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Suchtexperte über Entzug von Jan Ullrich: "Er hat es schwerer als andere"


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Suchtexperte erklärt
Jan Ullrich im Entzug: "Er hat es viel schwerer als andere"


Aktualisiert am 13.08.2018Lesedauer: 5 Min.
Jan Ullrich: Gegen ihn wird wegen des Verdachts des versuchten Totschlags und der gefährlichen Körperverletzung ermittelt. Jetzt will der frühere Radsportler den Alkohol- und Drogenentzug angehen.Vergrößern des Bildes
Jan Ullrich: Gegen ihn wird wegen des Verdachts des versuchten Totschlags und der gefährlichen Körperverletzung ermittelt. Jetzt will der frühere Radsportler den Alkohol- und Drogenentzug angehen. (Quelle: dpa)

Nach seinem öffentlichen Absturz lässt sich Ex-Radprofi Jan Ullrich in einer Entzugsklinik behandeln. Was dort genau passiert, erklärt der Psychiatrie-Professor Tom Bschor.

Herr Dr. Bschor, Sie sind Chefarzt der Psychiatrie an der Berliner Schlosspark-Klinik, und haben Erfahrung mit der Behandlung von Suchterkrankungen. Wie kann man eine Alkohol- und Drogensucht überwinden?

Prof. Dr. Tom Bschor: Zunächst muss große Motivationsarbeit geleistet werden, damit der Betroffene überhaupt den Schritt in die Klinik schafft. Das ist bei Jan Ullrich jetzt auch passiert – alle haben gute Ratschläge gegeben, er hat einen Teamcoach, der ihn unterstützt. Man hat gesehen, wie schwierig das war. Ich glaube, er hat das schon länger vorgehabt. Jetzt hat er diesen Schritt offensichtlich geschafft.

Wie genau läuft ein Entzug in einer Suchtklinik ab?

Der Entzug in der Klinik dauert nur einige wenige Wochen – im Durchschnitt zwei bis drei. Aber das hängt vom Suchtstoff ab. Es gibt Drogen und Suchtstoffe, die kann man sofort absetzen, weil der Entzug zwar unangenehm, aber nicht gefährlich ist. Dazu gehören zum Beispiel die Opiate und sogar Heroin. Es ist zwar extrem unangenehm, das abzusetzen, aber nicht medizinisch bedenklich.


Und dann gibt es Suchtstoffe, die man aus medizinischen Gründen langsam ausschleichen muss. Das gilt zum Beispiel für Beruhigungsmittel, sogenannte Tranquilizer. Diese schlagartig wegzulassen, wenn sich der Körper daran gewöhnt hat, ist sehr gefährlich.

Wie lange braucht man für einen Alkoholentzug?

Für einen Alkoholentzug sollte man zwei bis drei Wochen veranschlagen. Ich habe gelesen, dass Herr Ulrich neben Alkohol auch Amphetamine, also Speed, konsumiert haben soll. Da würde ich ebenfalls zwei bis drei Wochen für die Entzugsbehandlung veranschlagen.

Wie wird jemand wie Jan Ullrich in der Klinik betreut, damit er die Sucht überwindet?

In der Klinik wird zum einen der körperliche Entzug gemacht, bis die Entzugssymptome abgeklungen sind und der Suchtstoff vollkommen aus dem Körper raus ist. Aber man muss die Zeit bereits ganz intensiv für eine Suchttherapie nutzen und ins Gespräch kommen. Darüber, was die Mechanismen sind, was Sucht bedeutet, wie sie entsteht, welche die Rückfallgefahren sind und wie man ein suchtfreies Leben gestalten kann. Das geschieht in Einzelgesprächen und in Gruppen. Gerade die Gruppentherapie ist bei der Sucht sehr hilfreich, weil sich die Betroffenen untereinander austauschen. Es ist viel authentischer und glaubwürdiger, wenn beispielsweise von anderen Betroffenen Warnungen oder Überzeugungen kommen.

Und dann wird man entlassen. Reicht das fürs Erste?

Nein. Danach ist es noch nicht vorbei. Bereits in der Entzugsklinik muss erarbeitet werden, wie es anschließend weitergeht. Denn die Vorstellung, ich mache jetzt drei Wochen Therapie und dann bin ich mein Problem los, funktioniert leider nicht. Jetzt ist zu hoffen, dass Jan Ullrich das einsieht und schafft. Das heißt, die Überzeugung muss in diesen wenigen Wochen in der Klinik erreicht werden, dass man sich langfristig mit dem Suchtthema beschäftigen muss und es muss konkret organisiert werden wo und wie das möglich ist.

Wie sieht die Suchttherapie im Detail aus?

Diese zweite Phase im Anschluss an den Entzug wird häufig Entwöhnung genannt. Diese kann auch in einer Spezialklinik stattfinden. Da ist man dann für etwa sechs bis acht Wochen. Es gibt aber auch ambulante oder teilstationäre Möglichkeiten der Entwöhnung. Da geht man zum Beispiel zweimal pro Woche zu einer Suchtberatungsstelle und zusätzlich noch in eine Selbsthilfegruppe. Das ist extrem wichtig, damit das, was in der Klinik begonnen wurde, anschließend auch anhält.

