Die subjektive Sicht des Autors auf das Thema. Niemand muss diese Meinung übernehmen, aber sie kann zum Nachdenken anregen.
Was Meinungen von Nachrichten unterscheidet.Milliarden Übeltäter Wenn der Atem Alarm auslöst
Mieser Atem kann zum sozialen Knockout führen. Dr. Yael Adler erklärt, was wirklich gegen Mundgeruch hilft, und entzaubert gängige Mythen.
Machen wir uns nichts vor: Mundgeruch erschwert den Umgang mit anderen. Nicht nur, wenn wir ihn an unserem Gegenüber erschnuppern – auch, wenn wir unsicher sind, welche Duftnote wir diesbezüglich selbst auf die Reise schicken.
Beginnt in Filmen der Morgen nach der Liebesnacht mit einem spontanen tiefen Kuss der Beteiligten, beschleichen uns Zweifel, ob das atemtechnisch auch in Ordnung geht. Zu Recht. Während wir schliefen, hat unser Körper rund um die Uhr gearbeitet, und die Bakterien im Mundraum, es sind an die 100 Milliarden aus bis zu 700 Arten, haben richtig Party gemacht: bei gedrosselter Speichelproduktion und unter fröhlicher Beimischung von Schleimhautzellen, die durch die ständige Regenerierung der Schleimhaut in der Mundhöhle so anfallen. Alles klar?
Zur Person
Dr. med. Yael Adler ist Fachärztin für Dermatologie, Venerologie, Phlebologie und Ernährungsmedizin (DGEM). Seit 2007 praktiziert sie in ihrer eigenen Praxis in Berlin. Ihr Talent, komplexe medizinische Sachverhalte anschaulich und unterhaltsam zu vermitteln, stellt sie seit Jahren in Vorträgen, Veranstaltungsmoderationen und den Medien unter Beweis. Über Prävention und Therapien spricht sie regelmäßig in ihrem Podcast "Ist das noch gesund?". Ihre Bücher "Haut nah" und "Darüber spricht man nicht" standen auf Platz 1 der Spiegel-Bestsellerliste. Mit ihrem letzten Buch "Genial vital! – Wer seinen Körper kennt, bleibt länger jung" durfte sich die leidenschaftliche Ärztin erneut über diese Spitzenplatzierung freuen.
Mundgeruch, und beileibe nicht nur der morgendliche, betrifft rund ein Viertel der deutschen Bevölkerung. Studien behaupten, dass wiederum nur ein Drittel dieser Betroffenen ahnt, auf welche Weise und in welchem Maße sie ihre Umwelt daran teilhaben lassen.
Mund- und andere Körpergerüche sind immer noch Tabuthemen und werden nicht öffentlich angesprochen. Stattdessen wird ihr Absender lieber gemieden und kommt möglicherweise allmählich in der sozialen Isolation an. Genauso problematisch kann es im Einzelfall werden, wenn der Mundgeruch und seine etwaigen krankheitsbedingten Ursachen unerkannt und damit unbehandelt bleiben.
Auslöser des Übels gibt es einige, sie lassen sich zu rund 90 Prozent im Mund- und Rachenraum verorten. Nur schlappe zehn Prozent erreichen uns aus dem Magen-Darm-Trakt, aus anderen Organen oder aus dem Stoffwechsel. Um das bei der Diagnostik eingrenzen zu können, genügt ein einfacher Test: Ist die durch die Nase ausgeatmete Luft geruchsneutral, kommt der schlechte Atem aus dem Mund. Riecht auch die Nasenluft schlecht, kommt sie aus tieferen Regionen unseres Körpers.
Mythen um Mundgeruch
In der Vergangenheit wollte uns die Kosmetikindustrie gern glauben machen, eine perfekte Zahnhygiene, natürlich mit allen dazu im Handel befindlichen Produkten, wäre die allein seligmachende Lösung für "reinen Atem". Zahnhygiene tut gut und ist unbedingt nötig, löst aber leider nicht alle Probleme. Der Übeltäter hinter den meisten schlechten Mundausdünstungen sind die Bakterien, gute wie böse. Evolutionär hat sich unser Mikrobiom, also die Gemeinschaft der uns besiedelnden Mikroorganismen, entwickelt, die – alles in allem – in friedlicher Symbiose auf und in uns lebt.
Leider kann es nicht zuletzt wegen unseres zivilisatorischen Lebensstils immer wieder zu Störungen im Gleichgewicht des Mikrobioms kommen, gerade im Mund: Wenn etwa die Ansammlung von Krankheitserregern zur Bildung übel riechender flüchtiger Schwefelverbindungen führt oder wenn zwischen den Zähnen festsitzende Nahrungspartikel ein wirklich gefundenes Fressen für die Bakterien sind. Menschen, die gewöhnlich nicht unter Mundgeruch leiden, haben einfach mehr gute Bakterien in ihrer Mundhöhle, die den schlechten schlichtweg das Futter wegnehmen, ohne dass etwas davon ruchbar wird.
Krankheitserreger im Mundraum
Bereichert wird die orale Duftschleuder aber auch durch bestimmte Medikamente, die einen trockenen Mund verursachen, oder etwa durch eine Erkrankung unserer Speicheldrüsen.
