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Maskenpflicht-Ende in Bus und Bahn in Kritik: "Es geht längst nicht nur um Covid-19"


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Ende der Maskenpflicht
"Es geht längst nicht nur um Covid-19"


Aktualisiert am 11.12.2022Lesedauer: 4 Min.
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Menschen in der Berliner U-Bahn: Auch dort, wo die Maskenpflicht in Bus und Bahnen noch besteht, halten sich viele nicht mehr daran. (Quelle: IMAGO/Emmanuele Contini)
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Als erstes Bundesland schaffte in dieser Woche Sachsen-Anhalt die Maskenpflicht im ÖPNV ab, Bayern folgte. Ein Signal zur Unzeit, monieren Kritiker.

In zwei Bundesländern kann man mittlerweile wieder ohne Mund-Nasen-Schutz in Bussen und Bahnen fahren – im Nahverkehr. Andere Länder wollen folgen. Doch nicht nur Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) kritisiert das. Warum das riskant ist und wann ein sinnvollerer Zeitpunkt für den Verzicht auf die Maskenpflicht wäre, erklärt im Gespräch mit t-online der Mathematiker Kristan Schneider, der die Corona-Pandemie von Anfang an modelliert.

t-online: Herr Schneider, was stört Sie an der Entscheidung von Sachsen-Anhalt und Bayern, die Maskenpflich tim ÖPNV abzuschaffen?

Kristan Schneider: Erst mal der Zeitpunkt, rein kalendarisch. Nach zwei Jahren Zwangspause stürzen sich jetzt im dritten Jahr der Pandemie alle zur Vorweihnachtszeit in die Geschäfte. Und damit in den Nahverkehr. Das ist, epidemiologisch gesehen, wirklich der denkbar ungünstigste Moment, die Maskenpflicht aufzuheben. Man könnte auch sagen, wirklich der dümmste Zeitpunkt. Ganz abgesehen von dem Signal, das dabei gesendet wird: Dass wir zur Sorglosigkeit zurückkehren können.

Aber wir sprechen hier nicht nur von Risiken in Bezug auf Corona, oder?

Auch. Im Augenblick sehen wir bei den Corona-Infektionszahlen wieder einen rapiden Trend nach oben. Ob sich da eine neue Welle aufbaut, ist noch unklar. Aber hier geht es längst nicht nur um Covid-19, das seinen Schrecken ja tatsächlich weitgehend verloren hat, weil der Großteil der Bevölkerung durch die Impfungen und Vorinfektionen einen guten Immunschutz aufgebaut hat. Allerdings als Zusatz: Auch mit oder an dem Corona-Virus sterben immer noch mehr als 100 Menschen am Tag.

Kristan Schneider
Kristan Schneider (Quelle: Helmut Hammer)

Kristan Schneider ist Mathematikprofessor an der Hochschule Mittweida, Sachsen. Sein Forschungsschwerpunkt ist die Modellierung epidemiologischer Prozesse.

Dennoch ist Corona aktuell nicht das größte Problem …

Richtig, es geht um eine ganze Reihe anderer respiratorischer Viren, von denen wir in den Pandemiejahren bisher eher verschont geblieben sind – im Kern um Influenza, RSV und Rhinoviren. Einige andere kommen noch dazu. Alle diese Viren sind zwar nicht so gefährlich wie SARS-CoV-2, aber der Immunschutz gegen sie hat in den Jahren der Pandemie in der Bevölkerung stark nachgelassen, da sich nur relativ wenige Menschen mit ihnen infiziert haben.

Warum machen uns diese Erreger gerade so zu schaffen?

Der Grund waren die Hygienemaßnahmen der letzten Jahre. Weil sich alle diese Erreger ähnlich wie SARS-CoV-2 über Aerosole und Tröpfchen übertragen, war das Tragen von Masken in der Pandemie sehr effizient, um Infektionen zu vermeiden.

Nun haben wir aktuell fast zehn Millionen Atemwegserkrankte, meldet das RKI. Und allerorten sieht man die dadurch bedingten Ausfälle. Wie kommt das?

Das ist erst mal einfach zu erklären: Im Winter übertragen sich all diese Viren generell leichter als im Sommer. Das liegt unter anderem am Kontaktverhalten der Menschen, die sich in der kalten Jahreszeit mehr in geschlossenen, schlecht gelüfteten Räumen aufhalten. Aber auch an der trockenen Luft, die die Atemwege anfälliger macht sowie an der geringeren UV-Einstrahlung, bei der Viren nicht so leicht inaktiv werden, dem allgemeinen Vitamin-D-Mangel im Winter.

Warum sind die Infektionszahlen mit diesen Viren derzeit besonders hoch?

Die Faustregel ist: Bis Ende Dezember sind respiratorische Viren am ansteckendsten und Ende Juni am wenigsten ansteckend. SARS-CoV-2 ist auch im Sommer hochansteckend. Die meisten dieser Viren übertragen sich im Sommer so schlecht, dass sie fast völlig verschwinden und erst im Herbst wieder aufkeimen. Je ansteckender ein Virus, desto früher im Herbst startet eine Infektionswelle, desto höher ist der Scheitelpunkt der Infektionswelle (Peak) und desto mehr Erkrankungen gibt es.

Und das sehen wir aktuell?

Wir sehen zurzeit natürlich auch eine Folge der in den letzten zwei Jahren durchgesetzten Hygienemaßnahmen, die sich auf die Viruseindämmung von SARS-CoV-2 konzentriert haben. Aber natürlich schützen alle diese Regeln auch gegen die respiratorischen Viren.

Also machen Sachsen-Anhalt und Bayern einen Fehler, wenn sie mitten in dieser Viruswelle die Masken weitgehend abschaffen?

Ja, wenn man die Maskenpflicht zu früh aufhebt, befeuert man im Grunde die Infektionszahlen bei den Atemwegserkrankungen. Und damit werden noch mehr Menschen akut ausfallen. Man muss es noch einmal sagen: Sachsen-Anhalt und Bayern haben den denkbar ungünstigsten Zeitpunkt erwischt.

Welcher Moment wäre sinnvoller?

Ein günstiger Zeitpunkt wäre die Aufhebung der Maskenpflicht zu Frühjahrsbeginn, also zum 21. März. Masken, wenn sie korrekt getragen werden, schützen gut vor Infektionen mit Viren, die über die Atemwege übertragen werden. Das ist durch unzählige Studien mit verschiedenen Versuchsanordnungen belegt. FFP2-Masken schützen noch besser als die einfachen OP-Masken. Werden sie im ÖPNV getragen, verkürzt oder verhindert man sogar Infektionsketten. Klar ist, je breiter die Maskenpflicht, desto effizienter der Schutz vor Krankheitsübertragungen – egal, wie gefährlich sie sind. In der Pandemie – und auch in ihrer Folge – ist es wie in der Sage von Orpheus und Euridice: Ungeduld bereut man bitter!

Herr Schneider, wir danken Ihnen für das Gespräch.

Transparenzhinweis
  • Die Informationen ersetzen keine ärztliche Beratung und dürfen daher nicht zur Selbsttherapie verwendet werden.
Verwendete Quellen
  • Interview mit Kristan Schneider
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