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Was Meinungen von Nachrichten unterscheidet.Einsatz von "Beauty"-Filtern Darum ist das Fahndungsfoto von Rebecca problematisch
An ihrem Foto kommt keiner vorbei: Seit über einem Monat wird Rebecca aus Berlin vermisst. Ganz Deutschland hält Ausschau nach dem Mädchen mit den Schmoll-Lippen, Kulleraugen und der Porzellanhaut. Das Problem: So sieht die 15-Jährige gar nicht aus.
In der Pubertät haben Teenager meist mit ihrem Selbstbewusstsein zu kämpfen. Die Hormone spielen verrückt, das Gesicht häuft sich mit Pickeln und der Körper verändert sich drastisch. Die Berliner Schülerin Rebecca, die seit dem 18. Februar spurlos verschwunden ist, ist eine von Millionen Menschen, die bei Instagram und Co. Fotos mit sogenannten "Beauty"-Filtern hochladen. In sozialen Medien stößt man kaum noch auf ein Selfie, das nicht digital mit Filtern optimiert wurde. Dass aber ein solches Bild als Fahndungsfoto verwendet wird, ist neu und alarmierend.
Snapchat-Filter lassen Makel verschwinden
Das Netzwerk Snapchat hat 2015 erstmals solche Filter angeboten – seitdem sind diese nicht mehr aus den sozialen Netzwerken wegzudenken. Facebook und dessen Tochterfirma Instagram haben das erfolgreiche Konzept nach kurzer Zeit übernommen. Der Nutzer muss in den genannten Apps nur die Frontkamera seines Smartphones aktivieren und kann dann mit wenigen Klicks Hundeöhrchen in sein Bild einblenden oder einen Blumenkranz auf seinem Kopf erscheinen lassen. Oder aber den vorteilhaften "Beauty"-Filter benutzen, der das Gesicht schmälert, die Hauttextur glättet und große Bambi-Augen erzeugt.
Vergleicht man das Fahndungsfoto von Rebecca, das ihrem Instagram-Profil entnommen ist, mit privaten Schnappschüssen ohne Filter, sind die Unterschiede sofort zu erkennen. Wie konnte es dazu kommen, dass die Polizei hauptsächlich mit einem Filterfoto nach der 15-Jährigen sucht, auf dem die Vermisste nicht wirklich realistisch aussieht?
Die intensive Präsenz des Falls von Rebecca hat Gründe
Auf Anfrage der "Welt" erklärte eine Sprecherin des Berliner Landeskriminalamtes, warum gerade dieses Bild von dem vermissten Teenager verwendet wird: Die Familie hätte diese Entscheidung getroffen. "Wir sind davon abhängig, dass sie uns diese Fotos geben".
Rebeccas Fall ist seit Wochen präsent in den Medien, mit jedem Hinweis steigt das Interesse an ihrem unaufgeklärten Verschwinden. Es ist nicht auszuschließen, dass gerade das geschönte Foto von ihr ein Grund dafür ist. US-Sozialwissenschaftler haben die Bezeichnung "Missing White Women Syndrome" ("Vermisste-weiße-Frau-Syndrom") geprägt, nachdem sie beobachtet haben, wie überproportional über Vermisstenfälle in den USA berichtet wurde, wenn es um weiße, attraktive Frauen aus der Mittelschicht geht.
Rebeccas Familie erklärte die Bildauswahl damit, dass sie kaum Fotos der 15-Jährigen hätten, die nicht bearbeitet seien – was nur deutlicher zeigt, wie stark das Schönheitsideal in den sozialen Medien Einfluss auf die Vermisste hatte. Allerdings gab es durchaus unverfälschte Bilder von ihr, auf denen sie aussieht wie ein normaler Teenager, wie auf dem Vermissten-Flyer ihrer Schwester zu sehen war.
Der "Welt" gegenüber spricht Medienpsychologe Jo Groebel von einer "Ikonisierung" des Fotos – die Schönheit des Mädchens habe dafür gesorgt, dass der Fall mehr Aufmerksamkeit bekommt. Fragt sich nur, ob die ein Vorteil ist, wenn man den Teenager auf dem Fahndungsfoto im echten Leben nicht erkennen würde.
Die Gefahren von digital bearbeiteten Fotos
Gerade in der Pubertät lassen sich junge Mädchen stark von sogenannten Influencerinnen beeinflussen, die ihre Posts digital bearbeiten und vermeintliche Makel verschwinden lassen. Auf viele Teenager erhöht sich so der Druck, auf jedem Foto perfekt auszusehen. Ohne Bearbeitungs-Apps wie "Facetune" oder "Beauty"-Filter wie bei Snapchat ist dies fast unmöglich. Die einzige Alternative wäre der Gang zum Schönheitschirurgen.
In sozialen Netzwerken hat genau dieses Phänomen schon einen Namen: "Snapchat Dysmorphobie". Auf YouTube finden sich viele Videos, in denen junge Frauen sich einer Schönheitsoperation unterziehen, um auszusehen wie ihre Filterversion. Forscherinnen der Boston School of Medicine haben in einem Fachblatt festgehalten, dass der Überfluss an bearbeiteten Fotos Minderwertigkeitsgefühle bei Menschen auslösen kann, die ihre natürlichen Selfies mit ihren "gefilterten" vergleichen. Im Umkehrschluss wird dadurch nicht nur der Schönheitsstandard in die Höhe geschraubt –, sondern auch die Wahrnehmung vom eigenen Aussehen beeinflusst und verfälscht. Vor allem junge Frauen sind gefährdet, ihr Aussehen abzulehnen, weil dieses nicht der digital optimierten Version entspricht.
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An Rebeccas Fahndungsbild erkennt man: Die Normalisierung von "Beauty"-Filter-Fotos ist inzwischen so weit verbreitet, dass ihre Familie und die Polizei öffentlich mit so einem Foto nach der verschollenen 15-Jährigen suchen.
- Eigene Recherchen
- Welt: Warum fahndet die Polizei mit dem Instagram-Foto nach Rebecca?
- JAMA Network: Selfies – Living in the Era of Filtered Photographs (englisch)