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Zum journalistischen Leitbild von t-online.Studie aus den USA Grippeimpfung könnte vor Demenz schützen
Demenz gilt als Schreckgespenst im Alterungsprozess. Neue Forschungen legen nun nahe: Eine regelmäßige Grippeimpfung könne das Erkrankungsrisiko signifikant reduzieren.
Etwa 1,6 Millionen Deutsche leiden an Demenz. Typische Symptome sind Beeinträchtigungen des Gedächtnisses, der Verlust von erworbenen geistigen und intellektuellen Fähigkeiten und Fertigkeiten oder auch die Veränderung der Persönlichkeit. Ursache ist das Absterben von Nervenzellen und der Verbindung untereinander im Gehirn.
Eiweiße im Gehirn verklumpen
Bei der häufigsten Form der Demenz – der Alzheimer-Erkrankung – stören bestimmte Eiweißansammlungen (Plaques) die Kommunikation der Nervenzellen. Daran beteiligt ist das Protein Beta-Amyloid. Es kommt natürlich im Körper vor und wird im Gehirn gesunder Menschen problemlos gespalten und abgebaut. Bei Alzheimer jedoch verklumpen die Eiweiße und lagern sich zwischen den Nervenzellen wie ein Belag ab.
Nun legt eine neue Studie aus den USA nahe: Regelmäßige Grippeimpfungen könnten dazu führen, das Beta-Amyloid besser abgebaut wird.
Grippeimpfung mindert Risiko
Untersucht wurden 120.000 US-Veteranen im Durchschnittsalter von 75,5 Jahren. Analysiert wurden die Krankenakten dieser Probanden zwischen dem 1. September 2009 und dem 31. August 2019. Alle hatten zum Startzeitpunkt keine demenzielle Erkrankung. Die Forscher teilten die Personen dann in zwei Gruppen ein. Grundlage war die Anzahl der Grippeimpfungen, die sie erhalten hatten.
Im durchschnittlichen Beobachtungszeitraum von etwas mehr als sechseinhalb Jahren erkrankten knapp 16.000 Studienteilnehmer neu an Demenz. Die Analyse ergab, dass die Inanspruchnahme von Grippeimpfungen das Risiko für die Erkrankung minderte, allerdings abhängig von der Häufigkeit der verabreichten Pikse. Wer mehr als sechs Grippeimpfungen hatte, hatte ein um 12 Prozent verringertes Risiko, an Demenz zu erkranken.
40.000 Menschen könnten vor Demenz bewahrt werden
"Dieser Effekt ist nicht unerheblich. Bei jährlich etwa 330.000 Demenz-Neuerkrankungen in Deutschland könnten somit durch regelmäßige Grippeimpfungen fast 40.000 Menschen jährlich vor der Diagnose Demenz bewahrt werden", erklärt Professor Dr. Richard Dodel, Demenzexperte bei der Deutschen Gesellschaft für Neurologie (DGN).
"Allerdings muss man hervorheben, dass es sich hier um eine retrospektive Auswertung handelt, zwar eine mit einer hohen Zahl an Studienteilnehmenden und sorgfältiger Durchführung, die aber dennoch keinen Beweischarakter hat, sondern nur eine Assoziation aufzeigen kann."
Auch andere Studien haben bereits einen Zusammenhang zwischen Impfungen und Demenzrisiko aufgezeigt – etwa die Impfungen gegen Diphtherie oder Tetanus. Und auch tierexperimentelle Daten deuteten auf Zusammenhänge hin.
Immunzellen im Gehirn bauen gefährliche Stoffe ab
Vereinfacht ausgedrückt erklären die Autoren die Ergebnisse so: Die Impfungen führen zu einem Anstieg der Aktivität von Mikroglia, quasi den "Immunzellen des Gehirns". Sie erkennen krankheitsauslösende Stoffe und Abfallprodukte und bauen sie ab. Das Tierexperiment zeigte, dass die die erhöhte Mikroglia-Aktivität nach einer Impfung zu einem vermehrten Abbau von Beta-Amyloid führt. Dieses sammelt sich bei der Alzheimer-Erkrankung an und schädigt die Nervenzellen.
"Die grundlegende Idee vieler Alzheimertherapien ist es, Beta-Amyloid aus dem Körper zu schleusen, bevor das Protein Schaden im Gehirn anrichten kann. Wenn prospektive Studien nun zeigen, dass wiederholte Grippeimpfungen genau diesen Effekt haben und Beta-Amyloid abbauen, wäre das ein Durchbruch für die Demenztherapie", so Richard Dodel.
Potentieller Zusatznutzen von Impfungen
Eindeutig bewiesen ist der Zusammenhang jedoch noch nicht. "Der beobachtete positive Effekt von Impfungen auf das Demenzrisiko könnte letztlich auch daran liegen, dass Menschen, die sich regelmäßig impfen lassen, auch sonst gesünder leben und somit ein geringeres Krankheitsrisiko haben. Daher brauchen wir nun weiterführende, prospektive Studien, um den Zusammenhang eindeutig zu klären", so Dodel weiter.
Und der Generalsekretär der DGN, Dr. Peter Berlit, nimmt Bezug zur aktuellen Impfdebatte: "Derzeit wird viel über potenzielle Risiken von Impfungen diskutiert, allgemein, aber vor allem im Hinblick auf die Impfung gegen SARS-CoV-2. Aber es gibt nicht nur potenzielle Risiken, sondern auch potenzielle Zusatznutzen der Impfung, die bislang in den Diskussionen gar nicht angeführt werden. Für eine informierte Entscheidung sollte nach Möglichkeit aber alles bedacht werden."
- Die Informationen ersetzen keine ärztliche Beratung und dürfen daher nicht zur Selbsttherapie verwendet werden.
- Eigene Recherche