Junge Digital-Unternehmer Altmaier-Berater rudern in Pressefreiheit-Affäre zurück
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Zum journalistischen Leitbild von t-online.Ein Positionspapier eines Beratergremiums von Minister Altmaier sorgt für Wirbel: Junge Unternehmer wünschen sich darin eine Einschränkung der Pressefreiheit. Jetzt ist einer der Unterzeichner zurückgetreten – doch es bleiben Fragen offen.
"Disziplinierung der Presse", "Regeln zur Vermeidung diffamierender Artikel" und eine "Verpflichtung der Presse zur Berichterstattung über kleine IPOs": Ein Positionspapier des Beirats Junge Digitale Wirtschaft (BJDW), einem Beratergremium von Wirtschaftsminister Peter Altmaier (CDU), hatte am Montagabend für viel Empörung gesorgt. Der Vorwurf: Die jungen Unternehmer wollen die Pressefreiheit einschränken.
Jetzt will der Vorsitzende des BJDW, Christian Vollmann, offenbar zurückrudern: In einem Post im Netzwerk Linkedin spricht er von einer "vorläufigen Arbeitsversion", die so nicht hätte öffentlich werden sollen. Er übernehme die volle Verantwortung, es handle sich nicht um die Position des Beirats. "Wir bekennen uns vollumfänglich zur Pressefreiheit", so Vollmann. Und weiter: "Wir korrigieren den Fehler umgehend und bitten, diesen zu entschuldigen."
Später distanziert sich Vollmann im Namen des Beirates in einem offiziellen Statement erneut von den Äußerungen: "Unser Fehler als Beirat ist, dass unsere internen Kontrollmechanismen versagt haben", erklärt der Vorsitzende in diesem.
Was war geschehen? Warum gibt es einen solchen Wirbel um den Beirat und seine Thesen? Um diese Fragen zu beantworten, muss man etwas weiter ausholen – und beim Leid beginnen, das viele Start-up-Gründer in Deutschland klagen:
Gründer beschweren sich über schlechte Presse
Immer wieder bemängeln sie, teils öffentlich, teils hinter vorgehaltener Hand, dass es in Deutschland kein wohlwollendes Klima für Unternehmensgründungen gebe. Es fehle, so heißt es immer wieder, an Unterstützung seitens der Politik, aber auch von der Presse.
Diesen Gedanken hatten offenbar auch die Mitglieder des BJDW; einem Gremium, das einst Altmaiers Vorvorgänger Philipp Rösler (FDP) ins Leben gerufen hatte, und den jeweiligen Bundeswirtschaftsminister bei Fragen zu Digitalwirtschaft und den Wünschen junger IT-Unternehmen beraten soll.
In einem Positionspapier zum Thema Börsengänge kleiner Firmen, über das am Montag zunächst das "Handelsblatt" berichtete, spricht sich der BJDW unter anderem für die "Gewährleistung einer ausgewogenen Berichterstattung über Börsengänge" aus – und zwar "durch den Erlass von Regel zur Vermeidung einseitig diffamierender Artikel".
Scharfe Kritik vom Journalisten-Verband
Besonders die folgenden zwei konkreten Vorschläge in dem Papier, das bis zum Abend auf der Webseite des Wirtschaftsministeriums zum Download bereit stand, sorgten dabei für viel Kritik:
- "Verpflichtung der Presse zur Berichterstattung auch über kleine IPOs (fallen sonst bei den großen Medien ganz durchs Raster)"
- "Disziplinierung der Presse zu sachlicher, richtiger und vollständiger Information, bewehrt durch die Pflicht zur unverzüglichen Gegendarstellung bei Fehlinformation"
Im Klartext heißt das: Die Autoren des Papiers wünschen sich, dass die Politik die in Artikel 5 des Grundgesetzes verankerte Pressefreiheit für Journalisten einschränkt – damit es junge Firmen bei Börsengängen (IPOs) leichter haben. Wie Sie als Anleger von einem Börsengang profitieren können, lesen Sie hier.
Entsprechend harsch fiel die Kritik aus. Vom Deutschen Journalisten-Verband (DJV) hieß es: "Die Forderungen des Beirats an die Adresse der Medien zeugen von völliger Unkenntnis des Journalismus und seiner Aufgaben in der Demokratie. Sie fordern Hofberichterstattung anstelle von kritischem Wirtschaftsjournalismus."
Altmaier distanziert sich von Beirat
Auch im Kurznachrichtendienst Twitter empörten sich viele Nutzer und Journalisten über die Ideen des Beirats. Noch am Abend stellte Altmaier in einem Tweet deshalb klar:
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Am Dienstagvormittag war das Papier auf der Webseite des Wirtschaftsministeriums tatsächlich nicht mehr zu finden. Altmaier sagte weiter auf Twitter: "Der Vorsitzende des Beirates hat sich inzwischen öffentlich distanziert. Wir werden umgehend die Verantwortlichkeiten klären und gegebenenfalls Konsequenzen ziehen."
Entschuldigungen werfen weitere Fragen auf
Diese spürte kurz darauf Investor Christoph Gerlinger von der German Startups Group, der das Papier als einer von drei Vertretern der digitalen Gründerszene unterzeichnet hatte. Im Laufe des Dienstags entschuldigte er sich bei allen Journalisten und bot Altmaier seinen Rücktritt aus dem Beirat an, den Altmaier kurz darauf annahm.
Ein weiterer Unterzeichner, der Chef des High-Tech Gründerfonds, Alex von Frankenberg, übte ebenfalls Selbstkritik: "Auch ich hätte das Positionspapier vor der Veröffentlichung noch einmal persönlich prüfen müssen. Es tut mir leid, dass ich das versäumt habe." Altmaier gab am Dienstag bekannt, dass er seine Mitarbeiter um Aufklärung des Falles gebeten habe.
Die Entschuldigung des Beiratsvorsitzenden Vollmann und der Verweis auf eine 'vorläufige Arbeitsversion' wirft derweil weitere Fragen auf. Denn ein Co-Autor des "Handelsblatt"-Artikels schrieb am Dienstag auf Twitter, dass die Autoren des Positionspapiers "mit exakt diesem Papier und Bitte um Berichterstattung" auf die Zeitung zu gekommen seien. "Auf Nachfrage bekräftigten sie Wunsch nach 'strengeren Anforderungen'", schreibt der Journalist weiter. Eine Antwort vom Beirat steht bislang aus.
- Eigene Recherche
- Twitter- und Linkedin-Posts
- Mit Material der Nachrichtenagentur dpa
- "Handelsblatt"