Wirbel um Schlaf-Ratgeber Petition gegen Schlaf-Ratgeber sorgt für Wirbel
"Jedes Kind kann schlafen lernen" gehört zu den Bestsellern unter den Eltern-Ratgebern, doch jetzt fordern Eltern, dass seine Verbreitung gestoppt wird. "Schluss mit JKKSL!" ist der aggressive Titel einer Petition, die eine Mutter gestartet hat. Das Buch müsse "zum Schutze der Kinder und Eltern vom Markt verschwinden." Das darin angepriesene Schlaflernprogramm, die so genannte Ferber-Methode, habe "schlimme Folgen für die Kinderseele", heißt es. Was ist dran? Das sind die Hintergründe und Fakten.
Bei Eltern und Kinderpsychologen ist der Schlafratgeber von Annette Kast-Zahn und Hartmut Morgenroth seit jeher umstritten. Die Autoren folgen dem Ansatz von Richard Ferber, einem bekannten Kinderarzt und Leiter eines Schlaflabors in den USA. Kernthese ist, dass Babys alleine einschlafen können. Damit sie dies lernen, sollen Eltern sie für einen begrenzten Zeitraum schreien lassen, ohne darauf zu reagieren. Einige Eltern schwören auf die Methode, viele lehnen sie rigoros ab. So auch die Verfasserin der Petition. "Geferberte" Babys könnten "im späteren Leben unter Schlaf- oder Bindungsstörungen, gemindertem Selbstbewusstsein bis hin zu psychosomatischen Erkrankungen leiden", schreibt sie.
Die Aufregung um den Schlafratgeber ist nicht neu
Neu ist lediglich, dass die Kritik an der Methode sich nun über soziale Netzwerke rasant verbreitet und stark emotional aufgeladen ist. Zum Anlass nimmt die Urheberin der Petition, dass der Verlag Gräfe und Unzer den Ratgeber im August neu aufgelegt hat.
Der Verlag hat mit einer Stellungnahme reagiert, die im Portal "Buchreport" zitiert wird: "Das seelische Wohl der Kinder liegt unserer Autorin als Psychotherapeutin für Kinder und Jugendliche genau so am Herzen wie dem Verlag sowie anderen Autorinnen. Wir möchten mit unseren Babyratgebern Eltern verschiedene Ansätze anbieten. Es gibt ganz unterschiedliche Lösungsansätze für Schlafprobleme und jede Familie muss selbst entscheiden, welche für sie persönlich die beste Methode ist."
Das ist die Ferber-Methode
Die Ferber-Methode basiert darauf, das Kind wach ins Bett zu legen und nach einem kurzen Einschlafritual das Zimmer zu verlassen, um bei Bedarf nach festgelegten Minutenabständen zurückzukehren. Dabei wird das Kind zwar kurz getröstet, wenn es weint, aber nicht herausgenommen oder mit Schnuller und Ähnlichem beruhigt. Bestenfalls nach zwei bis drei Tagen, spätestens aber nach zwei Wochen soll es gelernt haben, von selbst (wieder) einzuschlafen. Grundlage ist die These der Verhaltenstherapie, dass jedes Verhalten erlernt wurde und somit auch wieder abtrainiert werden kann.
Geduldsprobe für Eltern
Diese Methode verlangt Eltern sehr viel Geduld ab. Nicht selten gibt es zwischen den Partnern Streit, wenn das Kind schreiend in seinem Bett liegt und einer von beiden es nicht mehr tatenlos anhören kann. Es ist also wichtig, sich im Vorfeld darüber im Klaren zu sein, dass die Umsetzung extrem an die Nerven gehen wird. Ein Abbrechen wird von den Vertretern der Ferber-Methode nur in Ausnahmesituationen empfohlen, da die Methode sonst nach hinten losgehen könnte: Das Kind lernt dann, dass es nur lange genug schreien muss, um zu bekommen, was es will.
Kritik an der Ferber-Methode
Es gibt viele Gegner der Ferber-Methode. Die Argumente liegen auf der Hand: Das Grundbedürfnis des Kindes nach menschlicher Nähe werde ignoriert, sein Urvertrauen erschüttert und das Kind dressiert und verallgemeinert. Aber vor allem wird kritisiert, dass Eltern gegen ihr Bauchgefühl angehen sollen, indem sie sich strikt an einen Plan halten und vor allem, indem sie das Schreien des Kindes ignorieren.