Leider ist unser Mundraum eine Art Erlebnishöhle mit vielen idealen Verstecken für Krankheitserreger, besonders der Parodontitis und der Karies. Parodontitis ist eine Entzündung des Zahnhalteapparates, deren Ursachen vielfältig sind. Zahnärzte können sie einen Meter gegen den Wind erriechen. Zeigt der Patient dann lächelnderweise noch entzündlich gerötetes Zahnfleisch, ist alles klar.
Schon das Wort Zahntaschen jagt jedem, der sich seiner selbst nicht geruchssicher ist, kalte Schauer über den Rücken. Unbehandelt werden diese Abgründe um den Zahn herum immer tiefer und unerreichbar für Zahnbürste, Zahnseide oder Interdentalbürste. Nur der Zahnarzt kann noch wirksam eine Taschenkontrolle durchführen. Was er dabei auspackt, sollte unbedingt unter die ärztliche Schweigepflicht fallen. Für unseren Körper sind so entstandene Entzündungen kräftezehrend. Denn unser Immunsystem muss ständig dagegen ankämpfen, dass sich der Krankmacher weiter ausbreitet und sich unser Zustand verschlimmert.
Risikofaktor Rauchen für Parodontitis
Rauchen, Stress und Alkoholmissbrauch schwächen unsere Abwehrkräfte zusätzlich. Raucher haben ein 15-fach erhöhtes Risiko für Parodontitis. Sie können sich nicht einmal auf das Frühwarnsystem – Zahnfleischbluten – verlassen, weil das Nikotin die Blutgefäße zusammenzieht.
Kaputte Füllungen, schlecht sitzende Kronen und Brücken, unzureichend gewartete Prothesen und kariöse Zähne sind für Bakterien eine Einladung mit Geruchswerbung, nicht zu vergessen unsere Zunge mit ihrer zerklüfteten Oberfläche – eine Art Hochflorteppich für Mikroben.
Auch unser Essverhalten teilt sich gerne mit. Das Fasten mit dem berühmten "Hungeratem" schafft sogar Verwesungsgerüche. Auch der Verzicht auf Kohlenhydrate und die daraus folgende Ketose können die Raumluft säuerlich schwängern. Kaffee und Sekt, aber auch Käse, Quark, Kohl oder Meerrettich stinken schon los, kaum dass sie unseren Mund erreicht haben. Nahrungsbrei, schon auf der Reise nach unten, lässt gerne noch einmal grüßen, durch zünftiges Geruchsaufstoßen, Blähungen oder die aufregende Klaviatur der Magen-Darm-Geräusche.
Mundgeruchsbekämpfung beginnt mit der Zahnhygiene. Allen Beteuerungen der Werbung zum Trotz leistet dabei die gute alte Handbürste mit der bekannten Putztechnik von Rot (Zahnfleisch) nach Weiß (Zahn) ebenso gute Dienste wie das elektrisch-hektisch vibrierende Hightech-Teil. Zweimal täglich und an allen Stellen muss sein.
Speichelqualität beeinflusst Zahnschmelz
Was den Schutz unseres Zahnschmelzes anbelangt, ist der dem Speichel in Eigenproduktion beigemischte Anteil an Calcium und Phosphat ein guter Selbstversorger – wobei die Speichelqualität wiederum von dem abhängt, was wir als Nahrung zu uns nehmen. Fluoridhaltige Zahnpasta ist notwendig, um den Zahnschmelz zu stärken. Und die Zunge nicht vergessen: 10-mal mit Zungenbürste oder Schaber darüberstreifen.
Mundspüllösungen enthalten oft Mundparfüm, um den Geruch zu übertünchen. Oder antiseptische Wirkstoffe. Da auch Bakterien von Antiseptika geschwächt werden, sind sie nicht zur Dauertherapie geeignet. Auch Mundspüllösungen mit Zinkverbindungen hemmen oder beseitigen Geruchsbakterien – die sich danach leider schnell und fröhlich wieder vermehren. Das sogenannte Ölziehen aus der ayurvedischen Medizin (man zutscht vor dem Frühstück einen Esslöffel Öl zehn bis zwanzig Minuten lang im Mundraum durch alle Zahnzwischenräume) hilft gegen Hefepilze, Parodontose-Biofilme oder Karieserreger.
Stärkung der Mundflora
Wer will, kann den Krankmanchern Paroli bieten, indem er seiner Mund- und seiner Darmflora durch die Einnahme von Ballaststoffen und Probiotika hilft. Mehr dazu erfahren Sie bei Ihrem Zahnarzt während der halbjährlichen Vorsorgeuntersuchung oder der professionellen Zahnreinigung. Bei zerklüfteten Mandeln kann man mit dem Finger zudem stinkende Mandelsteine ausstreichen. Dazu darf man jedoch keinen starken Würgereiz haben. Atmen Sie selbstbewusst durch und kommen Sie gesund durch die Zeit!
- Die Informationen ersetzen keine ärztliche Beratung und dürfen daher nicht zur Selbsttherapie verwendet werden.
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