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Zum journalistischen Leitbild von t-online.Aerosolforscher erklärt "Die Viren sind schnell im gesamten Raum verteilt"
Seit einigen Monaten wird angenommen, dass sich das Coronavirus vor allem über die Atemluft verbreitet. Doch was sind Aerosole eigentlich und wieso sind sie so gefährlich? Das beantwortet der Aerosolforscher Prof. Martin Kriegel im Interview.
Vor der Corona-Pandemie spielten Aerosole vor allem beim Umweltschutz und bei der Zusammensetzung der Außenluft eine Rolle. Mittlerweile erfahren die kleinen Partikel eine große Bekanntheit als potenzielle Überträger des Coronavirus.
Prof. Martin Kriegel forscht seit Jahren im Bereich der Aerosole und betrachtet auch die Luftqualität in Innenräumen. Im Gespräch mit t-online.de erklärt er, was es mit den Partikeln in der Luft auf sich hat, wie Sie sich vor einer Ansteckung schützen können und ob Schulunterricht nicht viel zu gefährlich ist.
t-online.de: Was sind Aerosole eigentlich?
Prof. Martin Kriegel: Aerosole sind ganz kleine feste oder flüssige Partikel, die so winzig sind, dass sie quasi in der Luft schweben. Alle Körper haben ja eine Masse und die Masse der Aerosole ist so gering, dass sie nur sehr langsam zu Boden sinken. Die Luftbewegung im Raum oder draußen ist in der Regel viel größer als die Absinkgeschwindigkeit dieser kleinen Partikel, sodass sie immer mit der Bewegung in der Luft transportiert werden. Deshalb nennt man sie auch Aerosole. Und je größer die Luftbewegung ist, desto größer können auch die Partikel sein, die mitbewegt werden. Zum Beispiel haben wir draußen manchmal auch waagerecht fliegende Regentröpfchen, wenn der Wind stark weht – damit wären das eigentlich auch Aerosole, also eine feste Größenordnung gibt es dabei nicht.
Und warum sind diese Aerosole bei der Verbreitung des Coronavirus so gefährlich?
Grundsätzlich ist das Coronavirus ja eine Atemwegsinfektion. Und wir stoßen mit unserer Atemluft permanent Aerosole aus – auf diesen Partikeln sitzen bei Infizierten dann die Viren. Wobei völlig unklar ist, wie viele Viren auf einem solchen Partikel haften. Die Schätzungen gehen von „jedes zehnte Aerosol trägt ein Virus“ bis hin zu „jedes Aerosol trägt ein Virus“. Aber es ist nicht so, dass Tausende von Viren auf einem Aerosol sitzen. Aber dadurch, dass die Aerosole im Raum herumschweben, atmen alle anderen Personen diese natürlich auch permanent ein und können sich dementsprechend anstecken.
In den letzten Wochen wurde diskutiert, ob Aerosole vielleicht doch keine so große Rolle bei der Verbreitung von Covid-19 spielen – wie schätzen Sie das ein?
Betrachtet man das Ausbruchsgeschehen, lassen viele Ausbrüche eigentlich keinen anderen Infektionsweg zu als den über die Aerosole. Denn, wenn zwei Personen sich weiter entfernt voneinander aufhalten, keinen direkten Kontakt hatten, keine gemeinsamen Gegenstände angefasst haben und so weiter – dann kann es eigentlich keinen anderen Ansteckungsweg geben als den über Aerosole.
Prof. Martin Kriegel
Prof. Martin Kriegel ist Leiter des Hermann Rietschel Instituts (HRI) an der Technischen Universität Berlin. Er forscht unter anderem im Bereich der Aerosole und untersucht, wie diese Partikel sich verhalten, wie lange sie in der Luft bleiben und wie sehr sie sich im Raum verbreiten können.
Welche Rolle spielt dabei die Luftqualität in einem Raum?
Ich kann eigentlich nur dafür werben, gute Luftqualität in Räumen herzustellen. Denn, das ist auch aus dem Ausbruchsgeschehen abzulesen: In Räumen mit guter Luftqualität gab es bisher nahezu kein Infektionsgeschehen – wenn dann nur bei sehr langen Aufenthalten. Ansteckungen gab es immer vor allem dann, wenn die Luftqualität schlecht war. Deshalb empfiehlt auch das Robert Koch-Institut, sich nicht lange in schlecht gelüfteten Räumen aufzuhalten. Das Thema der Luftqualität finde ich insgesamt sehr wichtig. Denn Luftqualität hat allgemein einen wichtigen Einfluss auf die Gesundheit – das war vor Corona so und das wird auch nach Corona noch so sein. Wir halten uns zu 90 Prozent in Innenräumen auf. Und in Innenräumen gibt es immer zusätzliche Belastungen wie Grippeviren, andere Krankheitserreger oder auch Ausdünstungen von Baumaterialien. Der Innenraum ist daher potenziell ungünstiger als der Außenraum.
