Kamala Harris' Lachen Dahinter steckt ein Muster
Die subjektive Sicht des Autors auf das Thema. Niemand muss diese Meinung übernehmen, aber sie kann zum Nachdenken anregen.
Was Meinungen von Nachrichten unterscheidet.Jetzt ist es Kamala Harris' Lachen, früher war es Merkels Ausschnitt. Sobald eine Frau Macht hat, wird ihr die Eignung zur Politik abgesprochen, findet unsere Kolumnistin.
Donald Trump hat am 6. Januar 2021 einen Mob aufgeheizt, angespornt und unter Zuhilfenahme einer Lüge über eine angeblich gestohlene Wahl in hasserfüllte Ekstase, elektrisierte Hybris getrieben – und ins Kapitol. Fünf Menschen starben beim surrealen Versuch der entfesselten Trump-Anhänger, ihr großes Idol erneut zum Präsidenten zu machen. Sehr viele wurden verletzt, darunter 140 Polizisten.
Zur Person
Die Fernsehjournalistin Nicole Diekmann kennt man als seriöse Politikberichterstatterin. Ganz anders, nämlich schlagfertig und lustig, erlebt man sie auf der Plattform X – wo sie über 120.000 Fans hat. Dort filetiert sie politische und gesellschaftliche Aufreger rund ums Internet. Ihr Buch "Die Shitstorm-Republik" ist überall erhältlich. In ihrem Podcast "Hopeful News" spricht Diekmann jede Woche mit einem Gast über die schönen, hoffnungsvollen – einfach GUTEN Nachrichten. Bei t-online schreibt sie jeden Mittwoch die Kolumne "Im Netz".
Donald Trump ist darüber hinaus inzwischen mehrfach vorbestraft. Er hat außerdem nachweislich sehr oft gelogen. Trump ist ein Frauenverächter, und er ist ein Politiker, auf den sich niemand verlassen kann. Trump unterschreibt zum Beispiel erst internationale Abschlusserklärungen, um sie kurze Zeit später via Social Media für null und nichtig zu erklären.
In einer idealen Welt wäre Trump so circa der Allerletzte, der erneut fürs Weiße Haus kandidieren dürfte und auch noch reelle Chancen auf den Wiedereinzug hätte. In einer idealen Welt würden wir allein bei der Vorstellung lachen. Und zwar sehr laut. Was wir allerdings bleiben lassen sollten, falls wir eine Frau sind. Das gehört sich nämlich nicht.
Lachen vs. Verbrechen
Ob ich zu lange in der Sonne war, fragen Sie sich? In einer idealen Welt wäre das die einzig denkbare Antwort. Leider aber leben wir in keiner idealen Welt. Sondern in einer, in der nicht nur ein krimineller Frauenhasser wie Trump schon einmal einer der mächtigsten Menschen der Welt war und womöglich wieder wird. Wir leben in einer Welt, in der Frauen in Machtpositionen immer mit Sexismus rechnen können. Ja, in der sie sogar damit rechnen müssen. Äußerlichkeiten, Privates, Irrelevantes wird so lange argumentativ gebogen, bis es als vermeintlicher Beweis dient: für das Überfordertsein, für die Unfähigkeit der Frau, aktuelle oder höhere Posten bekleiden zu können.
Die Schweizer Tageszeitung NZZ veröffentlichte vor wenigen Tagen einen Text, in dem das Lachen von Kamala Harris thematisiert wurde. Und zwar negativ. "Wer ständig lacht, macht sich angreifbar", liest da der erstaunte Leser und die erstaunte Leserin. Das könne für Kamala Harris im Kampf um das Oval Office zum Problem werden.
Zum Problem im Wahlkampf gegen einen verurteilten Verbrecher. Einen Mann, der enormen Anteil an einem versuchten Staatsstreich hat. Einem Mann, der ein Verhältnis mit einer Porno-Darstellerin hatte, ihr Schweigegeld zahlte und diese Zahlung auch noch zu verschleiern versuchte. (Und das nicht mal schaffte.)
Notdürftig getarnter Quatsch
In einer idealen Welt könnte diese Kolumne an dieser Stelle enden, weil sich Erklärungen ab einem gewissen Grad der Absurdität ja erübrigen, und der erwähnte Artikel mitsamt seiner These klingt ja absurd. Zumal das Echo in den sozialen Netzwerken auf diesen als wohlmeinende Kritik notdürftig getarnten Quatsch wohltuend verheerend ist. In einer idealen Welt wäre dieser Artikel über Harris’ Lachen in einem völlig unwichtigen Schmierblatt erschienen, vor dem sich selbst der tote Fisch ekelt, der hineingewickelt wird.
Leider aber stimmt nichts davon – nur dies: Tatsächlich könnte ihr Lachen zum Problem für Kamala Harris werden. Nicht nur, weil solche Texte wie in der traditionsreichen Schweizer Zeitung frauenfeindliche Erzählungen adeln und verbreiten. Sondern ganz einfach, weil ihr Frausein an sich ein Problem ist. Denn dieser Text lässt sich nicht einfach abstempeln mit "Da hatte eine Journalistin halt eine Schnapsidee, und niemand konnte sie stoppen." Ja, eine Frau hat diesen Text geschrieben. Das ist nicht schön, das ist aber auch nicht völlig erstaunlich. Auch Frauen bedienen ständig sexistische Klischees. Ich auch. Sexismus ist so tief verankert in unserer Gesellschaft, dass wir ihn oft gar nicht als solchen erkennen. Jedenfalls den Sexismus, der nicht so plump ist wie der in diesem konkreten Artikel.
