Urteil zu Lebensversicherungen BGH stärkt Recht der Versicherten auf Widerruf
Verbraucher, die zwischen 1994 und 2007 eine Lebens- oder Rentenversicherung abgeschlossen haben, können davon womöglich heute noch wegen mangelnder Beratung zum Widerspruchsrecht zurücktreten. Die damals geltende einjährige Verjährungsfrist ist unwirksam, wenn Kunden Informationen über ihr Widerspruchsrecht nicht ordnungsgemäß erhalten haben, wie der Bundesgerichtshof (BGH) in einem am Mittwoch verkündeten Urteil entschied. Betroffene haben aber keinen Anspruch auf die volle Auszahlung ihrer Prämien, da sie während der Laufzeit den Versicherungsschutz genossen haben. (Az. IV ZR 76/119).
Damit setzte sich ein Kunde der Allianz Leben mit seiner Klage weitgehend durch (Az: IV ZR 76/11). Nach Angaben des Klägeranwalts Joachim Kummer sind beim BGH noch Hunderte weiterer vergleichbarer Fälle anhängig, in den unteren Instanzen seien es Tausende.
EuGH-Entscheidung lieferte Vorlage
Der BGH folgte damit einer Vorabentscheidung des Europäischen Gerichtshofs (EuGH) vom Dezember 2013. Nach der bis 2007 geltenden Regelung konnten die Kunden ein Jahr nach der Zahlung der ersten Versicherungsprämie nicht mehr vom Vertrag zurücktreten - selbst dann, wenn sie nicht über ihr Recht zum Rücktritt oder Widerspruch aufgeklärt worden waren.
Laut EuGH ist eine solche Beschränkung nicht mit EU-Recht zu vereinbaren. Der BGH entschied nun, dass in solchen Fällen "grundsätzlich ein Widerspruchsrecht fortbesteht". Allerdings müssen die Kunden gewisse Abstriche an ihrer Rückforderung machen, weil sie ja versichert waren, während sie Prämien zahlten. Wie groß diese ausfallen, muss das Oberlandesgericht Stuttgart (OLG) erst noch feststellen.
Eher die Ausnahme als die Regel
Der Branchenverband GDV begrüßte, dass der BGH klargestellt habe, dass der finanzielle Vorteil des Versicherungsschutzes bei der Rückabwicklung einkalkuliert werden dürfe. Das Urteil des EuGH und die Entscheidung des BGH bedeuteten kein "ewiges Widerrufsrecht für Millionen alter Lebensversicherungsverträge", betonte ein Sprecher. Das Widerrufsrecht gelte nur, wenn der Kunden nicht ausreichend belehrt worden sei oder die Vertragsdokumente nicht erhalten habe. Das sei aber nicht die Regel, sondern die Ausnahme.
Experte: Policen nicht voreilig widerrufen
Vor dem Hintergrund BGH-Urteils empfiehlt Experte Martin Oetzmann vom Bund der Versicherten jedoch, dass Kunden ihre Policen nun nicht vorschnell widerrufen sollten. Denn noch ist nicht entschieden, wie viel Geld den Versicherten dann wirklich ausgezahlt werden muss. Das OLG müsse sich jetzt noch mit der Frage der Verjährungsfrist befassen, so Oetzmann.
Entscheiden die Richter, das der Anspruch auf Rückzahlung eingezahlter Beiträge nach drei Jahren verjährt, stehen Kunden bei einem Widerruf im Zweifel schlecht da. "Haben Sie zum Beispiel 17 Jahre lang eingezahlt, aber bekommen am Ende nur die Beiträge für drei Jahre zurück, lohnt sich das nicht." Daher sollten Betroffene vor einem Widerruf den weiteren Verlauf des Rechtsstreits abwarten.