Das ist für Menschen, die so berühmt sind wie Herr Ullrich natürlich ein bisschen schwieriger. Gerade in einer Selbsthilfegruppe. Jemand wie Jan Ullrich kann sich nicht einfach zu den Anonymen Alkoholikern setzen. Da verursacht er natürlich einen Riesenaufruhr und irgendeiner wird es weiterplaudern, dann steht die Presse vor der Tür. Das ist für ihn natürlich alles komplizierter.

Wie verbreitet sind Suchterkrankungen in der deutschen Bevölkerung?

Die Rate ist auf einem sehr hohen Niveau. Aber glücklicherweise steigen die Zahlen derzeit nicht. Es gibt allerdings immer Verschiebungen zwischen den einzelnen Suchtstoffen. Alkohol geht derzeit ganz leicht zurück, Zigaretten gehen zum Glück relativ deutlich zurück. Wir haben viel mit dem Amphetamin Speed zu kämpfen, dazu gehört auch das Cristal Meth. Der Konsum ist stark angestiegen, insbesondere im Osten Deutschlands. Unter den Medikamenten gibt es die opiathaltigen Mittel, wie zum Beispiel Tramadol oder Tilidin, wo wir eine Zunahme der Abhängigkeit beobachten. Wenn man alle Süchte zusammenzählt, kann man nicht sagen, dass es mehr wird, aber sie sind auch so schon häufig genug.

Wer ist denn besonders suchtgefährdet?

Die wichtigste Botschaft ist: Niemand ist gefeit davor. Es kann jeden treffen. Von alt bis jung, Männer wie Frauen und alle Bevölkerungsgruppen. Ein ganz großer Risikofaktor ist jedoch, wenn jemand schon in der Kindheit mit Suchterkrankungen zu tun hatte, zum Beispiel weil die Eltern selbst häufig betrunken waren oder Medikamente genommen haben. Dann hat man ein deutlich erhöhtes Risiko, selbst suchtkrank zu werden. Gute soziale Netze, wie Familie und stabile Partnerschaften haben einen gewissen Schutzeffekt gegen Abhängigkeit, bieten aber keine Garantie.

Wie groß sind die Erfolgschancen nach einem Entzug?

Bei Alkohol kann man sagen, dass immerhin 50 Prozent der Patienten, die eine Entzugsbehandlung in einer Klinik beginnen, zumindest erstmal für einige Jahre trocken bleiben. Dann verlieren sich allerdings die Spuren, weil es praktisch keine Studien gibt, in denen man Patienten über zehn Jahre nachverfolgen kann. Deshalb werden die Aussagen da unsicherer. Jetzt kann man sagen, 50 Prozent Rückfälle, das ist ja viel, aber man kann auch sagen, 50 Prozent Erfolg – da ist schon vielen Menschen geholfen.

Ist es dabei gleich, welche Drogen man zu sich nimmt?

Es wird umso schwieriger, je mehr Suchtstoffe man durcheinander nimmt. Wenn eine Abhängigkeit von vielen verschiedenen Drogen besteht, die relativ wahllos kombiniert werden, nennt man das medizinisch Polytoxikomanie. Dann wird eine Behandlung schwieriger und es besteht sicherlich eine Erfolgschance unterhalb der 50 Prozent.

Wie verhält es sich mit Menschen, die es herausgeschafft haben aus der Sucht? Sind sie gesund?

Eine Rückfallgefahr besteht immer. Wir gehen in der Suchttherapie von dem Grundsatz aus: Eine Sucht behält man ein Leben lang. Aber man kann sie dauerhaft kontrollieren und abstinent bleiben. Das bedeutet aber, man bleibt, wenn man einmal suchtkrank war, für den Rest seines Lebens gefährdet, mit dieser Sucht oder einer anderen Sucht rückfällig zu werden.


Es ist auch für Ärzte sehr wichtig zu wissen, ob ihr Patient einmal abhängig von Suchtstoffen war, wenn sie ihren Patienten Medikamente mit Suchtgefahr verschreiben, wie etwa Beruhigungs- oder Schmerzmittel. Denn wenn ein trockener Alkoholkranker solche Arzneimittel nimmt, kommt es häufig zu Rückfällen in eine neue Sucht. Oder sie fangen dann sogar wieder mit dem Alkohol an.

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Glauben Sie, Jan Ulrich schafft es, wieder gesund zu werden?

Ich kenne ihn und seine persönlichen Hintergründe nicht. Aber er hat es viel schwerer als andere Suchtkranke, weil sein Schicksal nun mal vom ganzen Land verfolgt wird, weil er in der Klinik abgeschirmt werden muss, sodass er nur begrenzt an den eigentlich wichtigen Gruppentherapien teilnehmen kann. Und diese extrem hohe Erwartungshaltung ist eine zusätzliche Bürde, denn alle Augen sind jetzt auf ihn gerichtet. Da tut er mir schon leid.

Vielen Dank für das Gespräch!

Transparenzhinweis
  • Die Informationen ersetzen keine ärztliche Beratung und dürfen daher nicht zur Selbsttherapie verwendet werden.
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