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Gaskrise: Achtung! Jede zweite Preiserhöhung ist nicht zulässig


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Preiserhöhungen im Gasmarkt
"Das ist ganz klar Abzocke"


Aktualisiert am 16.09.2022Lesedauer: 4 Min.
Bares Geld verbrennen (Symbolbild): So dürfte es vielen Gaskunden angesichts der hohen monatlichen Abschläge vorkommen.Vergrößern des Bildes
Bares Geld verbrennen (Symbolbild): So dürfte es vielen Gaskunden angesichts der hohen monatlichen Abschläge vorkommen. (Quelle: IMAGO / Michael Schöne)

Die Abschläge vieler Gaskunden haben sich zuletzt vervielfacht. Doch die Verbraucherzentrale warnt: Nicht jede Erhöhung ist rechtmäßig.

Fast jeder Gaskunde dürfte in den kommenden Woche Post von seinem Energieversorger erhalten – falls nicht längst geschehen. Die Anbieter erhöhen die Preise, und das nicht zu knapp. Einer Auswertung des Vergleichsportals Verivox zufolge liegen die durchschnittlichen Gaskosten für einen Haushalt mit einem Verbrauch von 20.000 kWh Mitte September bei 4.801 Euro (24 Cent/kWh). Vor einem Jahr wurden für die gleiche Menge Gas nur 1.299 Euro fällig – ein Anstieg von 270 Prozent.

Viele Deutsche verzweifeln angesichts dieser Mehrbelastung. Doch ein erheblicher Anteil der Preiserhöhungen ist gar nicht zulässig. Das zumindest zeigt die Erfahrung von Hasibe Dündar, Energierechtsberaterin bei der Verbraucherzentrale Berlin. Im Interview mit t-online erklärt sie, worauf es bei einer Vertragskündigung oder einem Preiserhöhungsschreiben ankommt – und wann Verbraucher sich wehren sollten.

t-online: Frau Dündar, wie groß ist die Verzweiflung bei den Menschen, die derzeit zu Ihnen kommen?

Hasibe Dündar: Die Verzweiflung ist wirklich enorm. Bei manchen geht es um eine Vervier- bis Verachtfachung der Abschläge. Plötzlich sind statt hundert Euro sechshundert fällig – da kommen Existenzängste auf. Die Menschen sind verärgert, gereizt, fühlen sich alleingelassen. Manche Schicksale vergisst man nicht mehr so schnell.

An welches Erlebnis denken Sie da?
In den Sommerferien kam eine alleinerziehende Mutter zu mir, Frührentnerin, mit einem Sohn im Teenageralter. Der möchte natürlich ab und zu abends ausgehen oder mit seinen Freunden für einige Tage in den Urlaub fahren. Doch mit den neuen Abschlägen konnte sie das schlicht nicht bezahlen. Sie hat bitterlich geweint, das tat mir sehr leid. Wir leisten hier zunehmend nicht nur Energieberatung, sondern auch soziale Arbeit.

Mit welchen konkreten Anliegen wenden sich die Menschen an Sie?

Das lässt sich grob in zwei Kategorien einteilen: Preiserhöhungsmitteilungen und Vertragskündigungen. Vor allem im ersten Fall schauen wir sehr genau hin: Mehr als jede zweite Preiserhöhung ist nicht rechtens.

Woran erkenne ich als Energiekunde, ob das Anschreiben gültig ist?

Oft sehen wir Briefe, die zunächst wie Werbung anmuten. Erst auf den zweiten Blick wird deutlich, dass der Arbeitspreis erhöht wird. Manche Verbraucher kommen auch mit seitenlangen Anschreiben zu uns, die – übertrieben gesagt – ohne Komma und ohne Absätze auskommen und die neuen Kosten irgendwo verstecken. Das führt dazu, dass manchen die Neuerung gar nicht auffällt. Das ist nicht zulässig, die Preisanpassung darf nicht bloß eine Randnotiz sein.

Ein Gaszähler zeigt den Gasverbrauch für Heizung und Warmwasser an.
Ein Gaszähler zeigt den Gasverbrauch für Heizung und Warmwasser an. (Quelle: IMAGO/Christoph Hardt)

Der Arbeitspreis

Der Arbeitspreis ist die wichtigste Größe für die Höhe der Strom- oder Gasrechnung. Er wird in Cent pro Kilowattstunde angegeben. Der Arbeitspreis multipliziert mit dem Jahresverbrauch wird zum Grundpreis addiert und ergibt den Abrechnungsbetrag auf der Jahresrechnung.

Welche weiteren Fallstricke gibt es?

Der Anbieter muss mit dem Schreiben auf das Sonderkündigungsrecht hinweisen. Das hat jeder Verbraucher bei einer Preiserhöhung – unabhängig von der restlichen Vertragslaufzeit. Für Verträge im Grundversorgertarif gilt zudem: Vorheriger und neuer Arbeitspreis müssen übersichtlich gegenübergestellt werden, beispielsweise tabellarisch. Das hat der Bundesgerichtshof entschieden.

