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Zum journalistischen Leitbild von t-online.Hilfe für die Industrie Habecks Plan stößt auf Widerstand
Die deutsche Industrie ächzt: Corona-Pandemie und Ukraine-Krieg hatten ihr bereits zugesetzt. Doch ein Problem belastet die Unternehmen schon länger: hohe Strompreise.
Die Zukunft energieintensiver Unternehmen in Deutschland ist in Gefahr – so klingen zumindest die Hilferufe an die Politik aus der Stahlindustrie, der Chemiebranche und von großen Automobilkonzernen. Dass die Wirtschaft klagt, ist nicht ungewöhnlich und kam in den krisenreichen vergangenen drei Jahren regelmäßig vor. Doch nun bangt auch Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck (Die Grünen) um die deutsche Industrielandschaft.
Seine Sorge: Wenn sich die Ampelparteien nicht bald einigen, könnten sich Unternehmen für andere Produktionsstandorte entscheiden. "Wenn wir nur noch lange reden, dann machen die Unternehmen ihre eigenen Entscheidungen und die werden dann nicht mehr für den Standort Deutschland sein", sagte er vor Kurzem auf einer Indien-Reise. Bis es genügend günstige erneuerbare Energie gibt, will er die Unternehmen deshalb mit einem Brückenstrompreis unterstützen – doch nicht alle sind von diesem Plan überzeugt.
Schlechte Stimmung in der Wirtschaft
Woher kommt die neue Dringlichkeit? Immer mehr Indikatoren deuten auf einen wirtschaftlichen Abschwung hin. Obwohl die Corona-Pandemie vorbei ist und die kriegsbedingten Energiepreisschwankungen sich beruhigt haben, ist die Stimmung in der deutschen Wirtschaft gedämpft.
Industriestrompreis
Als Industriestrompreis, teils auch Transformationsstrompreis oder Brückenstrompreis genannt, wird ein gesonderter Strompreis für Industriebetriebe bezeichnet, der unter dem für private Haushalte liegt.
So sank etwa der Ifo-Geschäftsklimaindex im Juli von zuvor 88,6 auf 87,3 Punkte. Es war bereits der dritte Rückgang in Folge und das Ergebnis fiel niedriger aus als von Fachleuten erwartet. "Die Lage der deutschen Wirtschaft verdüstert sich", sagte Ifo-Präsident Clemens Fuest. Das Institut rechnet nun mit einer Sommerrezession und einem sinkenden Bruttoinlandsprodukt (BIP) im dritten Quartal.
Der Umfrage zufolge tun sich vor allem Industrie und Baugewerbe schwer, da weniger neue Aufträge nachkommen. Dazu passt auch der jüngste Einkaufsmanagerindex. Dieser signalisiert, dass die Wirtschaft angesichts einer Auftragsflaute zu Beginn des zweiten Halbjahres schrumpft.
Strompreis: Dreimal so viel wie in den USA
Für den Unmut gibt es mehrere Faktoren: Die Suche nach Fachkräften gestaltet sich immer schwieriger, die Inflation hat Rohstoffpreise und Gehaltsforderungen nach oben getrieben und die Bürokratie schafft zusätzlichen Arbeitsaufwand. Doch während all diese Herausforderungen komplexe Lösungen braucht, scheint ein Problem verhältnismäßig einfach lösbar zu sein.
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Denn der Industriestrom ist in Deutschland relativ teuer. Zwar sorgen Faktoren wie höhere Abgabemenge und niedrigere Netznutzungsentgelte schon jetzt dazu, dass Industrieunternehmen weniger zahlen als Privathaushalte. Doch im Vergleich zu anderen europäischen Ländern lag der Preis in Deutschland im zweiten Halbjahr 2022 gerade einmal im Mittelfeld.
Rund 20 Cent zahlten Unternehmen in Deutschland damals für eine Kilowattstunde Strom – über 40 Prozent mehr als in Frankreich oder Belgien und etwa dreieinhalbmal so viel wie in den USA, klagt die Industrie.
Branchen korrigieren Erwartungen nach unten
In energieintensiven Branchen führen die hohen Preise bereits dazu, dass die Prognosen angepasst werden. Der Verband der Chemischen Industrie (VCI) erwartet für 2023 Einbrüche bei Produktion und Umsatz: Die Produktion in der Chemie- und Pharmabranche dürfte im Vergleich zum Vorjahr um acht Prozent schrumpfen. Der Branchenumsatz könnte zudem um 14 Prozent sinken.
"Die Hoffnungen, dass nach einem milden Winter und deutlich gesunkenen Gas- und Strompreisen eine Erholung einsetzt, haben sich nicht erfüllt", sagte VCI-Präsident Markus Steilemann. Im Gegenteil, die Nachfrage nach Chemikalien falle. "Die Zahlen für das erste Halbjahr sind rot und die Produktionskosten am Standort Deutschland nicht wettbewerbsfähig." Konzerne wie BASF haben bereits angekündigt, wegen hoher Produktionskosten in Deutschland verstärkt im Ausland zu investieren – etwa in China. Der VCI fordert deshalb Unterstützung in Form eines Industriestrompreises.
