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Zum journalistischen Leitbild von t-online.Job-Coach erklärt Mit diesen Psychotricks manipuliert Sie Ihr Chef
Gratis-Obst statt Tarifgehalt, Yogakurs statt genügend Mitarbeiter – Chefs denken sich eine ganze Reihe von Tricks aus, um ihre Mitarbeiter über Nachteile hinwegzutäuschen. Wie Sie diese erkennen und sich wehren.
Vielen Arbeitnehmern dürfte folgende Situation bekannt vorkommen: Ihre Chefin brummt Ihnen eine Aufgabe nach der nächsten auf, alles hat oberste Priorität, Sie haben aber weder die Zeit noch hat man Ihnen gezeigt, wie Sie die Aufträge am besten angehen. Und trotzdem lassen Sie sich das gefallen. Warum nur?
"Viele Chefs arbeiten heute mit psychologischen Tricks und moralischen Erpressungen", sagt Job-Coach und Autor Attila Albert. "Wer nicht ständig bevormundet und übervorteilt werden will, muss sie erkennen und sich wehren." Wir zeigen Ihnen, wie Sie das anstellen, warum nicht alles eine Frage der Einstellung ist und woran Sie erkennen, dass es Zeit ist zu gehen.
Trick 1: Unlösbares als Chance verkaufen
In diese Falle tappen vor allem Berufsanfänger, die besonders ehrgeizig sind: Ihr Chef schmeichelt Ihnen mit einer vermeintlichen Chance, diese entpuppt sich bei näherem Hinschauen aber als undankbare Aufgabe. Denn Ihr Vorgesetzter hat Ihnen zwar die komplette Verantwortung übertragen, nicht aber die dafür notwendigen Kompetenzen und Ressourcen wie zum Beispiel ausreichend viele Kollegen oder ein Budget, das groß genug ist.
So wehren Sie sich: "In einem solchen Fall müssen Sie Ihre genaue Arbeitsbelastung ermitteln", rät Albert. Das heißt: In 15-Minuten-Schritten aufschreiben, was Sie machen, wie lange das dauert und wer Sie beauftragt hat – mindestens eine Woche, besser einen Monat lang.
"Das ist recht mühselig, aber notwendig. Denn nur so können Sie mit Ihrem Vorgesetzten sachlich diskutieren", so Albert weiter. Weigert sich Ihr Chef dann immer noch, alles bereitzustellen, was nötig ist oder Aufgaben ersatzlos zu streichen, haben Sie dem Job-Coach zufolge zwei Optionen: intern wechseln – oder ganz gehen.
Tipp: Ein Arbeitsverhältnis ist keine Selbstständigkeit, auch wenn Ihr Chef so tut. Sie werden für Ihre Arbeitszeit bei durchschnittlicher Leistung bezahlt, nicht für ein konkretes Ergebnis.
Trick 2: Gleichheit vorgaukeln
"Wir müssen jetzt zusammenhalten", "Wir sitzen doch alle im selben Boot" – Sprüche wie diese täuschen vor, dass es sich bei einem gewinnorientierten Unternehmen um eine Solidargemeinschaft handeln würde. Ihr Chef appelliert an Ihren guten Willen und hat damit Erfolg. Denn: "Die meisten Menschen wollen helfen, wenn sie von einer Notlage erfahren und glauben, dass ihr Verzicht einer guten Sache dient", sagt Albert.
So wehren Sie sich: Achten Sie bei allem idealistischen Reden auf Ihre Interessen, etwa auf eine angemessene Bezahlung. "Im Job müssen Geben und Nehmen ausgewogen sein", erklärt der Job-Coach. "Und die Balance ist Ihre Verantwortung."
Trick 3: Berechtigte Eigeninteressen zu Egoismus erklären
Heute findet sich kaum noch ein Unternehmen, das ohne ein Leitbild oder eine Vision auskommt. Grundsätzlich sei zwar nichts dagegen einzuwenden, wenn Arbeitnehmer in ihrem Job einen tieferen Sinn sehen, sagt Albert, das könne aber schnell ausgenutzt werden. Ihr berechtigtes Interesse nach angemessenem Gehalt und echtem Feierabend erklärt mancher Chef zu Egoismus. Schließlich gehe es hier doch um eine höhere Mission.
So wehren Sie sich: Bleiben Sie unbeeindruckt und achten Sie auf die Gegenleistung. "Wer sollte für Sie einstehen, wenn nicht Sie?", fragt Albert. "Viele Arbeitnehmer sind an der Mission des Unternehmens gar nicht interessiert, die wollen nur ihren Job machen. Und solche Leute brauchen die Firmen auch."
