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Zum journalistischen Leitbild von t-online.Einkommen, Rente, Investitionen Führt der Osten Deutschland aus der Krise?
Mehr als 30 Jahre nach der Wiedervereinigung gibt es immer noch ein großes wirtschaftliches Gefälle zwischen Ost und West. Doch die Lücken schließen sich.
Inhaltsverzeichnis
Die Wiedervereinigung ist mittlerweile mehr als 30 Jahre her, doch an einigen Stellen fällt die Teilung Deutschlands bis heute auf. Gerade bei wirtschaftlichen Kennzahlen treten die Unterschiede deutlich ans Licht. Noch immer verdienen Westdeutsche im Schnitt besser und haben höhere Vermögen.
t-online gibt einen Überblick über die wirtschaftliche Lage in ost- und westdeutschen Bundesländern:
Gehalt
Die Gehälter haben sich in den vergangenen Jahren zwar angenähert, doch eine deutliche Lücke zwischen Ost und West besteht weiterhin. So verdienten Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer im Osten im Jahr 2021 teils mehr als 30 Prozent weniger als Personen in Westdeutschland. Das höchste durchschnittliche monatliche Bruttoeinkommen erzielten die Menschen in Hamburg mit 5.209 Euro. Das niedrigste Durchschnittsgehalt entfiel auf die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer in Thüringen mit 3.542 Euro.
Aktuellere Daten liegen im Detail nicht vor. Das Institut der deutschen Wirtschaft (IW) geht allerdings davon aus, dass die deutliche Anhebung des Mindestlohns die Lohnlücke in der Zwischenzeit bereits ein Stück weit geschlossen hat. Bei den Durchschnittswerten zeigt sich das bereits: Im Jahr 2023 lag gemäß Zahlen des Statistischen Bundesamtes der durchschnittliche Bruttomonatsverdienst ohne Sonderzahlungen bundesweit bei 4.468 Euro. Im Westen waren es 4.578 Euro, im Osten 3.754 Euro.
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Was beim Blick auf die Zahlen aber auch auffällt: Während die Gehälter im Osten im Schnitt niedriger sind, ist die Schere zwischen Männern und Frauen kleiner als im Westen. In Brandenburg gibt es quasi keinen Unterschied zwischen den Geschlechtern, und auch in Mecklenburg-Vorpommern, Sachsen-Anhalt, Thüringen und Sachsen verdienen Frauen im Schnitt mehr als 90 Prozent im Verhältnis zum Durchschnittsbruttolohn der Männer im jeweiligen Bundesland.
Das schafft kein westliches Bundesland, besonders nah dran ist Schleswig-Holstein mit einem Anteil von 87,2 Prozent. Besonders groß ist die Lücke in Baden-Württemberg. Hier verdienen Frauen im Schnitt nur 78,6 Prozent vom Bruttodurchschnittslohn der Männer. Die Zahlen beziehen sich dabei aus Erhebungen aus dem Jahr 2021.
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Die historische Erklärung für einen Großteil dieser Unterschiede liegt darin, dass von Frauen in der DDR genauso wie von den Männern erwartet wurde, in Vollzeit zu arbeiten. Wenn eine Frau Kinder bekam, gab es für diese bereits früh Betreuungsmöglichkeiten. Gleichzeitig gab es auch einen großen gesellschaftlichen und politischen Druck, dass Frauen diese Möglichkeiten nutzen und durch ihre Arbeit zum Volksvermögen beitragen. Betreuungs- und Erziehungsaufgaben außerhalb der Arbeitszeit lagen dabei aber auch in Ostdeutschland zum Großteil in der Hand der Frauen.
Vermögen
Noch deutlicher sind die Unterschiede beim Vermögen spürbar. Das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung (DIW) stellte 2022 fest, dass die arme Hälfte der Haushalte im Osten durchschnittlich 12.000 Euro Vermögen hatte, während vergleichbare Haushalte im Westen auf 24.000 Euro zurückgreifen konnten. Und auch am anderen Ende der Schere ist das Gefälle deutlich. Das reichste eine Prozent im Osten hat im Schnitt 3 Millionen Euro, im Westen sind es 12 Millionen Euro durchschnittlich für die vergleichbare Personengruppe.
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Das hat historische Gründe. Sozialhistorikerin Kerstin Brückweh vom Leibniz-Institut für Raumbezogene Sozialforschung sagte dem Mitteldeutschen Rundfunk: "In der DDR war das Volkseigentum zwar offiziell hoch geschätzt, das Privateigentum hingegen alles andere als unbedeutend. Die Vorgaben und das Handeln des Regimes hatten aber Auswirkungen auf die Ausgestaltung des Eigentums im Privaten und sorgten für bis heute andauernde messbare Unterschiede zwischen Ost- und Westdeutschland."