Und für andere Verträge?

Auch bei Sonderverträgen haben einige Gerichte schon zugunsten der Verbraucher entschieden. Allerdings sind die Urteile noch nicht rechtskräftig. Wir sind der Meinung, dass auch hier eine Gegenüberstellung erfolgen muss.

Welche Anbieter erhöhen jetzt besonders drastisch die Preise?

Pauschal kann ich das nicht beantworten. Die Preispolitik der Versorger hängt mit ihrer Beschaffungsstrategie zusammen. Insbesondere Billiganbieter haben in der Vergangenheit Gas kurzfristig beschafft. Das hat sich zeitweise finanziell sehr gelohnt. Nun rächt es sich aber – vor allem für die Kunden. Und manche Anbieter nutzen die aktuelle Situation gezielt aus.

Das heißt?

Im Energiemarkt gibt es einige schwarze Schafe, die mit allen Mitteln tricksen. Da geht es dann wirklich um eine Preisexplosion: Die verlangen für die Kilowattstunde 80 Cent – der Durchschnitt liegt bei Neuverträgen aktuell bei etwa der Hälfte. Das ist ganz klar Abzocke.

Wie aussichtsreich ist es, sich dagegen zu wehren?

Wir haben jüngst erst erfolgreich geklagt: Das Unternehmen Primaholding mit seinen beiden Anbietern Primastrom und Voxenergie muss die Preiserhöhungen von letztem Dezember zurücknehmen. Privatpersonen scheuen leider häufig den juristischen Weg. Schließlich besteht immer das Risiko, auf den Verfahrenskosten sitzen zu bleiben.

Was raten Sie Verbrauchern, die mit extremen Preiserhöhungen konfrontiert sind?

Wir schauen zunächst gemeinsam auf die Rechnung, um zu entscheiden: Lohnt sich ein Wechsel des Vertrags? Nicht immer ist das sinnvoll. Hat sich der Arbeitspreis beispielsweise auf 20 Cent pro Kilowattstunde verdoppelt, ist das natürlich eine erhebliche individuelle Mehrbelastung – aber immer noch günstiger als ein Neukundenvertrag. Doch in diesen Gesprächen wird immer wieder deutlich: Die Verbraucher sind überfordert.

Schild am Eingang der Verbraucherzentrale in Berlin.
Schild am Eingang der Verbraucherzentrale Berlin. (Quelle: IMAGO / Emmanuele Contini)

Energierechtsberatung bei der Verbraucherzentrale

Jeder Verbraucher kann sich in der Verbraucherzentrale seines Bundeslandes in puncto Energiekosten beraten lassen. In Berlin kostet dies 20 Euro für eine halbe Stunde, für Sozialleistungsempfänger 10 Euro. Die Energieschuldenberatung ist kostenfrei.

Inwiefern?

Der Energiemarkt ist komplex, es gibt etliche Anbieter und Vertragsmodelle. Da muss man erst mal durchsteigen. Außerdem schwanken die Preise so stark, dass ein "guter Preis" ganz schwer festzustellen ist. In den letzten Monaten haben sie konstant um 5 bis 10 Prozent zugelegt, aber das weiß ich nur, weil ich mich tagtäglich mit dem Thema befasse. Dazu ist der Verbraucher gar nicht in der Lage.

Was also tun?

Wenn ein Wechsel keine geringeren Kosten verspricht, kann ein Antrag auf Sozialleistungen gestellt werden. Nicht nur Sozialhilfeempfänger haben Anspruch auf Heizkostenübernahme. Viele müssen über ihren eigenen Schatten springen, um einen solchen Antrag zu stellen. Ich habe kürzlich einen Rentner beraten, der sein ganzes Leben gearbeitet hat und nun auf staatliche Unterstützung angewiesen ist. Das war schlimm für ihn.

Welche Möglichkeiten haben Verbraucher, wenn sie mit den Rechnungen bereits im Rückstand sind?

Wir bieten in der Verbraucherzentrale eine Energieschuldenberatung an. Oft können wir eine Energiesperre abwenden oder aufheben, da wir natürlich in Kontakt mit den Grundversorgern stehen.

Wie blicken die Verbraucher dieser Tage auf die Politik?

Die Menschen, die zu uns kommen, fühlen sich von der Regierung nicht gesehen. Sie erzählen, sie hätten den Ukraine-Krieg ja nicht haben wollen. Im Übrigen betrifft das nicht nur Senioren mit einer schmalen Rente oder Studierende. Auch besser situierte Paare, die beispielsweise einen Immobilienkredit abbezahlen, kommen zu uns. Wir sind das Sprachrohr dieser Menschen, nehmen ihren Kummer, Ärger und Frust auf und geben ihn an die Politik weiter. Und wir versuchen, ihnen zu vermitteln: Sie sind nicht allein.

Vielen Dank, Frau Dündar, für das Gespräch.

Verwendete Quellen
  • Gespräch mit Hasibe Dündar von der Verbraucherzentrale Berlin
  • Homepage der Bundesnetzagentur: "Arbeitspreis (Energie)"
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