Die Petition gegen "Jedes Kind kann schlafen lernen" ist ein guter Anlass, sich differenziert mit einem der größten Probleme frischgebackener Eltern auseinanderzusetzen. Ein Gedankenanstoß zum Für und Wider der Kampagne findet sich beispielsweise in einem Beitrag im Blog "Von guten Eltern", der die Meinung einer Hebamme widergibt: "Bevor ein Elternteil so überfordert ist, sein schreiendes Kind zu schütteln, ist es besser, es sicher abzulegen, um diesem Impuls nicht nachzukommen. Natürlich ist es für ein Kind schrecklich, alleine schreien zu müssen, aber geschüttelt zu werden mit allen möglichen körperlichen Folgen ist weitgehend schlimmer."
Die Ferber-Methode ist nur ein Notfallprogramm
Professor Ferber selbst aber hat immer wieder darauf hingewiesen, dass er dieses Programm erstens für Kinder entwickelt hat, die älter als ein Jahr sind und es zweitens als eine Art Notbremse für Eltern am Ende ihrer Kraft gedacht ist. Die Methode sollte nie ein Freifahrtschein dafür sein, ein Kind, wie früher häufig praktiziert, stundenlang schreien zu lassen und ihm somit das Urvertrauen zu nehmen. Es gibt inzwischen auch einige weitere Programme, wie die Freiburger Sanduhr-Methode oder die australische Tweddle-Methode, die zwar auf der Ferber-Methode basieren, diese aber abwandeln beziehungsweise abschwächen.
Die innere Stimme ist gefragt
Zunächst einmal ist es wichtig, sich zu fragen, wozu man bereit ist. In vielen Familien funktioniert zum Beispiel das gemeinsame "Familienbett" über Jahre hinweg optimal, alle sind damit zufrieden und dann gibt es auch keinen Grund, etwas daran zu ändern. Auch dann nicht, wenn Nachbarn, Großeltern oder Freunde anderer Meinung sind. Geändert werden muss das Verhalten dann, wenn Schlaf zum Problemthema in der Familie wird, sich durch den ganzen Tag zieht und die Beziehung vergiftet. Dann kann man es - vorausgesetzt das Kind ist körperlich und seelisch gesund - mit der Ferber-Methode beziehungsweise ihren Abwandlungen probieren. Und dann sollte man auch versuchen, durchzuhalten. Denn es dauert seine Zeit, bis eingeschlichene Gewohnheiten sich wieder verändern.
Nicht mit Kinderseelen experimentieren
Sollte das Kind aber auffällige Verhaltensweisen zeigen oder krank werden, muss man auf jeden Fall eingreifen. Denn ein Kind, das Hilfe benötigt - egal ob seelisch oder körperlich - allein zu lassen, wäre unverantwortlich, selbst wenn es sich nur um Minuten handelt. Der Familientherapeut Paul Suer, selbst Autor einiger Bücher zum Thema Kinderschlaf und mehrfacher Vater, steht der Ferber-Methode ebenfalls skeptisch gegenüber: "Wenn das Kind gesund ist, kann eine konsequente und klar abgegrenzte Vorgehensweise hilfreich sein, damit der Familienfrieden wieder hergestellt wird. Aber Kinder sind nun mal Kinder und wir sollten mit ihren kleinen Seelen nicht experimentieren."
Der Einsatz eines Schlaftagebuchs als eine Lösung
Oft hilft es bereits, ein Schlaftagebuch zu führen. Daran lässt sich meist deutlich erkennen, welche Verhaltensweisen dazu führen könnten, dass das Kind alleine nicht zur Ruhe kommt. So kann manches Schlafproblem bereits im Vorfeld erkannt und beseitigt werden. Genauso wichtig wie feste Schlafenszeiten und Einschlafrituale wie die Gute-Nacht-Geschichte ist es, sich untereinander einig zu sein. Über einen grundsätzlichen Ablauf und den Schlafplatz an sich sollte es keine Diskussionen geben. Jeder Elternteil kann aber durchaus seine persönliche Art haben, die Kinder ins Bett zu bringen. Das wissen diese schon sehr früh zu unterscheiden.
Jedes Kind ist einmalig
Petra Weidemann-Böker, die Autorin des Buches "Das neue Ein- und Durchschlafbuch. Endlich ruhige Nächte für Eltern und Kind" fasst die inzwischen herrschende Grundtendenz zusammen: "Jede Familie muss ihren eigenen Weg finden. Es gibt keine Patentlösung. Warum? Weil jedes Kind einmalig ist. Weil jedes Kind anders tickt. Weil die Situation in jeder Familie anders ist. Wir leben eben nicht in einer genormten Welt mit perfekten Menschen und mit Kindern ‚von der Stange‘, die sich in ein Raster stecken lassen und programmgemäß reagieren."
- Die Informationen ersetzen keine ärztliche Beratung und dürfen daher nicht zur Selbsttherapie verwendet werden.