Die subjektive Sicht des Autors auf das Thema. Niemand muss diese Meinung übernehmen, aber sie kann zum Nachdenken anregen.
Was Meinungen von Nachrichten unterscheidet.Falsche Daten Wie Alice Weidel versehentlich fürs Impfen warb
Die AfD-Politikerin hantiert in einem Interview zu Covid mit falschen Zahlen – und wird direkt vom Statistischen Bundesamt entlarvt. Das könnte hinter Weidels Aussage stecken.
Gestern Morgen im Taxi. Der Fahrer drehte sich zu mir um, um nach meinem Fahrtziel zu fragen. Und ich erblicke etwas, das ich weder erwartet hatte noch sehen wollte: einen Menschen ohne Maske. Sofort bat ich den Mann darum, sie aufzusetzen. Er murrte, kam dem nach – und dann ging es los: "Wir" wären doch alle hysterisch. Die Masken würden nichts bringen. Und die Impfung auch nicht.
Und wissen Sie was? Ich habe meinen Mund gehalten. Der Schwurbler trug seine Maske und brachte mich zum Ziel. Mehr wollte ich in diesem Moment nicht. Und mehr konnte ich in diesem Moment vor allen Dingen auch nicht: Es war früh am Morgen.
Mir fehlte die Kraft, wie sonst in solchen Situationen, gebetsmühlenartig Fakten vorzutragen. Zum Beispiel, dass der sensationelle Nutzen von Masken gerade in einer Studie nachgewiesen worden ist.
Die Fernsehjournalistin Nicole Diekmann kennt man als seriöse Politik-Berichterstatterin. Ganz anders, nämlich schlagfertig und lustig, erlebt man sie auf Twitter – wo sie bereits Zehntausende Fans hat. In ihrer Kolumne auf t-online filetiert sie politische und gesellschaftliche Aufreger rund ums Internet. Ihr Buch "Die Shitstorm-Republik" ist überall erhältlich.
Leute wie er fallen rein auf Leute wie sie: Alice Weidel, Co-Vorsitzende der AfD-Fraktion im Bundestag. Funktionäre aus Weidels Partei suchen offen den Schulterschluss mit "Querdenkern". Weidel selbst hatte gerade Corona und war laut eigenen Angaben nicht geimpft.
Teile der AfD-Fraktion verweigern das Impfen und Testen
Teile der von ihr geführten Fraktion gehen noch einen Schritt weiter: Sie verweigern nicht nur die Impfung, sondern auch das Testen. Da im Bundestag 3G gilt, müssen sie deshalb auf der Besuchertribüne sitzen. In den sozialen Netzwerken posten sie von dort oben feixende Selfies.
Gleichzeitig werden anderswo schwerstkranke Menschen durchs Land geflogen, weil die Intensivstationen zu voll sind. Tja. Und ausgerechnet ihre Fraktionschefin hat der Impfkampagne gestern, nur wenige Stunden nach meiner Taxifahrt, möglicherweise einen großen Dienst erwiesen.
Und das kam so: Am Rande der Kanzlerwahl gab Weidel den Kollegen von Phoenix ein Interview. Und beging darin einen massiven Fehler. Weidel behauptete, die meisten Covid-Patienten auf Intensivstationen seien geimpft. Als sie nach der Quelle für ihre falsche Aussage gefragt wurde, stieß sie schließlich nach einigen Ausweichmanövern "Destatis" hervor.
Weidel wird von ihrer vermeintlichen Quelle widerlegt
Destatis ist den meisten bekannt als Statistisches Bundesamt. Nur: An Weidels Aussage stimmt exakt nichts. Und da das Statistische Bundesamt auf Zack ist, weiß das nun auch eine breite Öffentlichkeit:
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Eine Falschbehauptung knallhart als solche entlarvt. Nix da Pudding.
Selten ist es so einfach. Wie schnell verheddert man sich in Debatten. Leute sagen, sie wollten sich jetzt noch nicht impfen lassen, weil der Impfstoff ja noch so neu sei und unerforscht?
Ja, man kann dem etwas entgegensetzen: Die mRNA-Technik ist Jahrzehnte alt. Inzwischen sind zig Millionen Menschen damit geimpft worden. Spätfolgen durch Impfungen gibt es im Gegensatz zu Nebenwirkungen nicht. Totimpfstoffe, auf die einige derjenigen (angeblich) warten, brauchen Impfverstärker – die wiederum starke Nebenwirkungen hervorrufen können.
Auch in anderen Kanälen braucht es den Widerspruch
Die Wahrscheinlichkeit für eine Herzmuskelentzündung durch eine Impfung gegen Corona existiert – das Risiko, daran zu erkranken, ist aber im Falle einer Covid-Infektion viel höher. Kann man alles entgegnen, ist auch alles richtig. Nur: Das Gegenüber findet noch für die skurrilsten Behauptungen Argumente, jede Wette.
Und es findet sich immer eine Quelle, die das Gegenteil behauptet. Irgendein YouTube-Video, irgendeine Website. In den unendlichen Weiten des Netzes findet sich unendlich viel Stuss, den bestürzend viele Menschen glauben. Fängt man aber erst mal an, solche Quellen als das zu entlarven, was sie sind – nämlich: vollkommen unseriös –, hat man sich vom Kern der Ursprungsdebatte schon so weit entfernt, dass doch wieder vermeintliche Wahrheiten hängen bleiben, die bestenfalls halb stimmen.
In diesem Fall aber gibt es nichts zum Verheddern: Weidel hat eine konkrete Aussage gemacht ("Destatis"), und die stimmt nicht. Aus Unwissenheit? Oder mit voller strategischer Absicht, weil sie weiter um Wählerstimmen aus dem Lager der Coronaverharmloser und -leugner kämpft? Das weiß nur sie. Ich habe zwar eine Vermutung, aber wenig Interesse daran, Post von einem Anwalt zu bekommen. Also behalte ich sie für mich und benutze lieber Fragezeichen.
Weidel hat gezeigt: Ihre Behauptungen sind oft substanzlos
Klar aber ist: Weidel hat gezeigt, wie viel Substanz Behauptungen wie ihre oft haben: gar keine. Mit welcher Chuzpe Leute wie sie vor Kameras steilste Thesen aufstellen – ohne jegliches Fundament. Weidel ist die Maske verrutscht. Und zudem haben ernstzunehmende Medien die durch Weidels bizarren Auftritt entstandene Aufmerksamkeit für das Thema genutzt, um weitere Fakten zu liefern.
Wenn das Statistische Bundesamt jetzt noch bei Telegram so auftritt wie bei Twitter, wäre das womöglich ein Booster für Zweifel an den Zweiflern. Telegram ist noch ausgeprägter als Twitter, Facebook und andere ein Quell für gefährliche Desinformationen. Wenn der ein oder andere, der in seinem Weltbild noch schwankt, dort die Entlarvung von Weidels Aussage sieht – dann hinterfragt er vielleicht noch mehr Aussagen rund um Corona.
Dann würde vielleicht aus dem Hashtag #WeidelLuegt, der gestern kursierte, ein anderer: #DankeWeidel. Danke für die Werbung fürs Impfen. Wenn auch unfreiwillig.