Trick 4: Nachteile zu Vorteilen erklären
Bevor Sie Stellenanzeigen lesen, sollten Sie sich darauf einstellen, dass Sie die Ausschreibung erst übersetzen müssen. Denn ist dort von einem "anspruchsvollen Umfeld" die Rede, meint das eigentlich nur, dass viel Arbeit auf Sie zukommt. "Kurze Entscheidungswege" können auf ein unterbesetztes Team hindeuten und der "inspirierende Austausch mit großartigen Kollegen" ist nichts anderes als ein langatmiges Meeting nach dem nächsten.
So wehren Sie sich: Lassen Sie sich nicht für dumm verkaufen. Zeigen Sie Ihren Vorgesetzten, dass Sie rechnen können und nicht ernsthaft glauben, dass "freie Getränke und Obst" das fehlende Tarifgehalt aufwiegen. Verhandeln Sie entsprechend über echte Tatsachen: Einkommen, Aufgaben, Arbeitsbedingungen, Urlaub und Extras.
Trick 5: Mit Unterstellungen einschüchtern
Ob Regenbogenflagge zeigen für die Pride-Bewegung oder in den sozialen Medien für mehr Frauen in Führungspositionen werben – wenn Unternehmen aktivistisch auftreten, soll das oft nur dem eigenen Image dienen. Im realen Büroleben ist hingegen wenig von Diversität zu sehen.
Mitarbeiter, die bei einer solchen Doppelmoral nicht mitspielen wollen, müssen sich laut Job-Coach Albert auf Einschüchterungen gefasst machen. "Sie sind also nicht für Menschenrechte?" oder "Kann es daran liegen, dass Sie Frauen keinen Erfolg gönnen?", könnten die Unterstellungen dann lauten.
So wehren Sie sich: Kurzfristig mit Gelassenheit. Stört es Sie langfristig, sollten Sie zu einem Arbeitgeber wechseln, der besser zu Ihnen passt.
Wann ist es Zeit, zu kündigen?
"Wenn Sie sich körperlich schlecht fühlen oder schon krankgemeldet haben, sollten Sie sich innerhalb von drei bis sechs Monaten wegbewerben", rät Albert. "Sind Sie nur allgemein verärgert, sollten Sie sich eine Grenze von ein bis zwei Jahren setzen, aber diese nicht bis zuletzt ausreizen. Ein Jobwechsel dauert nun mal seine Zeit."
Trick 6: Schuldgefühle einreden
Ähnlich funktioniert der Trick, Sie mit Schuldgefühlen zu manipulieren. Wie Eltern, die ihren Kindern weismachen, sie seien verpflichtet, ihren Teller leer zu essen, weil andernorts Menschen hungern, verwischen auch Vorgesetzte die Relationen.
"Sie bekommen dabei eine moralische Mitschuld an globalen Problemen wie zum Beispiel dem Klimawandel zugeschoben, obwohl Ihr praktischer Anteil verschwindend ist", sagt Albert. Entsprechend fühlten Sie sich gezwungen, an Hilfsprojekten Ihrer Firma teilzunehmen.
So wehren Sie sich: Lassen Sie sich von Unterstellungen nicht verrückt machen. Zudem sollten Sie sich nicht als Weltretter fühlen, wenn Sie etwas Gutes tun. Helfen Sie mit, wenn Sie es richtig finden, aber dann so, dass es objektiv etwas verbessert.
Trick 7: Urteilsfähigkeit absprechen
Weg mit festen Arbeitsplätzen im Büro, her mit der Schreibtischrotation – das hält frisch im Kopf, sagen Studien. Und in Großraumbüros arbeitet es sich so gleich viel kommunikativer. Auch das sei inzwischen belegt.
Solche Argumente und Situationen dürften viele Arbeitnehmer ebenfalls kennen. "Wenn es gerade passt, führen Chefs neuerdings ständig 'die Wissenschaft' an, nach der sie sich nur richten würden", sagt Albert. Ihre jahrelange Erfahrung hat ausgedient.
So wehren Sie sich: Bedenken Sie die Theorien anderer, aber gleichen Sie sie immer mit der Praxis und Ihren eigenen Erfahrungen ab. Was im Versuchsaufbau einer Universität oder Beratungsfirma funktioniert hat, kann in Ihrem Unternehmen komplett scheitern.
- Gespräch mit Attila Albert
- Attila Albert: "Ich will doch nur meinen Job machen" (224 S., 15 Euro)