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Stellenabbau: Arbeitslos zu werden ist schlimmer als eine Trennung


Arbeitslosigkeit
Bei Jobverlust zählt jeder Tag

Meinungt-online, Ursula Weidenfeld

14.11.2017Lesedauer: 3 Min.
Auf Nimmerwiedersehen: Mitarbeiterinnen von Air Berlin verabschieden am 27. Oktober in Düsseldorf den letzten Flug der Gesellschaft nach Berlin.Vergrößern des Bildes
Auf Nimmerwiedersehen: Mitarbeiterinnen von Air Berlin verabschieden am 27. Oktober in Düsseldorf den letzten Flug der Gesellschaft nach Berlin. (Quelle: Archivbild/Marcel Kusch/dpa)

Wer in diesem Herbst seinen Job verliert, hat es noch gut: eine Million offener Stellen warten. Und doch ist es wichtig, die neue Arbeit sehr schnell anzutreten – auch wenn der neue Arbeitgeber Erfahrung und Betriebszugehörigkeit nicht honoriert.

Am Donnerstag wird Siemens mehrere tausend Stellen im Anlagenbau streichen. In der vergangenen Woche sagte John Cryan, der Chef der Deutschen Bank, dass die Hälfte der über 90.000 Mitarbeiter eigentlich überflüssig sei. Seit zwei Wochen suchen rund 4000 Airberliner einen neuen Job. Kein Zweifel: Die Einschläge kommen näher. Tausende von Arbeitsplätzen werden in diesen Wochen und Monaten abgebaut – und man hat den Eindruck, als kümmere das niemanden so richtig.

Es gibt kurzfristig keinen Grund, Massenarbeitslosigkeit zu befürchten. Selten zuvor war die deutsche Wirtschaft besser ausgelastet. Nie waren die Aussichten besser, schnell eine neue Stelle zu finden. So bitter es für die Betroffenen ist: Arbeitslosigkeit ist in diesem Herbst ein ziemlich individuelles Problem. Deshalb ist es wichtig, nach einer Kündigung die richtigen Wege einzuschlagen.

Schlimmer als verlassen zu werden

Gekündigt zu werden ist für das Selbstbewusstsein und das Lebensgefühl noch schlimmer, als vom Partner verlassen zu werden. Dabei spielt es keine Rolle, ob auch alle Kollegen arbeitslos werden, oder ob man der Einzige ist, der gehen muss.

Das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung besitzt die größte Datensammlung zu den Lebensbedingungen der Deutschen. Es hat vor ein paar Jahren erforscht, was Arbeitslosigkeit beim Einzelnen und im Familienleben anrichten kann. Wer arbeitslos wird, leidet länger unter dieser Trennung, als er an einem privaten Schicksalsschlag knabbert. Er fängt viel eher wieder an zu rauchen, dasselbe gilt für zu viel Alkohol. Das Risiko, dass die Ehe scheitert und die Familie zerbricht, ist für Arbeitslose deutlich höher. Und: Der Partner leidet unter dem Verlust der Arbeitsstelle genauso wie der Betroffene selbst.

In den ersten Wochen handeln

Vielen Arbeitslosen und ihren Familien fehlt schlicht und einfach Geld. Statt des vollen Lohns bekommen sie ja nur etwa zwei Drittel des letzten Nettogehalts ausgezahlt. Kein Wunder, dass es zuhause kracht, wenn auf einmal alle Ausgaben neu verhandelt werden müssen.

Das sind mehr als gute Gründe, sich möglichst schnell um eine neue Stelle zu bewerben und die auch anzunehmen. Wer denkt, man könnte sich erst einmal ein bisschen Zeit nehmen, um die Kränkung zu verdauen, wird sich im Idealfall einem ungeduldigen Jobvermittler gegenübersehen. Denn die Leute von der Jobagentur wissen: Die Chancen auf eine neue und einigermaßen gut bezahlte Stelle sind in den ersten Wochen nach der Kündigung am besten. Je länger die Arbeitslosigkeit dauert, desto mieser werden Angebote und Entlohnung.

Qualifizierungen machen selten einen Unterschied

Das ist die bitterste Pille für Arbeitslose: der Status- und Verdienstverlust. Der betrifft mittlere Angestellte in den Firmenverwaltungen zur Zeit am härtesten. Doch selbst die früheren Piloten der insolventen Fluggesellschaft Airberlin entkommen ihm nicht – obwohl Flugzeugführer händeringend gesucht werden. Dienstjahre werden nicht anerkannt, langjährige Betriebszugehörigkeit spielt für den neuen Arbeitgeber keine Rolle.

Erstaunlich ist, dass auch Qualifizierungen nur selten einen Unterschied machen. Künftige Arbeitgeber schauen sehr genau hin, wie die Erwerbslosen-Biographie ihrer Bewerber aussieht. Wer erst einmal in die Qualifizierungsmaßnahme der Jobagentur wechselt, bekommt oft schlechtere Jobangebote als Bewerber, die gar nichts für ihre Weiterbildung getan haben.

Eine andere Arbeitsmarktspolitik ist nötig

Eigentlich müsste dieses Wissen auch eine andere Arbeitsmarktpolitik erzwingen. Qualifizierungen müssten noch enger an die Unternehmen gebunden werden, die neue Arbeitskräfte suchen.

Für alle Beteiligten wäre es besser, wenn in Deutschland mehr Arbeitslosengeld bezahlt würde, aber die Bezugsdauer ähnlich wie in Skandinavien kürzer wäre. Zuhause gäbe es nicht so viel Ärger ums Geld, aber alle würden sich sofort bei der Jobsuche anstrengen. Gerade ältere Beschäftigte aber werden in diese Zeitfalle gelockt. Sie können bis zu zwei Jahre Arbeitslosengeld bekommen. Danach einen neuen Arbeitgeber zu finden, ist selbst zu den augenblicklichen Bedingungen ein echtes Kunststück.

Eine andere Arbeitsmarktpolitik wäre gerade jetzt nötig. Denn heute stehen dem Abbau in den Großunternehmen rund eine Million offene Stellen gegenüber: Es geht also tatsächlich darum, individuelle Lösungen zu finden. Wenn sich diese Situation aber ändert – und das ist nur eine Frage der Zeit – ist es zum Umsteuern zu spät.

Ursula Weidenfeld ist Wirtschaftsjournalistin in Berlin. In ihrem neuesten Buch "Regierung ohne Volk. Warum unser politisches System nicht mehr funktioniert." beschäftigt sie sich mit den Lebenslügen der deutschen Politik seit 2005.

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