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Zum journalistischen Leitbild von t-online.Peter Altmaier Der Abschied fällt schwer
Über Jahrzehnte stand Peter Altmaier auf der politischen Bühne, 30 Jahre
Es ist Anfang Februar 2019, Corona steht noch für eine Biermarke, als Wirtschaftsminister Peter Altmaier vor die Presse tritt, um Großes zu verkünden. Etwas, das ihn endgültig zu jenem Vorgänger aufrücken lassen soll, in dessen Fußstapfen ihn seine Partei beim Amtsantritt stellte: Ludwig Erhard, Macher des Wirtschaftswunders, die Zigarre im Mundwinkel, schon äußerlich die Großindustrie in Person.
Doch Altmaier scheitert. Die "Nationale Industriestrategie 2030", die er vorstellt, sollte für "nationale wie europäische Champions" sorgen – und brachte ihm doch nur Stirnrunzeln und erhobene Augenbrauen ein. Größter Anlass für die anschließende Kritik: Im Wettbewerb mit China solle notfalls der Staat Arbeitsplätze sichern, große Konzerne sich zusammentun, um im Kampf mit Fernost zu bestehen.
Die Wirtschaft reagierte verschnupft. Ein Wirtschaftsminister, der Planwirtschaft befürworte? "Total daneben", heißt es bis heute. Da half auch wenig, dass Altmaier kurz später mit einer neuen "Strategie" um die Ecke kam, diesmal für den Mittelstand. Das Kind war in den Brunnen gefallen.
Altmaier wollte "provozieren"
Jetzt, fast drei Jahre später, geht Altmaiers Amtszeit als Bundesminister für Wirtschaft und Energie zu Ende. Und damit auch seine politische Karriere. Bei der Abschluss-Pressekonferenz, der insgesamt 180. im Ministerium, wie er am Montag vorrechnet, gibt sich Altmaier staatsmännisch – und zufrieden. Auch im Rückblick auf besagte Industriestrategie, die er einst erfand.
Er habe es stets als seine Rolle verstanden, "den Buckel hinzuhalten, zu provozieren, eine Diskussion auszulösen", sagt er. Das gelte auch für das 2019 präsentierte Papier, das er nicht bereue. "Ich war und bin mir bewusst, dass die Marktwirtschaft die beste Wirtschaftsform ist, um den größten Mehrwert zu schaffen", betont er.
Und das "aber"? Es sei nun mal so, dass Staat und Wirtschaft zusammenarbeiten müssten, dass es Rahmenbedingungen brauche, so Altmaier. Es sei eine Illusion zu glauben, dass sich Mittelständler "völlig auf sich alleingestellt" gegen die großen Player behaupten könnten.
Altmaier als "Kanzleramtsminister im Wirtschaftsministerium"
Altmaier gilt als Tausendsassa, als vielfältig einsetzbar, als erfahrener und routinierter Kenner des Politikbetriebs. Ein erreichbarer Problemlöser, ein Anpacker. Und nicht zuletzt ein loyaler Vertrauter der Kanzlerin.
Oft genug wirkte Altmaier in den vergangenen Jahren aber auch planlos, unentschlossen. Manche beschreiben ihn gar als tollpatschig. Altmaier sei niemand, der auf den Tisch gehauen habe, wenn es nötig war, kritisieren ihn Kenner. Vielmehr sei er ein "Kanzleramtsminister im Wirtschaftsministerium, der stets einen Kompromiss im Kopf hat", heißt es aus Wirtschaftskreisen. Nicht selten preschte er dabei vor, nur um seine Beamten später zurückrudern zu lassen. Auch bei seiner Industriestrategie war das so.
Er war Teil der "Pizza-Connection"
Peter Altmaier stammt aus einer Arbeiterfamilie im Saarland, studierte dort Jura und engagierte sich früh politisch bei der Jungen Union. Seit 45 Jahren ist er mittlerweile Mitglied in der CDU und kann sich laut eigener Aussage auch keine andere Partei vorstellen. 1990 wurde er zunächst Beamter in Brüssel, lernte dort Friedrich Merz kennen, damals noch EU-Abgeordneter.
1994 wurde Altmaier erstmals in den Bundestag gewählt. Er zog mit dem Parlamentssitz von Bonn nach Berlin, fast drei Jahrzehnte gehörte er dem hohen Haus an. Dort war er Teil der sogenannten "Pizza-Connection", einer informellen Runde junger CDU- und Grünen-Abgeordneter – in einer Zeit, in der eine Zusammenarbeit von Konservativen und Ökos noch als verpönt galt.
Lange Jahre wurde Altmaier nicht für höhere Ämter gehandelt. Auch er selbst habe wegen seiner Figur und seinem Äußeren lange nicht damit gerechnet, dass er eines Tages in der ersten Reihe stehe, erzählte er später einmal.
Als Kanzleramtsminister glänzte er
Doch seine Zeit kam: Sein erstes Ministeramt erhielt er 2012. Als Nachfolger Röttgens wurde er Umweltminister, mit damals 53 Jahren. Anderthalb Jahre später übernahm er das Amt, das er auch seinen Kritikern zufolge am besten ausfüllte: Er wurde Kanzleramtsminister – und glänzte in der Flüchtlingskrise 2015 als deren zentraler Koordinator. Im Oktober 2017 übernahm er dann auch kurzerhand noch das Finanzministerium, bis die neue Unions-und-SPD-Regierung stand, in der er Wirtschaftsminister wurde.
