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Zum journalistischen Leitbild von t-online.Steigende Preise Wird nun alles teurer? So wahrscheinlich ist der "Superzyklus"
Die Preise für Rohstoffe könnten langfristig anziehen – mit Folgen für Verbraucher, Anleger und die Wirtschaft. Doch ein solcher Superzyklus ist nicht in Sicht. Oder doch?
Die einen träumen von den "Roaring Twenties", die anderen fürchten eine Krise aus wirtschaftlicher Stagnation und steigenden Preisen, eine Stagflation der Siebziger und Achtziger Jahre. Beide Szenarien sind für die kommenden Jahre nicht unwahrscheinlich.
Denn ob es einen Superzyklus mit großen Gewinnchancen gibt, oder doch nur eine fiebrige Inflationsphase, weiß man immer erst hinterher: Wenn aus den kurzfristigen Preisentwicklungen für Rohstoffe tatsächlich ein Trend geworden ist, der über ein Jahrzehnt oder länger anhält. Wer darauf wetten will, muss sich klarmachen, dass Annahmen über die Beständigkeit solcher Trends heute unsicherer sind denn je.
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Ökonomen sprechen von einem Superzyklus, wenn kurzfristige Preissteigerungen für Rohstoffe in eine lange Phase steigender Nachfrage und Preise übergehen, die zwischen zehn und 35 Jahre anhält.
Historisch haben sich solche Trends in geopolitisch bedeutenden Umwälzungen eingestellt – an der Wahrscheinlichkeit einer solchen Fundamentalverschiebung sollte man die eigene Geldanlagestrategie unbedingt messen, bevor man sich in den Rohstoffmarkt stürzt.
Allein die Empfehlung von Investmentbankern hilft hier nicht viel. Denn es ist deren Geschäft, die nächste "große Geschichte" auf den Märkten in den leuchtendsten Farben zu erzählen. Die Wahrheit ist: Bisher ist noch jede angekündigte Langfristentwicklung entweder gar nicht eingetreten, oder es kam anders, als man dachte.
Vier Superzyklen seit 1900
In den vergangenen 120 Jahren gab es vier Superzyklen. Um die Wende zum 20. Jahrhundert begann der Weg der USA zur Weltmacht. Die Industrialisierung und die Verstädterung auf dem amerikanischen Kontinent nahmen Fahrt auf, und damit die Nachfrage nach Eisen und Stahl, der Verkauf von Bauholz und Brennstoff.
Der Zweite Weltkrieg mit seiner enormen Nachfrage nach Rüstungsgütern und dem anschließenden Wiederaufbau bezeichnet den zweiten Superzyklus für Rohstoffe, der Aufstieg Chinas seit Beginn dieses Jahrhunderts den dritten.
Man kann auch noch die Ölkrise der siebziger und achtziger Jahre dazurechnen, in der die Ölländer der arabischen Halbinsel das Angebot drastisch verknappten und so für einen anhaltenden Preisanstieg sorgten.
Ist eines dieser Szenarien in den kommenden Jahren wahrscheinlich? Man könnte auf Indien als neue Wirtschafts-Weltmacht setzen. Doch ob die indische Regierung die Armut im eigenen Land ähnlich erfolgreich bekämpfen kann wie die chinesische, wird bezweifelt.
Reicht es für einen Superzyklus?
Manche Experten denken, dass der Umbau der Volkswirtschaften in klimaneutrale Ökonomien die Rohstoffpreise treiben werden. Doch niemand kennt die technischen Entwicklungen (und die dafür benötigten Rohstoffe) so genau, dass jetzt schon klar wäre, welche Grundstoffe in den kommenden Jahrzehnten profitieren. Kupfer gehört wahrscheinlich dazu, Kobalt und Nickel ebenso. Aber reicht das für einen großen globalen Trend?
Für den Beginn eines Superzyklus, oder zumindest eine Hausse, sprechen folgende Argumente:
- 1. Die Nachfrage: Nach der Corona-Krise erholen sich die meisten Volkswirtschaften rasant. Die Konjunktur- und Infrastrukturpakete in den großen Wirtschaftsräumen heizen die Nachfrage zusätzlich an. Das treibt die Preise vor allem bei Rohstoffen wie Öl, Erzen und seltenen Erden, aber auch für Holz und andere Biomasse.
- 2. Das Angebot: Die Rohstoffminen der Welt sind für den Nachfrage-Boom schlecht gerüstet. In den vergangenen Jahren des Preisverfalls wurden Investitionen zurückgefahren, neue Felder und Minen lagen brach. Die Rohstoffindustrie braucht aber einen jahrelangen Vorlauf, bis das Angebot deutlich steigen und sie damit die Preise wieder herunterbringen kann. Im Moment gibt es kaum große Explorationsgebiete, die schon bald lieferfähig wären.
- 3. Der Dollarkurs: Die meisten Rohstoffe werden in der amerikanischen Währung abgerechnet. Ist der Dollarkurs wie zurzeit niedrig, steigt die Nachfrage aus anderen Währungsgebieten. Die Kunden dort bekommen mehr für ihr Geld. Diese wachsende Nachfrage treibt dann wieder die Preise in Dollar.
Dagegen spricht:
- 1. Der Aufschwung verläuft global asynchron: Chinas Wirtschaftswachstum lässt schon wieder nach, nun gewinnt das Wachstum in den USA Tempo. Europa wird in der zweiten Jahreshälfte folgen. Die wachsende Nachfrage nach Rohstoffen wird sich also möglicherweise zeitlich und räumlich entzerren. Wie nervös die Superzyklus-Investoren diese Entwicklung verfolgen, zeigt die Preisentwicklung bei Eisenerz und Schrott, die für die Stahlherstellung gebraucht werden: Die Inflations-Warnungen der chinesischen Regierung in der vergangenen Woche haben den Preis für Eisenerz wenigstens vorübergehend in den Keller geschickt.
- 2. Die Notenbanken: Ob und wie lange die Notenbanken zuschauen, wenn die Inflationsrate dauerhaft über ihre Zielmarke steigt, ist ungewiss. Irgendwann werden sie die Bremse treten, den weltweiten Aufschwung bremsen, und die Preise wieder drücken.
- 3. Die Klimakrise und die Maßnahmen dagegen: Sie werden die Nachfrage nach fossilen Roh- und Brennstoffen schon bald wieder drücken. Wie lange also werden Öl und Gas, bisher die Leitprodukte auf den Rohstoffmärkten und Treiber des Zyklus, profitieren?
- 4. Geschwindigkeit der Globalisierung: Die Zahl und die Häufigkeit tiefer Krisen nimmt mit der Geschwindigkeit der Globalisierung und des Welthandels seit Jahren zu: Heute ist kaum vorstellbar, dass ein Aufschwung wie der nach dem Zweiten Weltkrieg über zwei Jahrzehnte nahezu störungsfrei verläuft. Immer mehr Weltregionen spielen mit, Risiken wie die Finanz- und Euro-Krise oder Corona-Pandemie hatte niemand auf dem Zettel.
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Er wird leider nicht in Erfüllung gehen, schon gar nicht mit Investments in Rohstoffe. Selbst wenn wir in 30 Jahren möglicherweise Gewissheit haben, dass wir in diesen Wochen tatsächlich den Beginn eines Superzyklus beobachtet haben.
Ursula Weidenfeld ist Wirtschaftsjournalistin in Berlin. Im August erscheint ihr neues Buch: Die Kanzlerin. Portrait einer Epoche. Sie können es jetzt schon vorbestellen.