Auch in der Stahlindustrie sinkt die Nachfrage. So ging die Rohstahlproduktion im ersten Halbjahr gegenüber dem Vorjahreszeitraum um 5,3 Prozent auf 18,5 Millionen Tonnen zurück, teilte die Wirtschaftsvereinigung Stahl mit. "Vor allem die Strompreise sind gegenwärtig noch rund dreimal so hoch wie vor Beginn der Energiekrise", erklärte Hauptgeschäftsführerin Kerstin Maria Rippel.
Dies habe sich bei der stromintensiven Elektrostahlherstellung besonders stark ausgewirkt. Dort sei die Produktion in den ersten sechs Monaten im Vergleich zum Vorjahreszeitraum um 13 Prozent zurückgegangen. Rippel fordert daher einen Brückenstrompreis. Der Bundesverband der Deutschen Industrie (BDI) hat sich ebenfalls für einen Industriestrompreis starkgemacht.
Ungewöhnliche Allianzen
Zwischen Industrie und Ministerium herrscht ungewöhnliche Einigkeit. Auch aus der SPD-Fraktion und sogar von der oppositionellen Union gibt es Zuspruch. Doch ob Habeck mit seinem Vorschlag durchkommt, ist dennoch ungewiss. Dieser sah ursprünglich vor, den Strompreis für energieintensive Unternehmen auf sechs Cent pro Kilowattstunde zu deckeln. Das Geld dafür soll aus dem Wirtschaftsstabilisierungsfonds kommen.
Dieser in der Corona-Pandemie errichtete Sondertopf wurde in der Energiekrise reaktiviert, um deren Folgen abzufedern. Finanziert werden mit bis zu 200 Milliarden Euro vor allem die Strom- und Gaspreisbremse. Wegen sinkender Preise dürfte die Finanzierung der Bremsen aber deutlich günstiger werden.
Doch Kanzler Olaf Scholz (SPD) hält sich bislang zurück. Die FDP als dritter Partner in der Ampelkoalition sperrt sich gänzlich gegen den Vorstoß. Sie lehnt sowohl einen staatlich subventionierten Industriestrompreis als auch eine Öffnung des Wirtschaftsstabilisierungsfonds ab. Auf ihrer Seite hat die FDP die Wirtschaftsweisen und den Wissenschaftlichen Beirat des Bundesfinanzministeriums.
"In Zeiten knapper Finanzen und angesichts des notwendigen Kraftakts bei der Ausweitung der erneuerbaren Energien raten wir von der Einführung eines Industriestromtarifs ab", zitiert das "Handelsblatt" aus einer Stellungnahme des Gremiums. Als Gegenvorschlag spricht sich der Beirat für eine Abschaffung der Stromsteuer aus.
Mittelstand fühlt sich übergangen
Mittelstandsvertreter fühlen sich von Habecks Vorstoß unterdessen nicht ausreichend berücksichtigt. "Die Industrie – insbesondere der industrielle Mittelstand – braucht international wettbewerbsfähige Energiepreise, um die Transformation zu meistern und im globalen Wettbewerb erfolgreich zu sein", sagt Hildegard Müller, Präsidentin des Verbandes der Automobilindustrie (VDA), t-online. Dass gerade der Mittelstand bei den Vorschlägen von Habeck nicht bedacht werde, sei deshalb ein "absoluter Schwachpunkt".
In einer VDA-Umfrage gaben jüngst rund drei Viertel (74 Prozent) der befragten Unternehmen an, stark oder sogar sehr stark durch die Strompreise belastet zu sein. Ein harter Schlag, denn die Autoindustrie ist einer der wichtigsten Wirtschaftszweige in Deutschland: Bereits die Ankündigung neuer E-Autofabriken von Volkswagen in Kanada und eine verstärkte Nutzung der Steuervorteile durch den Inflation Reduction Acts in den USA lösten bei Branchenbeobachtern Sorgen über mögliche Abwanderungen aus.
Auch der Bundesverband der Energie- und Wasserwirtschaft (BDEW) hält einen direkten Markteingriff für das falsche Mittel. Die Vorsitzende Kerstin Andreae warnt bei t-online: "Ein solch regulierter Industriestrompreis greift in die freie Preisbildung ein und birgt das Potenzial, die Strompreise für andere Abnehmer zu erhöhen." Konkret heißt das: Je nach Finanzierung eines Industriestrompreises könnten die Mehrkosten bei privaten Verbrauchern landen.
In einem Versuch, seinen Vorschlag dennoch zu retten, hat Habeck zuletzt Kompromissbereitschaft signalisiert. Am Rande des Besuchs eines Siemens-Projekts in Mumbai sprach er plötzlich von einer kürzeren Laufzeit des Brückenstrompreises von "drei bis fünf Jahren". Damit wäre die Maßnahme auch deutlich günstiger. Ob das reicht, um die Unternehmen am Standort Deutschland zu halten, wird sich zeigen.
- Eigene Recherche
- Statement Hildegard Müller (VDA)
- Statement Kerstin Andreae (BDEW)
- Pressemitteilung des Ifo-Instituts
- Pressemitteilung des Bundeswirtschaftsministeriums: "Habeck legt Arbeitspapier zum Industriestrompreis vor"
- wiwo.de: "Ohne Kassenwart und Kanzler wird das nichts"
- handelsblatt.com: "Regierungsberater lehnen den Industriestrompreis ab"
- handelsblatt.com: "'Drei bis fünf Jahre reichen' – Habeck zu Zugeständnissen beim Industriestrompreis bereit"
- Mit Material der Nachrichtenagentur dpa