In diesem Amt, seine wahrscheinlich letzte politische Station, jedoch hatte er kein sonderlich glückliches Händchen. Sicher, es gab Projekte, die auf Altmaiers Konto gehen, das sagen auch Leute, die ihn nicht für einen guten Minister halten. So hat er zum Beispiel den Aufbau einer Batteriezellenfertigung in Deutschland und der EU mit staatlicher Förderung vorangetrieben. Oder wie Altmaier bei der Pressekonferenz sagte: Er habe "einen harten und schwierigen Kampf bergauf geführt" – mit Erfolg.
In der Corona-Krise gefordert, in der Klimakrise ausgebuht
Doch beispielsweise in der Energie- und Klimapolitik, für die er auch zuständig war, werfen Kritiker Altmaier vor, zu wenig für den Ausbau der erneuerbaren Energien getan zu haben. 2019 wollte Altmaier auf einer Demo der Klimaaktivisten von "Fridays for Future" vor seinem Ministerium reden – er kam aber nicht zu Wort und wurde ausgebuht. Auch die hiesige Start-up-Branche fühlt sich seit Jahren von Altmaier stiefmütterlich behandelt.
Zum tragischen Helden wurde Altmaier schließlich während der Corona-Krise. Als es im Frühjahr 2020 galt, Hilfen für Hunderttausende Firmen bereitzustellen, war unklar, welches Ressort den Prozess übernehmen solle. Der damalige Finanzminister Olaf Scholz fühlte sich Insidern zufolge nicht zuständig, wollte sich an dieser unbeliebten, fehleranfälligen Aufgabe nicht die Finger verbrennen. Also nahm Altmaier, fast ehrenvoll, das Ruder in die Hand.
Was davon hängen geblieben ist: die "Bazooka", die Olaf Scholz verkündete – und die Tatsache, dass viele Hilfen nicht oder zu spät fließen. Auch hier kritisierten viele Firmen wieder die Konzeptlosigkeit Altmaiers, die überzogene Bürokratie bei der Antragsstellung – und nicht Scholz, der sie über die Finanzämter deutlich hätte verringern können.
Seine politische Karriere endet
Trotz aller Kritik an seiner Person wäre Altmaier gerne Minister geblieben. Der Abschied fällt ihm schwer. Schon im Wahlkampf zählte er zunächst zu den Unterstützern von Markus Söder als potenziellem Unionskanzlerkandidat – wohl auch, weil er sich mit ihm größere Chancen auf ein abermaliges Ministeramt ausrechnete.
Der 63-Jährige hat weder Frau noch Kinder, ist damit aber zufrieden, wie er einmal sagte. Altmaier, der bislang für die Politik lebte, regelmäßig noch abends bis tief in die Nacht arbeitete und Journalisten in seine Privatwohnung einlud, wird sich nun eine andere Beschäftigung suchen müssen.
Denn mit dem Ende der Amtszeit als Wirtschaftsminister endet auch seine politische Karriere. Zwar war Altmaier eigentlich noch einmal über die CDU-Landesliste im Saarland in den Bundestag gewählt worden, hatte aber zusammen mit der scheidenden Verteidigungsministerin Annegret Kramp-Karrenbauer zugunsten jüngerer CDU-Politiker auf sein Mandat verzichtet.
Sein Nachfolger im Wirtschaftsministerium wird Robert Habeck, der Shooting-Star der Grünen, ein regelrechter Gegenentwurf zum bisweilen behäbig wirkenden Altmaier. Habeck wird künftig neben der Wirtschaft auch das Ressort Klimapolitik verantworten.
Altmaier und die Bismarck-Anekdoten
Und Altmaier? Er wird nun ein zweites Leben führen, jenseits der Politik. Und darüber scheint er mittlerweile nicht mehr sonderlich traurig zu sein. So verkündete er bei der Pressekonferenz, dass er nun "Zeit für Dinge" habe, für die er lange keine hatte. Es heißt, er koche gern, pflege den Garten und eine umfangreiche Privatbibliothek. Nicht ohne Grund hat er stets ein Zitat von Goethe oder eine Anekdote zu Bismarck auf den Lippen.
Als sicher gilt auch, dass Altmaier sich seinen Humor behalten wird. Einmal sagte er etwa mit Blick auf seine Figur, er sei der "gewichtigste Minister". 2013, als er zum Oldenburger "Grünkohlkönig" gekrönt wurde, kündigte er an: "Jetzt kommt XX-Large" – und verriet kurz darauf freimütig: "XXL passt mir schon lange nicht mehr."
Er wird sich ins Saarland zurückziehen, wo er ein Haus besitzt, erzählte er bereits, und eine Auszeit nehmen. Doch im politischen Berlin wird Altmaier als Gesprächspartner gefragt sein, auch wenn er keine Ratschläge geben will. Er wird in Erinnerung bleiben. Als Peter Altmaier, als Bismarck-Kenner – oder als Ludwig Erhards nicht ganz perfekter Erbe.
- Eigene Recherche
- Pressekonferenz im Wirtschaftsministerium
- tagesschau.de: "Sein letztes Mal"
- Tagesspiegel: "Minister ohne Plan von der Wirtschaft?"
- n-tv.de: "Altmaier war "Beruhigungspille der Republik""
- Handelsblatt: "Jetzt kommt XX-Large"
- Mit Material der Nachrichtenagentur dpa