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Zum journalistischen Leitbild von t-online.Nord Stream 1 Das bedeutet Russlands neuer Gas-Stopp für Deutschland
Russland behauptet, die Gaslieferungen über Nord Stream 1 müssten für weitere Wartungen eingestellt werden. Doch Experten halten das für vorgeschoben.
Nur wenige Wochen nach dem jüngsten Lieferstopp dreht Russland Deutschland und Europa abermals den Gashahn zu: Vorerst schickt der Staatskonzern Gazprom kein Gas durch die Ostseepipeline Nord Stream 1.
Russland begründet den Stopp mit einer erneuten Wartung, doch die Bundesnetzagentur hält das für vorgeschoben. t-online erklärt, was es damit auf sich hat und was die Lieferunterbrechung für die deutschen Gasspeicher bedeutet.
Wie lange dauert der Lieferstopp an?
Russland hat angekündigt, dass die Lieferungen für drei Tage eingestellt werden. Ab dem Wochenende soll wieder Gas durch die Pipeline Nord Stream 1 fließen.
Warum fließt kein Gas mehr?
Von russischer Seite heißt es: wegen Wartungsarbeiten. In den drei Tagen müsse die einzige funktionierende Turbine der Kompressorstation Portowaja überprüft und überholt werden. Eine solche Turbine dient zur Verdichtung des Gases zum Transport in den Röhren der Pipeline.
Bei den Wartungen sollen demnach Spezialisten von Siemens Energy unterstützen. Der deutsche Energietechnikkonzern betonte dagegen am Mittwoch, an den Arbeiten an Nord Stream 1 nicht beteiligt zu sein. Man stehe bei Bedarf aber beratend zur Verfügung.
Die Bundesnetzagentur hält die erneute Wartung unterdessen für technisch unbegründet. "Auch diese Wartungsunterbrechung ist für uns technisch nicht nachvollziehbar", sagte der Präsident der Netzagentur, Klaus Müller. Die Argumente halte er für vorgeschoben. Die Erfahrung zeige, dass Russland "nach jeder sogenannten Wartung eine politische Entscheidung getroffen" habe. "Ob Russland das wieder tun wird, werden wir erst Anfang September wissen", sagte er. "Wahrscheinlich weiß das auch nur der russische Präsident an der Stelle."
Eine Turbine hatte auch beim vorherigen Lieferstopp im Juli eine Rolle gespielt (mehr dazu lesen Sie hier). Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck hatte den Umgang Russlands mit den Gaslieferungen bereits bei diesem ersten Lieferstopp mehrmals als "politisch motiviert" bezeichnet.
Was bedeutet das für die Gasspeicher?
Zunächst einmal wenig. Die Speicher haben sich in den vergangenen Wochen schneller gefüllt, als zunächst erwartet worden war. Das für Oktober angepeilte Ziel von einem 85-prozentigen Füllstand könnte bereits Anfang September erreicht werden.
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Möglich ist jedoch, dass die zuletzt steile Einspeicherungskurve durch den Lieferstopp in den kommenden Tagen abflacht. Netzagentur-Chef Müller zeigte sich am Mittwoch dennoch optimistisch. Im Kurznachrichtendienst Twitter schrieb er: "Die Gasspeicher sind zu fast 85 % befüllt & wir können das Gas im Winter auch wieder ausspeichern".
Deutschland sei gut vorbereitet, es müsse aber dabei bleiben, dass weiter Gas eingespart werde, so Müller. Darüber hinaus verwies er auf die geplanten Flüssiggas-Terminals. Diese sollen ab Ende des Jahres ebenfalls die Gasversorgung stärken. Wie es um die deutschen LNG-Pläne steht, lesen Sie hier.
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Was passiert nach der Wartung?
Danach sollten täglich wieder rund 33 Millionen Kubikmeter Erdgas über Nord Stream 1 geliefert werden. Das entspricht den 20 Prozent der täglichen Maximalleistung, auf die Russland die Lieferung schon vor einigen Wochen gedrosselt hatte.
Wie zuverlässig diese Angaben sind, wird sich zeigen müssen. Die Bundesnetzagentur gibt sich auf t-online-Anfrage zurückhaltend. "Wir haben keine Kenntnis darüber, ob nach dem angekündigten Ende wieder Gas durch Nord Stream 1 fließt", teilt eine Sprecherin mit. "Die Bundesregierung und die Bundesnetzagentur werden alle erforderlichen Maßnahmen ergreifen, um die Gasversorgung sicherzustellen", heißt es weiter.
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Seit dem russischen Angriff auf die Ukraine und den daraufhin erlassenen Sanktionen westlicher Staaten hat Russland die Gaslieferungen mehrmals verringert. Vor den planmäßigen Wartungsarbeiten im Juli senkte der russische Staatskonzern die Liefermenge zunächst auf 60, dann auf 40 Prozent des vertraglich vereinbarten Volumens.
Im Juli wurden die Lieferungen dann für zehn Tage komplett ausgesetzt – anders als bei der aktuellen Wartung handelte es sich damals aber um eine Routineüberprüfung der Röhren. Im Anschluss senkte Gazprom die Lieferungen auf 20 Prozent der vereinbarten Liefermenge ab.
Wie wirkt sich der Lieferstopp auf die Gaspreise aus?
Die Lieferkürzungen Russlands haben mit dazu beigetragen, dass die Gaspreise in die Höhe geschossen sind. Auch am Mittwoch zogen die Preise weiter an. Der europäische Erdgas-Future stieg um 2,6 Prozent auf 257 Euro je Megawattstunde. Der Strompreis kletterte ebenfalls wieder nach oben. So kostete eine Megawattstunde zur Lieferung in einem Jahr in Deutschland mit 645 Euro rund sieben Prozent mehr. Lesen Sie hier, warum der Strompreis mit dem Gaspreis zusammenhängt.
Importeure wie der Düsseldorfer Uniper-Konzern können nur mit Milliardenhilfen des Staates für Ersatz sorgen. Haushaltskunden drohen Rechnungen, die um ein Vielfaches höher sind als zuletzt.
Die Sorge ist groß, dass Russland die Lage noch weiter verschärft und Gaslieferungen komplett einstellt. Schon jetzt haben die hohen Energiepreise wesentlich dafür gesorgt, dass die Inflation in Deutschland auf den höchsten Stand seit fast 50 Jahren gestiegen ist.
- Eigene Recherche
- Schriftliches Statement der Bundesnetzagentur
- Mit Material der Nachrichtenagentur dpa