Wie genau verbreitet sich das Virus über Aerosole in geschlossenen Räumen?
Im Prinzip sind die Partikel, die jeder Infizierte mit der Atemluft ausstößt, virenlastig. Diese Viren bewegen sich mit den winzigen Partikeln in der Raumluft und sind dann sehr schnell im gesamten Raum verteilt. Sobald sich Personen in einem Raum aufhalten, fängt die Luft auch an, sich zu bewegen. Das sehen oder spüren wir zwar nicht, aber es passiert. Und dagegen kann man sich eigentlich gar nicht schützen. Aber es werden ja nicht alle krank: Denn es bedarf einer bestimmten Dosis an Viren, bis wir erkranken oder bis eine Infektion ausgelöst wird. Das ist eine medizinische Fragestellung, die bisher noch ungeklärt ist: Wie viele Viren werden eingeatmet, bis es zu einer Infektion kommt? Denn, dass wir sie permanent einatmen, das ist zweifelsfrei.
Wie lange halten sich Aerosole in der Luft? Reicht der Mindestabstand von 1,5 Metern überhaupt aus?
Darüber gibt es viele Diskussionen – aktuell gibt es Aussagen, dass die Viren bis zu drei Stunden auf den Partikeln überleben können. Aber eine solche ausgeatmete Aerosolwolke, die mit Viren belastet ist, bleibt nicht auf einem Platz stehen. Sie bewegt sich mit der Luft mit. Das bedeutet, die Viren verteilen sich überall im Raum, gleichzeitig sinkt damit die Konzentration. Am Anfang sind es sehr viele an einer Stelle und diese Anzahl verteilt sich dann auf den gesamten Raum. Man kann das mit einem Farbtropfen im Wasser vergleichen: Mit einem dunkelroten Tropfen ist nach kurzer Zeit das gesamte Wasser gefärbt. Doch das Wasser ist schließlich nicht dunkelrot, sondern blassrosa. Dementsprechend ist die Aerosolkonzentration nicht mehr so hoch. Wenn Sie jedoch immer mehr rote Farbe hinzugeben, wird auch das Wasser immer mehr die Farbe des dunkelroten Tropfen annehmen. Nur wenn ich klares Wasser hinzugebe, kann ich das Wasser blassrosa halten. Letztendlich atmen Sie die Aerosole egal wo im Raum immer ein, bei niedriger Konzentration weniger als bei hoher Konzentration. Die Abstandsregeln schützen mich also nicht davor, Aerosole einzuatmen. Aber, wenn ich keine Maske trage und mich unterhalte und dabei mit jemandem dicht beieinander stehe, dann würden wir die Aerosolwolken direkt einatmen und das in einer höheren Konzentration. Je weiter Sie sich also von anderen Menschen entfernen, desto geringer ist die Anzahl der Viren, die Sie einatmen können, weil sie sich bereits im Raum verteilt haben. Deshalb ist die Abstandsregel auch für die Aerosole von Interesse.
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Was können wir sonst noch tun, um die Ausbreitung der Aerosole zu verringern und uns vor Infektionen zu schützen?
Es gibt vier Einflussgrößen, wie sich das Risiko über die Aerosole zusammensetzt: Das ist einmal die Raumgröße – also je größer ein Raum ist, desto länger dauert es, bis die Aerosole sich im Raum verteilt haben. Zusätzlich ist das Luftvolumen größer und die Konzentration der Viren wäre nicht mehr so hoch. Sie müssten sich also unheimlich lange in einem großen Raum aufhalten, um den gesamten Raum mit viruslastigen Aerosolen zu füllen. Ein roter Tropfen in einem Schwimmbad ist etwas anderes als im Schnapsglas. Beim Schwimmbad müsste man sehr viele rote Tropfen einfüllen, damit das Wasser überhaupt blassrosa wird. Die zweite Größe ist die Frischluftmenge – also wie groß ist der Luftaustausch im Raum? Die Aerosole sind überall im Raum und wir atmen sie ein, deshalb müssen wir die Konzentration verkleinern. Im Wasserglas würde das bedeuten, dass wir permanent klares Wasser hinzufügen müssten, während die roten Tröpfchen reingeträufelt werden, um das Wasser blassrosa zu belassen. Über Lüften lässt sich das umsetzen. Die dritte Größe ist die Frage, was wir tun und wie viele Aerosole wir dabei ausstoßen. Wie viele rote Tröpfchen wir also in das Wasser in zum Beispiel einer Minute reinträufeln. Wenn wir sprechen sind es mehr, als wenn wir nur atmen, wenn wir anfangen zu singen oder zu schreien, sind es noch einmal deutlich mehr und beim Husten sind es extrem viele Aerosole. Die vierte Größe ist die Aufenthaltsdauer: Eine infizierte Person atmet permanent Viren aus, andere Personen atmen diese ein. Je länger Sie sich also gemeinsam in einem Raum aufhalten, desto höher ist die Viruskonzentration in der Luft und desto höher ist die Wahrscheinlichkeit, dass Sie genug Viren einatmen, um sich zu infizieren.
