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Dax: Warum die AfD keine Gefahr für den Aktienmarkt ist


Landtagswahl in Thüringen
"Die AfD ist keine Gefahr für den Dax"


Aktualisiert am 31.08.2024Lesedauer: 7 Min.
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Björn Höcke: Die AfD könnte in Thüringen stärkste Kraft werden. (Quelle: IMAGO/imago)

Landtagswahlen in Ostdeutschland, US-Wahlen, Mini-Crash am Aktienmarkt: Anleger finden sich in unruhigen Zeiten wieder. Wie es mit Dax und Co. weitergehen könnte, erklärt ein Experte.

Es könnte ruhiger zugehen an den Börsen in diesen Wochen. Der Mini-Crash vor wenigen Wochen, bei denen der japanische Nikkei-Index an einem Tag rund 12 Prozent an Wert einbüßte und der Dax mehr als drei, zeigen, wie nervös Investoren auf Konjunktur und Geldpolitik blicken. Und auch politisch leben wir in unsicheren Zeiten:

Ein Wahlsieg der AfD in Thüringen am Sonntag ist nicht unwahrscheinlich. In den USA kämpft Donald Trump um den Wiedereinzug ins Weiße Haus. Die Konjunktur stockt, die Inflation ist weiter da. Wie sehr beeinflusst diese Gemengelage die Börsen?

t-online hat mit dem Kapitalmarktstrategen des Kölner Vermögensverwalters Flossbach von Storch, Thomas Lehr, darüber gesprochen, was ein Wahlsieg der AfD in Ostdeutschland für den Dax bedeuten würde, wie sich deutsche Unternehmen gegen eine restriktive Handelspolitik eines Donald Trump behaupten könnten und wie eine gute Geldanlage in unsicheren Zeiten aussehen kann.

t-online: Am Sonntag stehen Landtagswahlen im Osten an. Herr Lehr, wie sehr rauscht der Dax ab, wenn die AfD in Thüringen die Mehrheit holt?

Thomas Lehr: Auch wenn ich mir als politisch interessierter Bürger einen anderen Ausgang wünsche – in meiner Funktion als Kapitalmarktstratege bin ich entspannt: Die AfD ist keine Gefahr für den Dax.

Ach ja?

Global betrachtet spielen die Landtagswahlen keine Rolle. Investoren aus den USA, in Japan sind so weit weg und haben keinen Bezug zur hiesigen Landespolitik. Ein Unterschied wäre sicherlich, wenn die AfD mit absoluter Mehrheit die Bundestagswahl gewönne. Dann würde ich die Aussage sicherlich noch einmal revidieren.

Thomas Lehr: Idealerweise haben Anleger jetzt jene Unternehmen im Depot, deren größter Freund die Inflation ist.
Thomas Lehr: Idealerweise haben Anleger jetzt jene Unternehmen im Depot, deren größter Freund die Inflation ist. (Quelle: Flossbach von Storch)

Zur Person

Thomas Lehr ist seit Anfang 2017 Kapitalmarktstratege der Flossbach von Storch AG. Zuvor arbeitete er 15 Jahre für die Credit Suisse Gruppe, war dort zunächst als Investment Consultant und Investmentstratege in Deutschland tätig und wechselte während der Finanzkrise im Jahr 2008 nach Zürich. Seine Bankausbildung absolvierte Thomas Lehr in den frühen 1990er-Jahren im deutschen Genossenschaftssektor. Dort war er anschließend viele Jahre als Vermögensberater tätig.

Wenden wir den Blick über den Atlantik. Dort geht der Wahlkampf langsam in die heiße Phase. Donald Trump will erneut ins Weiße Haus. Was wäre Ihrer Meinung nach das schlimmste Szenario?

In der Theorie wäre eine Hängepartie das Schlimmste. Doch wir können die US-Wahlen nicht isoliert betrachten.

Was heißt das?

Bei den Wahlen 2020 hatten wir die besagte Hängepartie. Und wir haben beängstigende Szenen gesehen, den Sturm auf das Kapitol. Die Aktienmärkte haben aber kaum darauf reagiert. Politische Ereignisse spielen selten eine Rolle. Auch wenn ich mich mit dieser Aussage zum Spielverderber mache: Für langfristig denkende Investoren sind die US-Wahlen kein Thema. Andere Faktoren, etwa die Inflationsentwicklung, sind wichtiger.

Sie fürchten einen US-Präsidenten Trump also nicht?

