Die subjektive Sicht des Autors auf das Thema. Niemand muss diese Meinung übernehmen, aber sie kann zum Nachdenken anregen.
Was Meinungen von Nachrichten unterscheidet.Versorgungschaos und falscher Fokus Mitten in Deutschland herrscht Angst um unsere Kinder
Übervolle Arztpraxen, Medikamenten-Notlage, Lockdown-Folgen: Eine Gruppe leidet darunter besonders. Für sie muss der Gesundheitsminister sofort handeln.
Was glauben Sie, würde bei einer akuten Corona-Welle infolge einer neuen gefährlichen Virusvariante in diesem Winter passieren? Richtig: Ein Ministerpräsidententreffen würde kurzfristig einberufen, drastische Sofortmaßnahmen würden ergriffen und unser Gesundheitsminister träte mit markigen Worten in Talkshows auf.
Was aber passiert bei einer beispiellosen Krankheitswelle, von der derzeit wohl Millionen Menschen betroffen sind, und die mit einem Medikamenten-Notstand zusammenfällt? Es wird ein Eckpunktepapier für ein Gesetzesvorhaben vorgelegt. Dauer bis zum Inkrafttreten des Gesetzes: mehrere Monate.
Akute Probleme in der Gesundheitsversorgung
Deutschland liegt seit Wochen flach. Vor allem Kinderarztpraxen ächzen unter einem immensen Andrang. Zahlreiche Medikamente, allen voran für Kinder, sind nicht lieferbar. Doch von politischen Sofortmaßnahmen fehlt jede Spur. Das macht gerade vor allem Eltern wütend und bestätigt sie in dem Gefühl, dass mal wieder – wie schon während der Pandemie – die Interessen von Kindern keine Rolle spielen.
Was der Medikamenten-Notstand bedeutet, habe ich gerade erst erlebt: Die dreieinhalb Monate alte Tochter hat Fieber und braucht Zäpfchen. In der Apotheke heißt es: "Wir kriegen derzeit zwei Packungen." – "Pro Tag?" – "Pro Woche!" – "Zwei?" – "Zwei." Das Lächeln der Apothekerin wirkt gequält, eine Mischung aus Zynismus und Verzweiflung. Sie arbeitet in einer der größten Apotheken im Kiez. Manchmal, sagt sie, sei außerplanmäßig mal was dabei, Ersatzmittel gebe es leider keine, sie könne nichts machen.
Apotheken-Geheimtipp und zu teure Medikamente
Hinter vorgehaltener Hand schreibt sie mir auf einen kleinen Notizzettel potenzielle Geheimtipps, Filialen im Berliner Raum, die ich abtelefonieren soll. Darunter tatsächlich ein Treffer: Freundlich betteln hilft, mir werden Schmerzzäpfchen zurückgelegt. Ich werde 20 Autominuten und kurz vor dem mittäglichen Ladenschluss später glücklicher Besitzer einer Packung sein. Den beliebten, sogenannten Fiebersaft gleicher Marke für unseren gut zwei Jahre alten Sohn bekommen wir übrigens schon seit Monaten nicht mehr.
Woran liegt das? Kleine Kinder bekommen Zäpfchen oder Säfte. Die sind aufwendiger herzustellen als Tabletten, das Abfüllen ist schwieriger, dazu sind Säfte weniger lang haltbar als Tabletten. All das macht Kinderarzneimittel teurer als Erwachsenenmedikamente. Die Pharmaindustrie verdient zu wenig an Medikamenten für Kinder, Hersteller haben sich in den letzten Jahren aus dem Markt zurückgezogen. So gibt es eine nur geringe Auswahl an Produkten. Kommt es dann zu solch drastischen Krankheitswellen unter Kindern wie jetzt, sieht das deutsche Gesundheitssystem alt aus. Die Kleinen sind nicht rentabel im System der Großen.
"Das fällt uns jetzt auf die Füße"
Mit meinem Sohn saß ich eine Woche zuvor gleich zweimal in einer völlig überfüllten Kinderarztpraxis. Eltern wissen, was das heißt, während langer Wartezeiten einen nöligen, weinenden Jungen zu betreuen – inmitten einer Horde anderer kranker Kinder.
Gut zwei Drittel dieser Kinder, also der Hauptteil, seien an Grippe erkrankt, dazu komme das Respiratorische Synzytial-Virus, kurz RS-Virus, der Rest habe Corona, sagte der Kinderarzt, der schon lange für mich ein Held ist in diesem System. Dass seine Zunft mittlerweile regelmäßig streikt, verstehe ich nur zu gut. Er sagt, Kinder seien durch die langen Corona-Kontaktbeschränkungen infektanfälliger geworden, ihr Immunsystem sei weniger stark als sonst in der Virenabwehr. Denn Kinder müssen ständig mit Bakterien und Viren in Kontakt sein, damit ihr Körper sie kennenlernt. Durch die Lockdowns wurde das mehrfach ausgesetzt. "Das fällt uns jetzt auf die Füße", sagt auch eine Apothekerin.
Personalmangel und -ausfall durch Krankheit kommen obendrauf. In Krankenhäusern und Kinderarztpraxen muss gerade eine große Zahl an Kindern von immer weniger Ärzten und Pflegern versorgt werden. Die Folge: Familien – auch in meinem Umfeld – werden von Krankenhäusern abgewiesen oder mit ihren Kindern erst im dritten Klinikum behandelt. Viele kleine Patienten können momentan nur schlecht mit atemwegserweiternden Inhalationen und Antibiotika versorgt werden. Das kann für sie richtig gefährlich werden, warnen Praktiker.
Negativfolgen der Corona-Lockdowns
Deutschlands Familien waren von der Pandemie besonders stark betroffen. Sie litten nicht nur psychisch, auch körperlich zeigen sich nun die Folgen. Es hilft zwar nichts, rückblickend über das Für und Wider der Lockdowns zu diskutieren. Doch wenigstens jetzt, da die Kinder erneut Leidtragende dieser Politik sind, muss endlich gehandelt werden. Der Gesundheitsminister muss sich nicht wundern über zynische Kommentare und entnervte Eltern, die ihn als reinen Corona-Minister abtun. Er sollte daraus den Schluss ziehen, endlich zum Gesundheitsminister für alle zu werden.
Was wir jetzt brauchen ist eine staatliche Krisenhilfe, fehlende Arzneimittel müssen sofort und auch auf dem weltweiten Markt beschafft und schnelle Maßnahmen wie zu Beginn der Corona-Pandemie endlich ergriffen werden.
Vor allem aber brauchen wir eine Lobby für Kinder im Industrie- und Rentnerstandort Deutschland. Denn sie sind die Zukunft unserer Gesellschaft und unseres Wohlstands.
- Die Informationen ersetzen keine ärztliche Beratung und dürfen daher nicht zur Selbsttherapie verwendet werden.
- eigene Beobachtungen und Apothekenbesuche
- ZDF-Beitrag zur Notlage bei der Kinder-Medikamentenversorgung
- Lauterbach-Pläne gegen Medikamenten-Engpass