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Darum braucht es ein Ölembargo – und keinen Boykott


Streit in der EU
Diese Tücken hätte ein Ölembargo

Von t-online, mak

03.05.2022Lesedauer: 4 Min.
Überschüssiges Gas aus der Rohölverarbeitung der PCK-Raffinerie in Schwedt wird verbrannt (Symbolbild): Die Raffinerie wird von Rosneft betrieben.Vergrößern des Bildes
Überschüssiges Gas aus der Rohölverarbeitung der PCK-Raffinerie in Schwedt wird verbrannt (Symbolbild): Die Raffinerie wird von Rosneft betrieben. (Quelle: Jochen Eckel/imago-images-bilder)

Die EU-Kommission berät über ein Ölembargo gegen Russland. Tatsächlich braucht es das auch, dennoch sträuben sich einige Länder. Sie fürchten die Folgen – denn diese sind in der Tat unberechenbar.

Kommt jetzt ein EU-weites Embargo gegen russisches Öl? Die Zeichen deuten jedenfalls daraufhin. Wirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) geht davon aus, dass die Kommission am Dienstag ein sechstes Sanktionspaket vorschlagen werde, "inklusive dem Ausstieg vom russischem Öl", sagte er am Montagabend.

"Wie hart die Embargo-Bedingungen definiert werden, da wird sicherlich noch ein bisschen beraten werden", so Habeck. Spätestens am Mittwoch soll das Paket stehen.

Der Wirtschaftsminister ist sicher, auch Zögerer wie Ungarn oder die Slowakei zu einem Embargo überzeugen zu können (wie das gelingen soll, lesen Sie hier). Das braucht es auch, denn Fakt ist: Die EU sollte nicht etwa auf einen Boykott setzen.

Embargo ist effektiver als ein Boykott

Was ähnlich klingt und oftmals im selben Zug genannt wird, hat einen entscheidenden Unterschied: Ein Boykott ist freiwillig, hier schließen sich Firmen oder Staaten zusammen, um bestimmte Länder zu boykottieren, sprich: keinen Handel mehr mit diesen zu treiben. In diesem Fall also Russland. Ein Embargo ist dagegen staatlich organisiert, hier müssen alle Firmen mitmachen – ob sie wollen oder nicht.

Daher unterscheiden sich auch die juristischen Folgen der Maßnahmen drastisch. Boykottierten die EU-Staaten beziehungsweise die Firmen etwa die Ölimporte von Russland, würden sie gegen Lieferverträge verstoßen, die langfristig geschlossen wurden und mit denen sie sich verpflichten, Mindestmengen abzunehmen. Auch beim Gas gibt es solche Verträge.

Ölembargo wäre "höhere Gewalt"

Wenn die Unternehmen Russland freiwillig boykottieren und damit die Verträge brechen würde, könnte Russland folglich Schadenersatz verlangen. Oder die Firmen wären gezwungen, weiter die Mindestmengen zu bezahlen, ohne sie abzunehmen. Dadurch könnte Russland doppelt kassieren: In Europa und wenn sie die überschüssigen Mengen nach Asien exportieren.

Anders sieht es bei einem Ölembargo aus: Hier gelten die Lieferverträge nicht mehr. Bei solchen Kontrakten finden sich im Regelfall sogenannte "Force Majeure"-Klauseln, also bestimmte Paragraphen, die auf "höhere Gewalt" abzielen. Bei einem Ölembargo würden diese greifen, insofern wären die Firmen auf der sicheren Seite.

"Es würde nicht mehr zu einer Vollkatastrophe führen"

Dennoch sind die Folgen eines Ölembargos gegen Russland offen. Ein abrupter Ölimportstopp könnte nach Einschätzung von Ökonomen die Preise auf dem Weltmarkt vorübergehend drastisch antreiben und die Konjunktur in Deutschland bremsen.

Darüber ist sich auch Habeck im Klaren. "Es würde sicherlich zu regionalen Engpässen führen, es würde sicherlich zu höheren Preisen führen, es würde möglicherweise auch zu lokalen Unterbrechungen kommen. Man kann also nicht sagen, niemand merkt es. Aber es würde nicht mehr zu einer Vollkatastrophe führen", sagte der Minister.

Expertin rechnet mit steigenden Spritpreisen

Auch die Energieexpertin des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW), Claudia Kemfert, hält ein Öl-Embargo für machbar. "Deutschland kann und muss es sich leisten, auf russisches Öl zu verzichten", sagte sie.