Nicht aus Investorensicht. Für den Aktienmarkt gefährlicher wäre ein sehr linker Kandidat wie Bernie Sanders. Bei Trumps Wahl 2016 war bis auf ein bisschen Nervosität am Morgen danach nichts zu spüren. Die meisten hatten damals mit deutlich kräftigeren Schwankungen gerechnet, ich auch. Weil Trump so sprunghaft ist. Doch so war das nicht.

Sondern?

Es ging an einem Stück 15 Monate nach oben. Bis in den Januar 2018 gab es keinen einzigen größeren Rücksetzer, nicht mal zwei oder drei Prozent.

Trump steht für eine protektionistische Handelspolitik, für hohe Strafzölle. Hat das Folgen für uns in Deutschland?

Nicht nur Trump. Joe Biden hat Trumps protektionistische Politik fortgeführt, wenngleich in moderaterem Tonfall. Insofern haben sich global operierende Unternehmen darauf eingestellt – und können darauf reagieren. Protektionismus ist kein Trump-spezifisches Problem.

Wie meinen Sie das?

Die Globalisierung wird seit Jahren rückabgewickelt. Eine sehr starke globale Vernetzung ist auch immer eine Gefahr, etwa bei Lieferengpässen, wie wir das im Zuge der Corona-Krise gesehen haben. Viele Unternehmen produzieren mittlerweile wieder lokal beziehungsweise haben ihre Abhängigkeiten von einzelnen Auslandsstandorten reduziert. Die meisten Unternehmen werden mit einem US-Präsidenten Trump umgehen können.

Trump hat aber bereits angedeutet, die US-Notenbank Fed stärker unter seine Kontrolle bringen zu wollen und den US-Dollar zu schwächen. Auch das wird Folgen für globale Firmen haben.

Das wäre so, ja. Trump weiß aber, dass es hier deutliche Wechselwirkungen gibt, die ihm letztlich schaden würden. Insofern halte ich eine Umsetzung des Plans für wenig realistisch. Grundsätzlich sind Währungsbewegungen nur dann schlimm, wenn sie schnell und heftig kommen. Wenn es langsam geht, lernen die Akteure damit umzugehen.

Zuletzt kam es vor knapp drei Wochen zu einem Mini-Crash an der Börse. Auch aufgrund von Wechselkursschwankungen. Dass der Yen gegen den Dollar gehandelt wurde, dass die US-Konjunktur schwächelte, sollte bekannt gewesen sein. Oder nicht?

Ja, doch werden die Erklärungen oft auf die Währungsbewegungen zwischen Yen und Dollar reduziert: Zwei Jahre hatten wir hohe Zinsen in den USA, die wohl bald sinken. Viele Jahre hatten wir Nullzinsen in Japan, die nun gestiegen sind. Wer sich günstig in Yen verschuldet und in Dollar investiert hat, muss raus aus dem Dollar. Man hätte dann steigende Renditen bei US-Anleihen erwarten müssen, doch das Gegenteil ist passiert. Diese Erklärung ist daher nur halb plausibel.

Was ist denn plausibler?

Plausibler wird es, wenn wir überlegen, dass automatisierte Strategien dahinterstehen.

Wie meinen Sie das?

Viele Markteilnehmer arbeiten heute mit Algorithmen, die mit historischen Daten gefüttert werden. Und die wissen: Ein plötzlich erstarkender Yen geht gewöhnlich mit Stress an den Finanzmärkten ein. Beim Algorithmus blinken die Alarmlampen – und es wird im großen Stil verkauft.

Den Privatanleger schreckt so etwas aber doch eher ab. Und bestätigt ihn in seiner Vorstellung, dass an der Börse alles unkalkulierbar ist. Oder?

In dem Moment hat er zu 100 Prozent recht: Die Börse ist unkalkulierbar. Über zwei Wochen aber zeigt sich, dass sich am Ende doch die "echte Lage" durchsetzt, in dem Fall: Es ist gar nichts passiert. Die Kurse stehen heute wieder da, wo sie vor dem Ereignis gestanden haben. Wer gerade an dem einen Tag handeln musste, für den ist es wenig tröstlich. Wer zwei Wochen im Urlaub war, schaut danach ins Depot und hat nicht bemerkt, was in der Zwischenzeit los war.

Nehmen wir an, ein Privatanleger schaut an dem Morgen in sein Depot und sieht: Der Wert seiner Aktien steht dick im Minus. Was soll er tun?

Die Ruhe bewahren. Das ist einfacher, wenn Sie nicht in Einzelaktien investiert sind, sondern in Fonds oder ETFs. Und an der Börse gilt die Regel: Sie sollten immer genug Zeit mitbringen.

Erklären Sie das bitte.