Merkel erging es ähnlich
Und trotzdem ist das Geschlecht der Urheberin dieses Unsinns egal. Das Geschlecht von Kamala Harris hingegen ist es eben nicht. Harris steckt in einem Dilemma, das da heißt: "Frau strebt nach Macht". Im Falle von Harris muss man ja sagen: Noch mehr Macht. Schon als Vizepräsidentin ist Kamala Harris ja durchaus jemand. Jemand übrigens, der in den vergangenen Jahren zu unscheinbar geblieben sei, wie es ja nun oft heißt. Ja, genau: Kamala Harris – zu unscheinbar geblieben. Die Kamala Harris, die zu laut und unpassend lacht. Zu blass und gleichzeitig aber zu viel: Logisch ist das nicht miteinander in Einklang zu bringen. Psychologisch allerdings schon. Kamala Harris ist eine Frau, Kamala Harris will mehr – also kann Kamala Harris es niemandem recht machen.
Angela Merkel kann ein Lied davon singen. Die ist ja auch eine Frau. Das wagte sie mal sehr deutlich zu zeigen – und, wie ich finde: sehr attraktiv. Als sie nämlich in Oslo in die Oper ging. Da trug sie keinen Blaumann, da trug sie auch keine Imker-Ausrüstung – nein, sie trug ein Kleid! Mit einem Ausschnitt, so offenherzig, wie Kamala Harris lacht. Und sie konnte das tragen, wie man so schön sagt. Es sah super aus! Aber was war da los! Die Kanzlerin hat einen Busen! Schockschwere Not! Darf die das? Dieselbe Kanzlerin übrigens, die gerne auch als "Mutti" oder als "Kohls Mädchen" bezeichnet wurde. Passt logisch nicht zusammen, aber – Sie wissen Bescheid.
Mit zweierlei Maß
Einstimmen in den Song "Wir finden schon etwas, das sie ungeeignet erscheinen lässt" kann auch Annalena Baerbock. Baerbock ist Mutter. Im Gegensatz zu Merkel, der deswegen öfter mal schlankweg die Eignung als Regierungschefin abgesprochen wurde. Ob Baerbock – in sozialen Netzwerken gerne von ihren Gegnern als "Annalenachen" kleinzumachen versucht – vernünftig als Außenministerin würde arbeiten können, mit zwei Kindern zu Hause? Wohlgemerkt, nicht im Waisenhaus. Annalena Baerbocks Töchter haben einen Vater. Aber eben auch eine Mutter. Die ist eine Frau, also ist sie solchen öffentlichen Überlegungen ausgesetzt. Was haben wir hingegen Sigmar Gabriel gefeiert, als der als damaliger Vizekanzler öffentlich deklarierte, dass er plane, seine Tochter einmal pro Woche (ja, jede Woche, es war der blanke Wahnsinn!) aus der Kita abzuholen.
Kurzer Einschub: Dass Kamala Harris keine leiblichen Kinder hat und der frisch zum Kandidaten auf das Vizepräsidentenamt von Donald Trump inthronisierte J. D. Vance kinderlose Frauen direkt mal mit verrückten Katzenladys verglichen hat – Zufall? Oder erkennen Sie ein Muster? Nein? Dann, mit Verlaub, sind Sie musterblind.
Seit wann hat Kleidung Einfluss auf politische Fähigkeiten?
Gerne mache ich weiter. Claudia Nolte, die Älteren erinnern sich. CDU-Frau, wie Merkel. Wie sie sehen, zieht es sich durch alle Parteien. Es ist ein gesamtgesellschaftliches Phänomen.
Claudia Nolte jedenfalls war Fan von Rüschenblusen. Das wurde auch thematisiert. Natürlich. Wir leben ja nicht, vielleicht hab' ich es noch nicht erwähnt, in einer idealen Welt. In einer solchen nämlich hätte der Kleidungsstil keinen Einfluss auf politische Fähigkeiten. Wie aber, und das frage ich Sie nun als kritische Leser, soll denn eine Frau vernünftig als Bundesfamilienministerin arbeiten, wenn sie Rüschenblusen trägt? Haben Sie sich eigentlich schon mal die Hosen von Markus Söder genauer angesehen? Ich frag' ja nur!
Da hilft kein Bemühen um Entkräftung
All das ist eine Frechheit. All das ist Sexismus, so sehr sich Männer – und in meinen Kommentarspalten sind es ausschließlich Männer – nun auch sehr darum bemühen, den Sexismus-Vorwurf zu entkräften: Über Helmut Kohls Figur seien doch auch Witze gemacht worden! Über die orangefarbene Haut von Donald Trump! Als wäre die Tatsache, dass auch über Männer in der Politik gewitzelt wird, der Beleg dafür, dass Sexismus nicht existiert. Ein Follower führt allen Ernstes das Argument ins Feld, über Gerhard Schröders Freundin würde sich ja schließlich auch lustig gemacht. Und nennt dabei nicht mal ihren Namen. Als wäre So-yeon Schröder-Kim eine Haarfarbe, ein Kleidungsstück, eine Stimmlage. Sie ist übrigens Schröders Ehefrau.
Noch Fragen? Ich habe keine. Nur eine Bitte: dass Kamala Harris diesem albernen Artikel beziehungsweise dem dahinter stehenden Gedankengut keine Beachtung schenkt. Sondern bestenfalls darüber lacht. Besonders über die entlarvenden Schlussworte: Mit weniger öffentlichem Lachen, ist dort doch wahrhaftig zu lesen, würde Kamala Harris wie wirken? Vielleicht ahnen Sie es bereits. Ganz genau: staatsmännischer.
- Eigene Meinung