"Statt aus Russland kann Deutschland Öl aus Norwegen, USA, Nordafrika oder aus dem arabischen Raum beziehen. Öl-exportierende Staaten verdienen derzeit viel und können auch mehr liefern." Folgenlos bliebe das aber nicht: Die DIW-Expertin rechnet mit steigenden Spritpreisen.

Übergangsfristen – etwa bis Anfang kommenden Jahres – würden einen Preissprung am Markt infolge eines Embargos wahrscheinlich verhindern oder zumindest abmildern – aber zeitgleich würde die Sanktion auch an Schlagkraft gegen Putin verlieren.

Die Vorsicht könnte überwiegen. Aktuell ist es wahrscheinlich, dass ein Embargo mit einer solchen Frist beschlossen wird und womöglich in verschiedenen Stufen in Kraft treten könnte. Nach Informationen des "Handelsblatts" möchte die EU zuerst auf Benzin und Diesel aus Russland verzichten und bis zum Ende des Jahres auf Rohöl.

Deutschland hat Abhängigkeit stark reduziert

Bis zuletzt war aber unklar, unter welchen Bedingungen sehr stark von russischen Öllieferungen abhängige Länder die benötigte Zustimmung zu einem EU-Einfuhrverbot geben könnten. Dabei müssen EU-Sanktionen einstimmig von den Mitgliedsstaaten verabschiedet werden.

Die restlichen EU-Länder müssen also auf Ungarn, Italien oder die Slowakei im Zweifelsfall zugehen. Möglich wäre das über Ausnahmeregelungen, oder noch längere Übergangsfristen. Aktuell zeichnen sich Ausnahmen für Ungarn und die Slowakei ab, Italien und weitere Staaten dringen auf längere Fristen.

Deutschland hat sich lange gegen ein Ölembargo gestemmt, sich nun aber dafür positioniert. Wohl auch, weil es laut Habeck mittlerweile leichter zu verkraften ist. "Die Beendigung der Abhängigkeit von russischen Rohölimporten zum Spätsommer ist realistisch", heißt es im zweiten Fortschrittsbericht des Wirtschaftsministeriums.

Bei russischem Öl wurden demnach von der Mineralölwirtschaft Verträge nicht verlängert oder sie liefen aus. Deutschland ist nur noch zu zwölf Prozent auf russisches Öl angewiesen, so Habeck.

Raffinerie in Ostdeutschland bereitet Probleme

Die letzten 12 Prozent stellen den Wirtschaftsminister dennoch vor Herausforderungen. Insbesondere in Ostdeutschland sei der Prozess, gänzlich von russischem Öl unabhängig zu werden, anspruchsvoll. Das betrifft vor allem die Raffinerie in Schwedt, die laut dem Fortschrittsbericht weiterhin ausschließlich russisches Rohöl bezieht.

"Da sie mehrheitlich im Besitz des russischen Staatskonzerns Rosneft ist, ist hier eine freiwillige Beendigung der Lieferbeziehungen mit Russland nicht zu erwarten", heißt es. Oder deutlicher: Der russische Staatskonzern möchte Deutschland nicht dabei unterstützen, von Russland unabhängig zu werden – das ginge schließlich gegen russische Interessen.

Doch die Bedeutung der Raffinerie ist groß. Steht Schwedt still, könnten in Berlin und Brandenburg die Tankstellen leerlaufen, der Flughafen könnte stillgelegt werden (mehr dazu lesen Sie hier)

Es räche sich, "dass trotz des Krim-Kriegs ein russischer Energiekonzern so starken Einfluss auf die Versorgungssituation bekommen hat". Die Bundesregierung will dieses Problem lösen. Wie das geschehen soll, lesen Sie hier.

Putin ist unberechenbar

Ein Faktor bleibt aber bei aller Planung unsicher: Die Reaktion des russischen Präsidenten Wladimir Putin. Möglich, dass er der EU Vertragsbruch vorwirft, auch bei einem Ölembargo.

Ob er aber als Vergeltungsmaßnahme tatsächlich den Gashahn zudrehen wird, wie von einigen Experten befürchtet, ist wohl unwahrscheinlich. Denn nicht zuletzt ist Putin auch abhängig von den Erlösen aus dem Gasverkauf, so schnell findet er keine alternativen Abnehmer.

So sagte jüngst Ifo-Präsident Clemens Fuest t-online: "Aus ökonomischer Sicht würde ich sagen: Russland hat ein dringendes Interesse, uns weiter Gas zu verkaufen." Aber eben auch: "Wir haben in den vergangenen Monaten gelernt, dass Putin kaum berechenbar ist."

Verwendete Quellen
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