Nicht zwei Wochen, nicht 12 Monate. Manchmal dauert es auch 24 Monate, bis sich der "Schrecken" wieder gelegt hat. Es geht darum, das eigene Geld langfristig zum Arbeiten zu bringen. Kurzfristige Schwankungen, die vermeintliche Experten im Nachhinein immer gut erklären können, sind schlicht und ergreifend nicht prognostizierbar. Es hilft schon, nicht ständig auf die Kursentwicklung zu schauen.

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Wie sieht denn eine gute Geldanlage aus, wenn man 10.000 Euro zur Verfügung hat?

Der Schlüssel zum Erfolg liegt immer darin, dass man die Sache durchzieht. Anleger sollten sich also für eine Geldanlage entscheiden, bei der Schwankungen sie nicht plötzlich unruhig schlafen lassen, sie aus Panik verkaufen. Daher ist für den einen ein Mischfonds besser, mit einer Aktienquote von nicht mehr als 20 Prozent. Für den anderen kann die Aktienquote bei 60 Prozent liegen. Ich persönlich kann mit 100 Prozent Aktienquote ruhig schlafen. Sie müssen sich auch fragen: Wie viel Rendite wollen Sie erwirtschaften? Und passt das zusammen?

Was heißt das konkret?

Mit dem Aktienfonds könnte ich im Jahr 700 Euro verdienen, aber auch Geld verlieren. Demgegenüber stehen vielleicht 300 Euro sicherer Zinsertrag aus Festgeld. Man muss sich eines überlegen: Ist mir eine höhere Renditechance den Stress wert, sich damit auseinanderzusetzen?

Woher nehmen Sie denn die Gewissheit, dass es langfristig immer nach oben geht?

Ich bin überzeugt davon, dass sich in einem globalen Aktienmarkt über lange Zeit genau die Unternehmen durchsetzen, die ein überzeugendes Geschäftsmodell haben und sich auch die Leute finden, die diese Unternehmen gut lenken. Gleichzeitig schütze ich mich mit Aktien davor, dass mein Geld durch Inflation weniger wert wird.

Warum ist das so?

Über die nächsten Jahrzehnte werden die Preise weiter steigen. Wenn aber Preise für Produkte und Dienstleistungen steigen, dann wird man auch höhere Preise für die Unternehmen zahlen, die diese Produkte und Dienstleistungen anbieten. Das geht ja gar nicht anders.10 Pfennig in den 70er-Jahren waren etwas anderes als 10 Cent heute. Deswegen sind die Firmen heute auch viel teurer.

Das gilt besonders für Tech-Giganten wie Apple, Microsoft, Nvidia oder Amazon, die in den vergangenen 20 Jahren deutlich an Wert zugelegt haben. Nun aber verloren sie deutlich. Haben diese Firmen die beste Zeit hinter sich?

Viele Aktien, nicht nur im Techsektor, sind aktuell teuer. Und man muss sicher fragen: Rechtfertigen diese Unternehmen das Geld, das ich heute bereit bin, für ihre Aktien auszugeben, in Form künftiger Erträge? Bei manchen fällt es mir schwer, die aktuelle Bewertung nachzuvollziehen.

Das liegt auch daran, dass der Hype um Künstliche Intelligenz die Bewertung aufbläht, oder?

Entweder KI setzt sich durch. Dann laufen die Tech-Konzerne vielleicht noch ein wenig weiter, aber richtig aufholen wird die breite Masse der Unternehmen. Oder KI setzt sich nicht durch.

Und dann?

Dann verlieren vor allem die Tech-Konzerne. Ich vertraue auf den breiten Markt. Wichtig für den Privatanleger ist hier zu wissen: Der breite Markt ist heute leider nicht mehr unbedingt jeder breit investierte globale ETF oder jeder aktive Fonds. Anleger sollten also auch nach rechts und links Ausschau halten.

Welche Aktie haben Sie als Privatperson denn zuletzt gekauft?

Das kann ich Ihnen nicht genau sagen. Das ist zu lange her. Ich investiere nicht in Einzelaktien.

Wieso das nicht?

Weil ich nicht bewerten kann, ob der Kursrückgang einer bestimmten Aktie um 10 Prozent so gerechtfertigt ist – ob ich abwarten, kaufen oder verkaufen sollte. Ich bin kein Unternehmensanalyst. Mein gesamtes privates, liquides Vermögen ist seit Jahren in einem Aktienfonds investiert. Ich vertraue darauf, dass dieser die besten Entscheidungen für mich trifft. Aus dem Grund kann ich auch ruhig schlafen.

Herr Lehr, vielen Dank für das Gespräch!

Verwendete Quellen
  • Interview mit Thomas Lehr am 22. August 2024
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