Oder um es in Zahlen zu sagen: Bis zur Währungsunion 1990 gab es in der DDR keine hundert Konten, auf denen mehr als eine Million DDR-Mark lagen. In der gleichen Zeit verzeichnete die westdeutsche Bundesbank nach eigenen Angaben etwa hundert Konten, auf denen eine Milliarde D-Mark lagen.
Rente
Auch bei der Höhe der Renten gab es nach der Wiedervereinigung große Unterschiede. Zunächst lag das Rentenniveau im Osten bei gerade einmal 40 Prozent des Westniveaus. Das wurde über die Jahre angepasst, sodass 2023 Renten auf dem gleichen Niveau lagen. Der gesamte Angleichungsprozess soll 2025 abgeschlossen sein, heißt es von der Deutschen Rentenversicherung. Das heißt, dass bei gleicher Erwerbsbiografie Rentnerinnen und Rentner in Ost und West die gleichen Leistungen erhalten sollen. Lesen Sie hier, wie die Rentenpunkte berechnet werden.
Das bedeutet allerdings nicht, dass alle Rentnerinnen und Rentner die gleiche Rente erhalten und auch nicht, dass die Durchschnittsrente gleich hoch ist. Es handelt sich lediglich um eine Anpassung, die gewährleistet, damit bei gleicher Arbeit gleiche Renten bezogen werden.
Im Schnitt lagen die Renten von Männern im Westen im Jahr 2021 bei monatlich 1.218 Euro, im Osten hingegen bei 1.141 Euro. Durch die oben angesprochene häufigere Berufstätigkeit von Frauen im Osten erhalten sie durchschnittlich im Osten mehr Rente als im Westen. So beziehen ostdeutsche Rentnerinnen im Schnitt 1.070 Euro, westdeutsche Rentnerinnen hingegen nur 809 Euro.
Investitionen
Anders stellt sich die Situation bei den Investitionen dar. Denn in den vergangenen Jahren, vor allem aber im Jahr 2023, gab es immer wieder Ankündigungen großer Konzerne zur Ansiedlung von großen Fabriken in Ostdeutschland. Der Bund unterstützt das, teils mit Milliardenbeträgen, etwa bei den Chipherstellern TSMC und Infineon. Mehr dazu lesen Sie hier. Auch der US-Konzern Intel sollte eine Milliardenförderung erhalten. Doch Schwierigkeiten im Unternehmen führten dazu, dass Intel den Bau eines Werks in Magdeburg vorerst auf Eis gelegt hat. Mehr dazu lesen Sie hier.
Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck sagte im Juli gar, dass der Osten Deutschland aus der Wirtschaftsflaute hole. "Das Wirtschaftswachstum kommt langsam aus der Krise – gezogen derzeit vom Osten", so der Minister zur Funke-Mediengruppe.
Tatsächlich: Laut Dresdner Niederlassung des Ifo-Instituts soll die ostdeutsche Wirtschaft 2024 um 1,1 Prozent wachsen. Dagegen sind die Erwartungen bundesweit mit 0,4 Prozent deutlich gedämpfter. Vor allem Mecklenburg-Vorpommern und Brandenburg verzeichnen eine positive Entwicklung. Dafür verantwortlich sind unter anderem die Tesla-Gigafactory in Grünheide bei Berlin und die neuen Flüssiggas-Terminals an der Küste.
Doch wie nehmen die Menschen vor Ort das wahr? Zumindest was die Lebensqualität angeht, unterscheiden sich die Bewertungen der Menschen in Ost und West kaum. So das überraschende Ergebnis des Deutschland-Monitors 2023. Für die repräsentative Studie werden jedes Jahr zwei Stichproben mit insgesamt 8.000 Personen zu ihrer Sicht auf gesellschaftliche und politische Themen befragt.
Anmerkung der Redaktion: In einer früheren Version hieß es, Kerstin Brückweh arbeite für die Bundeszentrale für politische Bildung. Das ist nicht korrekt, sie ist für das Leibniz-Institut für Raumbezogene Sozialforschung tätig. Wir bitten den Fehler zu entschuldigen.
- zdf.de: "Wie Ostdeutschland die Wirtschaft anschiebt"
- mdr.de: "Der lange Weg vom Staats- zum Privateigentum"
- mdr.de: "Gleiche Rente in Ost und West? – Wirklich?"
- uni-jena.de: "Die Ost-West-Unterschiede schmelzen"
- deutsche-rentenversicherung.de: Rentenangleichung Ost-West
- Hans-Böckler-Stiftung: Die ökonomische und soziale Situation Ostdeutschlands
- Institut der deutschen Wirtschaft: Sechs Gründe, warum die Deutsche Einheit nicht gescheitert ist