Impfstoffen bereits zum Einsatz kamen, wird einer Gruppe junger, gesunder freiwilliger Probanden zunächst ein potenzieller Impfstoff verabreicht. Einige Wochen später werden sie gezielt mit dem jeweiligen Erreger infiziert.

Ist der Stoff wirksam, geschieht ihnen nichts. Ist er es nicht, müssten sie ihre Krankheit auskurieren. Auf diese Weise ließe sich, so das Konzept, die Schutzwirkung des Impfstoffs schneller untersuchen als sonst in mehrgliedrigen Impfstudien üblich. Denn dann müsste man nicht auf zufällige Infektionen im Alltag warten.

Corona-Impfstoffstudie in Großbritannien

In London sollen nun weltweit erstmalig ab Januar 2021 solche Tests mit Bezug auf Corona stattfinden, wie die "Financial Times" unter Berufung auf Projektbeteiligte berichtet. Etwa 2.000 Probanden werden für die Studie zugelassen. Man arbeite mit mehreren Partnern zusammen, um mithilfe von Human-Challenge-Studien die Entwicklung von Impfstoffen zu beschleunigen, bestätigte ein Regierungssprecher der Deutschen Presse-Agentur in London. Das seriöse Imperial College London übernimmt die Leitung der Impfstoffstudie. Ob die Teilnehmer eine finanzielle Entschädigung erhalten, ist bislang nicht bekannt.

Auch in den USA sollen Human-Challenge-Trials zum Erproben von Impfstoffkandidaten stattfinden. Zehntausende Freiwillige aus über hundert Ländern haben sich bereits auf der US-Website "1Day Sooner" angemeldet, um sich als Teilnehmer einer solchen Studie zu empfehlen.

Nutzen und Risiken von Human-Challenge-Trials

Der Vorteil an diesen Studien: Die Wirksamkeit kann vergleichsweise effizient getestet werden. Das übliche Verfahren sieht vor, Zehntausende zu impfen und dann zu schauen, ob sich weniger Menschen auf natürliche Weise infizieren als in einer ungeimpften Kontrollgruppe. Doch das könnte unter Umständen lange dauern.

Human-Challenge-Studien sind unter Wissenschaftlern stark umstritten. Einige betonen den großen Nutzen für die Gesellschaft, wenn schnell ein Impfstoff gegen Covid-19 gefunden werden könnte, andere äußern ethische Bedenken, wenn Probanden bewusst gesundheitlichen Risiken ausgesetzt werden. Denn eine Infektion mit dem teils noch unerforschten Erreger SARS-CoV-2 könnte auch bei jungen Patienten schwer verlaufen. Und noch gibt es keine zuverlässige, erprobte Therapie gegen Covid-19, die ihnen sofort helfen könnte. Auch über die Langzeitfolgen der Erkrankung ist bislang nur wenig bekannt.

WHO legt Bestimmungen fest

Die Weltgesundheitsorganisation WHO hat bereits Ende Juni vorsorglich ethische Bedingungen für solche Versuche zur Erforschung von Impfstoffkandidaten gegen Covid-19 formuliert. Darin heißt es etwa, dass die Studien in Hochsicherheits-Isolationsbereichen unter Quarantänebestimmungen durchgeführt werden sollten. Probanden könnten die Teilnahme an der Studie jederzeit beenden, solange sie die vorgeschriebenen Zeiträume der Isolation beziehungsweise Quarantäne einhalten.

Auch die Aufklärung der Probanden und ihre Einverständniserklärung stehen im Fokus der WHO-Bestimmungen. Der Prozess sollte so gestaltet sein, dass "quasi kein Zweifel bestehen darf, dass Teilnehmer die potenziellen Risiken verstanden und ihre Zustimmung freiwillig gegeben haben", so die WHO. Dennoch äußert die WHO generell Zweifel an der Aussagekraft von Human-Challenge-Trials.

Auch in Deutschland denkbar?

In Deutschland hat es vergleichbare Studien mit freiwillig Infizierten in dieser Form noch nie gegeben. Rein theoretisch wäre dies aber möglich – vorausgesetzt das Paul-Ehrlich-Institut (PEI) und eine Ethikkommission stimmen zu.

Doch nach Einschätzung von Experten sind Human-Challenge-Studien zu Corona-Impfstoffen in Deutschland quasi undenkbar. Gerichte könnten das Vorgehen bei Klagen als "sittenwidrig" einschätzen, da die Fürsorgepflicht eines Arztes nicht durch die Einwilligung eines Patienten aufgehoben werde. "Das gibt das deutsche Grundgesetz nicht her", sagt Joerg Hasford, der in Deutschland den Arbeitskreis Medizinischer Ethik-Kommissionen leitet.

Je gefährlicher eine Krankheit sei, desto mehr spreche dagegen, solche Tests durchzuführen. "Ich finde, das ist auch eine Zumutung für die Ärzte. Stellen Sie sich vor, Sie sind Arzt und infizieren jemanden, und der stirbt", gibt Hasford zu bedenken. Der Verband der forschenden Pharma-Unternehmen (vfa) nennt solche Human-Challenge-Studien im Zusammenhang mit SARS-CoV-2 sogar "inakzeptabel".

Erkenntnisse sind womöglich nicht übertragbar

Neben ethischen Bedenken steht auch die wissenschaftliche Aussagekraft dieser Tests in Zweifel. Impfstoffe könnten keinesfalls auf diese Weise an Senioren und chronisch Kranken getestet werden, betont der vfa – obwohl gerade diese Gruppen besonders durch das Coronavirus gefährdet seien.

"Es ist eben nicht so, dass man Ergebnisse von jungen Frauen so leicht auf alte Männer übertragen kann. Das körpereigene Abwehrsystem wird mit dem Alter in der Regel nicht besser", meint auch Hasford. Auch entspricht eine künstlich herbeigeführte Ansteckungssituation hinsichtlich Virendosis und Infektionsweg wahrscheinlich nicht den echten Infektionen im Alltag. Human-Challenge-Studien könnten demnach ein verfälschtes Bild zeigen.

Transparenzhinweis
  • Die Informationen ersetzen keine ärztliche Beratung und dürfen daher nicht zur Selbsttherapie verwendet werden.
Verwendete Quellen
  • Verband Forschender Arzneimittelhersteller e.V. (vfa)
  • Weltgesundheitsorganisation WHO
  • Pharmazeutische Zeitung
  • Nachrichtenagentur dpa
  • Eigene Recherche
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