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Im Durchschnitt drei tote Kinder pro Woche nach Gewalttaten


Gewalt gegen Kinder
Im Durchschnitt drei tote Kinder pro Woche nach Gewalttaten

Von dpa
30.05.2012Lesedauer: 3 Min.
Gewalt gegen Kinder ist immer noch allgegenwärtig.Vergrößern des Bildes
Gewalt gegen Kinder ist immer noch allgegenwärtig. (Quelle: Thinkstock by Getty-Images-bilder)
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Kevin in Bremen, Chantal in Hamburg oder Lea Sophie in Schwerin: Immer wieder werden Kinder Opfer von Gewalt und Verwahrlosung. Kinderschützer kritisieren, die Politik tue zu wenig dagegen.

"Jedes betroffene Kind ist eines zu viel"

Jede Woche sterben in Deutschland im Schnitt drei Kinder durch Gewalt oder Vernachlässigung. Insgesamt seien im vergangenen Jahr auf diese Weise 146 Kinder unter 14 Jahren ums Leben gekommen, sagte der Chef des Bundeskriminalamtes, Jörg Ziercke. Damit sei diese Zahl zwar im Vergleich zu 2010 um ein Fünftel gesunken. Ziercke mahnte aber: "Jedes betroffene Kind ist eines zu viel. Jeder Fall von Gewalt an Kindern ist eine Tragödie." 114 getötete Kinder waren sogar jünger als sechs Jahre.

Aktueller Fall in Baden-Württemberg

Erst am Montag (28. Mai) war ein weiterer Fall bekanntgeworden: In Baden-Württemberg starb ein Mädchen wenige Tage vor seinem zweiten Geburtstag. Das Kind sowie ihre zwei Geschwister hatten die gesamte Nacht zum Pfingstsonntag und auch den Morgen alleine in der Wohnung verbracht. Als die Mutter nach Hause kam, war das Mädchen nach Polizeiangaben tot. Die Ursache ist noch nicht erklärt. Nach Angaben der Ermittler war das Kleinkind aber in einem verwahrlosten Zustand - die alleinerziehende Mutter sitzt in Untersuchungshaft.

Bessere Ausstattung der Jugendämter gefordert

Die Koblenzer Pädagogik-Professorin Kathinka Beckmann forderte, die Jugendämter finanziell besser auszustatten. "Das Budget richtete sich manchmal eben nicht danach, was die Kinder, die Familien vor Ort brauchen. Sondern das Budget richtet sich nach dem, was die kommunale Haushaltslage insgesamt überhaupt noch hergeben kann", kritisierte sie. Die Folge sei, dass Kinder manchmal in Strukturen blieben, die schädlich und sogar tödlich sein könnten.

Einheitliche Standards fehlen

Der Vorsitzende der Deutschen Kinderhilfe, Georg Ehrmann, kritisierte, dass die 600 Jugendämter in Deutschland unterschiedlich arbeiteten. Es gebe keine einheitlichen Standards: "Es ist vollkommen unterschiedlich geregelt in München oder in Berlin oder in Bremen, wie Jugendhilfe funktioniert. So hängt es letztendlich vom Geburtsort eines Kindes ab, ob es gute Überlebenschancen hat wie in München, die Fach- und Diagnosestandards eingeführt haben, oder ob es geringe Überlebenschancen hat wie in Hamburg oder in Berlin, wo diese Standards nicht gegeben sind." Das System müsse reformiert werden. Allzu oft sei die Arbeit der Jugendämter von der Kassenlage der Kommunen abhängig.

Und Georg Ehrmann, Vorsitzender der Deutschen Kinderhilfe, klagt über fehlende bundesweite Standards wie Hausbesuche. "Im Fall von Lea-Sophie in Schwerin gab es ein Gespräch mit der Mutter im Amt. Sie war kooperativ. Deswegen gab es keinen Hausbesuch. Das Mädchen verhungerte zu Hause", gibt er ein Beispiel.

200 getötete Kinder pro Jahr

Wie Ziercke weiter ausführte, verzeichnet die Statistik für das vergangene Jahr 72 Kinder unter 14 Jahren, die Opfer eines versuchten Mordes oder versuchten Totschlags wurden - das sind rund ein Viertel mehr als im Jahr davor. Seit 2002 wurden insgesamt 1935 Kinder vorsätzlich oder fahrlässig getötet: "Das heißt, im Durchschnitt kamen in Deutschland jährlich knapp 200 Kinder gewaltsam ums Leben."

Sexueller Missbrauch nimmt weiter zu

Die in der Polizeilichen Kriminalstatistik erfasste Zahl der körperlichen Misshandlung von Kindern ging im Jahresvergleich um sechs Prozent auf rund 4100 zurück - das waren also immer noch durchschnittlich elf Kinder pro Tag. Dagegen nahm der sexuelle Missbrauch von Kindern um knapp vier Prozent zu. "Über 14.000 Kinder wurden Opfer eines sexuellen Missbrauchs", sagte Ziercke. Zudem wurden 2011 täglich 17 Fälle im Bereich der Kinderpornografie gezählt. Die Statistik erfasst nur die Taten, die auch angezeigt werden. Das Dunkelfeld sei wesentlich größer, sagte der BKA-Chef.

Super-Nanny sieht keine Tendenz zur Verrohung

Die Diplom-Pädagogin Katia Saalfrank, die durch die RTL-Serie "Super Nanny" bekannt wurde, glaubt aber nicht, dass man von einer Tendenz der Verrohung Kindern gegenüber sprechen könne. "Wir sind einfach viel sensibler geworden in den letzten Jahren", meint sie. Vieles falle heute früher auf. Gerade bei sexueller Gewalt gegen Kinder müsse man sich aber auch bewusst machen, dass Kinder auch "Nein" sagen könnten. Bekanntes Beispiel: Die Oma will einen Kuss vom Kind, dieses weigert sich, wird aber von den Eltern gedrängt. "Wir müssen ein 'Nein' von Kindern auch ernst nehmen", sagt Saalfrank.

Das Dunkelfeld aufdecken

Steigende Zahlen müssen nicht immer negativ sein - manchmal decken sie auch nur das Dunkelfeld auf. So stieg die Zahl der Kinder unter sechs Jahren, die Opfer sexuellen Missbrauchs wurde. BKA-Chef Ziercke vermutet, dass die Menschen heute häufiger Anzeige erstatten. Zudem ist die Zahl der vorsätzlichen und fahrlässigen Kindestötungen im vergangenen Jahr im Vergleich zu 2010 gesunken - um 20 Prozent. Demgegenüber stieg die Zahl der versuchten Morde und Totschlagsdelikte aber um ein Fünftel an. Seine Vermutung: Das schlimmste wurde möglicherweise durch Aufmerksamkeit verhindert, so dass aus dem versuchten Mord kein vollendeter wurde.

Transparenzhinweis
  • Die Informationen ersetzen keine ärztliche Beratung und dürfen daher nicht zur Selbsttherapie verwendet werden.
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