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Arbeitsmarkt in der Corona-Krise? Stehlen die Älteren den Jungen alle Chancen?


Meinung
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Arbeitsmarkt in der Krise
Stehlen die Älteren den Jungen alle Chancen?

MeinungEine Kolumne von Ursula Weidenfeld

Aktualisiert am 16.06.2020Lesedauer: 3 Min.
Ein Pendler in einem Bus (Symbolbild): Einige Berufsanfänger werfen den Älteren vor, in der Corona-Krise ihre Karrierechanchen zu behindern.Vergrößern des Bildes
Ein Pendler in einem Bus (Symbolbild): Einige Berufsanfänger werfen den Älteren vor, in der Corona-Krise ihre Karrierechanchen zu behindern. (Quelle: Xinhua/imago-images-bilder)
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Berufsanfänger beschweren sich lautstark, dass Corona sie ihrer Chancen beraubt. Doch einen Anspruch auf eine geregelte Vollzeitstelle hat niemand.

Philipp Heiligenthal studiert Politikwissenschaften in Würzburg. In ein paar Tagen wird der 26-Jährige seine Masterarbeit abgeben und das Studium beenden. Eine Arbeit zu finden, fällt ihm inmitten der Corona-Krise schwer.

Er hatte fest mit einer Stelle an der Uni gerechnet – nun bekommt er nicht einmal im Einzelhandel eine Chance. Für das Onlineportal "Bento" hat er seine Sorgen aufgeschrieben. Zum Schluss heißt es: "Ich habe nicht sechseinhalb Jahre studiert, um mich jetzt als Pizzalieferant zu bewerben."

Was für ein Missverständnis! Aus einem Studium entsteht kein Anspruch auf eine Anschlussbeschäftigung nach dem Tarif des öffentlichen Dienstes. Ein akademischer Abschluss ist kein Freifahrtschein in ein glückliches und sorgloses Leben. Er ist nur ein privilegierter Einstieg – auch in der Krise. Akademiker, auch Politikwissenschaftler, haben bessere Jobaussichten als alle anderen Bevölkerungsgruppen.

Niemand muss Angst vor sozialem Absturz haben

Vor einem sozialen Absturz ins Bodenlose muss man sich in Deutschland zudem nicht fürchten. In der Regel finden Auf- und Abstiege in diesem Land zwischen benachbarten sozialen Gruppen statt. Eine gelernte Bürokauffrau wird eher Vertriebschefin eines mittleren Unternehmens als Vorständin in einem Dax-Konzern.

Eine Betriebswirtin eröffnet eher eine Boutique, als dass sie in ihr die Regale abstaubt. Der Sohn eines Lehrers wird möglicherweise "nur" Erzieher, die Tochter eines Facharbeiters vielleicht "sogar" Ingenieurin. Doch ebenso selten wie ein Tellerwäscher Millionär wird, wird ein junger Akademiker hier lange Pizzalieferant bleiben.

Der arme Student Philipp Heiligenthal hat für seine laute Klage viel Spott einstecken müssen. Was er sich einbilde, wurde er gefragt. Seine vermeintliche Überheblichkeit wurde kritisiert. Über die Jammerlappigkeit der heutigen Jugend wurde geschimpft. Die Hoffnung auf ein geregeltes Leben wurde als anmaßendes Anspruchsdenken lächerlich gemacht.

Chancendiebstahl durch die Älteren? Das ist albern

Das ist ungerecht. Es ist tatsächlich schlimm, wenn die ersten Jahre nach der Ausbildung in eine Phase wirtschaftlicher Schwäche fallen.

Wer jetzt ins Berufsleben startet, kann nicht zwischen allen Möglichkeiten wählen. Viele werden nur eine befristete Stelle finden. Das Risiko, unterhalb der eigentlichen Qualifikation starten zu müssen, steigt. Ein solcher Berufseinstieg wirkt nach. Man braucht länger, bis man eine adäquate Arbeit hat. Man wird schlechter bezahlt und steigt später auf.

Es ist bitter, wenn das so kommt. Allerdings ist es albern, deshalb die Älteren des Chancendiebstahls zu bezichtigen, wie es in dieser Woche ein freier Journalist bei "Zeit Campus" tat. Sie ließen in der Krise "eine ganze Generation absichtlich allein", klagte er. Anstatt den Älteren öffentlich Betrug vorzuwerfen, sollten die Beschwerdeführer mit ihnen reden.

Die Babyboomer waren zeitlebens "zu viele"

Dann würden sie erfahren, dass viele ihrer Eltern und Großeltern dieselben Erfahrungen machen mussten. In den ersten fünf Jahren nach der Wiedervereinigung haben zwei Drittel der Erwerbstätigen in Ostdeutschland ihren Betrieb unfreiwillig gewechselt, 40 Prozent durchlebten mindestens eine Phase der Arbeitslosigkeit. Berufliche Abstiege waren die Regel, Aufstiege und Beförderungen die Ausnahme.

Die Babyboomer aus dem Westen wuchsen mit der Grunderfahrung auf, dass es von ihnen immer zu viele gab – in der Schule, in der Ausbildung, an der Uni, im Job und demnächst als Rentner. Zu viele Lehrer, zu viele Anwälte, zu viele Facharbeiter.

Auch bei ihnen wissen viele, wie es ist, nach dem Studium als Taxifahrer zu arbeiten oder trotz einer dualen Ausbildung erst einmal in einem Helferjob zu landen. Die vorübergehende oder dauernde Entwertung von Erlerntem ist den jungen Erwachsenen von heute wahrlich nicht exklusiv vorbehalten.

Junge Generation hat gute Aussichten auf Jobs

Doch im Gegensatz zu den Vorgängergenerationen haben sie einige Vorteile: Anders als die Alten sind sie nicht mehr auf bestimmte Berufsbilder festgelegt. Die Arbeitswelt ist flexibler geworden. Die Digitalisierung wird zwar viele klassische Ausbildungsberufe und Studiengänge entwerten, aber nicht die Ausbildung oder das Studium an sich.

Das Lernen und Weiterlernen an sich wird zur Qualifikation. Und: Die junge Erwachsenengeneration ist zahlenmäßig so schmal besetzt, dass sie schon bald wieder ausgezeichnete Aussichten auf gute Arbeit hat.

Nur auf den ersten Blick sind die 20- bis 30-Jährigen die großen Verlierer der Krise. Auf den zweiten Blick aber sind diejenigen noch schlechter dran, die jetzt vergleichsweise üppig abgesichert in der Kurzarbeit geparkt sind. Noch fühlen sie sich geschützt, doch angesichts des tiefen Konjunktureinbruchs wartet auf viele von ihnen nicht die alte Stelle – sondern die Arbeitslosigkeit.

Ursula Weidenfeld ist Wirtschaftsjournalistin in Berlin. Gemeinsam mit t-online.de und der Leibniz-Gemeinschaft produziert sie den Podcast "Tonspur Wissen".

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