Ist es unter den aktuellen Bedingungen dann nicht zu gefährlich, Kinder wieder in die Schulen und in enge Klassenräume zu schicken?
Um sich wieder auf die Einflussgrößen zu beziehen: Die Raumgröße ist bei den Schulen festgelegt, bei Regelbetrieb können die Räume nicht vergrößert werden und der Abstand kann nicht eingehalten werden. Das erhöht natürlich das Risiko einer Infektion. Auch das, was die Schüler tun, können wir in Schulen kaum beeinflussen, außer beispielsweise auf das Singen zu verzichten. Somit können wir in Schulen eigentlich nur vernünftig lüften und die Aufenthaltsdauer verkürzen. Und da haben etwa 90 Prozent der Schulen in Deutschland einen entscheidenden Nachteil: Sie sind alle fenstergelüftet. Durch Fensterlüftung kann der notwendige Luftaustausch nur schwer bewerkstelligt werden. Es gibt immer wieder Studien zur Luftqualität in Schulräumen und die Luftqualität ist immer schlecht. Wenn Sie nun dem RKI folgen und sagen, man soll sich nicht lange in schlecht gelüfteten Räumen aufhalten: Dann machen wir genau das jetzt in den Schulen. Wie gefährlich das ist, kann ich nicht sagen – das ist eher eine medizinische Frage. Ich empfehle daher, ein neues Lüftungsverhalten zu erlernen, die Fenster länger und öfter zu öffnen und die Aufenthaltsdauer zu verkürzen. Das sind effektive Präventionsmaßnahmen und führen zu einer guten Luftqualität.
Wie groß ist aus Ihrer Sicht hingegen die Gefahr, sich an der frischen Luft mit SARS-CoV-2 zu infizieren?
Diese Gefahr ist in der Regel sehr klein. Wir atmen ja Aerosole und eventuell Viren aus – draußen in einen riesigen Luftraum im Vergleich zu einem Innenraum. Draußen ist auch die Luftbewegung viel größer als im Innenraum. Das heißt, die Aerosole sind in Sekundenschnelle im großen Luftraum verteilt. Das ist im Prinzip wie bei einem Raucher, der in einem größeren Abstand zu Ihnen raucht. Bei ungünstiger Windrichtung riechen Sie das auch. Aber letztendlich ist die Konzentration dann doch sehr gering, vor allem, wenn Sie sich an die Abstandsregeln halten, sich bewegen und so nicht lange Zeit neben der gleichen Person sitzen oder stehen.
Das heißt aber auch, ein Open-Air-Konzert beispielsweise wäre dann doch wieder gefährlich?
Das hängt davon ab, ob die Abstandsregeln eingehalten werden können. Und ich denke, es ist einfach nicht praktikabel, dass ein Open-Air-Konzert so funktioniert. Selbst, wenn das verordnet werden würde, würde – denke ich – die Disziplin nicht ausreichen. Das ist einfach nicht einzuhalten. Und dann spielt eben auch die Tröpfcheninfektion wieder eine Rolle, wenn die Abstandsregeln nicht eingehalten werden.
Was halten Sie von einer Maskenpflicht im Büro, wie sie aktuell diskutiert wird?
Die Alltagsmasken sind vor allen Dingen dann zu tragen, wenn wir den Abstand nicht einhalten können. Sie halten sehr effektiv die größeren Tröpfchen auf. Damit wird eine Tröpfcheninfektion praktisch unterbunden. Aerosole gehen zu etwa 90 Prozent über die Maskenränder dennoch in die Raumluft, aber nicht unkontrolliert beim Sprechen, Husten oder Niesen nach vorne und gegebenenfalls zu der Person, die vor mir oder mir gegenüber sitzt. Die Maske lenkt die Aerosole um, sodass sie über alle Maskenränder in der Nähe meines eigenen Körpers in die Raumluft treten. Insofern bringt auch die Maske etwas für die Aerosole, wenn auch nicht im gleichen Maße wie für die Tröpfchen. An allen Orten, wo der Abstand nicht eingehalten werden kann, sollte deswegen eine Maske getragen werden. Ob das im Büro der Fall ist, hängt maßgeblich von der Belegung ab.
Vielen Dank für das Gespräch, Herr Prof. Kriegel.
- Die Informationen ersetzen keine ärztliche Beratung und dürfen daher nicht zur Selbsttherapie verwendet werden.