Neues Enthüllungsbuch Wie gefährlich ist Facebook wirklich?
Der Gesprächspartner muss auf jede unserer Fragen antworten. Anschließend bekommt er seine Antworten vorgelegt und kann sie autorisieren.
Zum journalistischen Leitbild von t-online.Das Buch "Inside Facebook" liefert einen Einblick in eines der größten Unternehmen der Welt. Im Interview berichten die Autorinnen, wie die Maschinerie des Internet-Konzerns funktioniert.
Am heutigen Dienstag erscheint das Buch "Inside Facebook. Die hässliche Wahrheit" von Sheera Frenkel und Cecilia Kang. Die beiden Autorinnen sind Reporterinnen der "New York Times" und berichten seit Jahren über den Social-Media-Konzern. Für ihr Buch haben sie Interviews mit über 400 Personen geführt, die meisten davon Manager, ehemalige und derzeitige Angestellte, Investoren und Berater von Facebook.
Embed
Das Ergebnis ist eine einzigartige Innenansicht des verschwiegenen Unternehmens: Das Buch bietet eine ganz neue Perspektive auf viele entscheidende Weggabelungen und Krisen des Konzerns. t-online konnte das Buch vorab lesen und mit den beiden Reporterinnen darüber sprechen.
t-online: Vor ein paar Tagen schrieb ein Reporter, ihm sei eine interne Mitteilung des Facebook-Managements zugespielt worden, in der Mitarbeiter explizit vor Ihrem Buch gewarnt werden. Man erwarte, dass es gleich mehrere Wochen für Schlagzeilen sorgen werde. Hat der Konzern Angst vor Ihrem Buch?
Sheera Frenkel: Wissen Sie, eigentlich haben sie keinen Grund dafür, Angst vor unserem Buch zu haben. Wir haben mit Facebook einen unglaublich gründlichen Faktenprüfungsprozess durchlaufen. Wir nennen das einen "Keine-Überraschungen-Prozess". Wir haben ihnen jede Szene, jedes Detail vorgelegt und eine Chance zur Reaktion gegeben. Sie hatten die Chance, Dinge zu korrigieren – und ich will hier anmerken, dass sie nicht wirklich viel korrigiert haben.
Woher also das Unbehagen auf Seiten von Facebook?
Frenkel: Facebook ist es absolut gewohnt, seine Botschaften zu kontrollieren. Alles, was ohne ihre Kontrolle und Einflussmöglichkeiten passiert, bereitet ihnen Unbehagen. Ich glaube, es ist schwierig für sie zu wissen, dass Cecilia und ich Zugang zu Hunderten Quellen innerhalb des Unternehmens hatten, die bereit waren, mit uns zu sprechen, ohne eine PR-Person, die daneben saß und die Antworten gelenkt hat.
Jetzt ist der grobe "Facebook ist böse"-Komplex ein durchaus bekanntes Narrativ, Sie sind auch nicht die Ersten, die ein kritisches Buch über den Social-Media-Riesen schreiben. Was kann Ihr Buch in dieser Sache beitragen oder neu erzählen?
Cecilia Kang: Nun, wir glauben und hoffen, dass unser Buch die Leser wirklich näher an das Unternehmen bringt, sie besser verstehen lässt, wie diese Facebook-Maschinerie genau funktioniert, sowohl als Technologie als auch als Geschäftsmodell. Und wir hoffen, dass es die Menschen besser als je zuvor verstehen lässt, welchen Einfluss die Führungsriege auf die Richtung des Unternehmens hat. Aber auch, dass diese Führung Verhaltensmuster gezeigt hat, die Sorgen bereiten. Ich glaube, wenn man sich diese Verhaltensmuster im Gesamten anschaut, dann hat das eine ganz andere Wirkung als die einzelnen Nachrichten von einer Krise, die auf die nächste folgt. Und genau deshalb waren wir überzeugt, dass wir ein Buch schreiben mussten.
Wenn man nur kurz durch Ihr Buch blättert, dann sieht man auf den ersten Blick viele Geschichten, die man in den vergangenen Jahren auch in den Nachrichten mitverfolgt haben könnte: Cambridge Analytica, russische Hacker, die sich via Facebook in den US-Wahlkampf 2016 eingemischt haben, und natürlich Facebooks Ringen im Umgang mit den toxischen Äußerungen von Ex-US-Präsident Donald Trump. Liest man Ihr Buch dann aber, wird klar, dass Sie die bekannten Geschichten oftmals aus einer gänzlich neuen Perspektive erzählen, einer Innenansicht des Konzerns – ein Mosaik aus Insider-Stimmen, das Sie aus Hunderten Interviews mit ehemaligen und noch aktiven Facebook-Mitarbeitern zusammengesetzt haben. Welcher neue Aspekt oder oder welche Nuance dieser eigentlich bekannten Geschichten hat Sie im Nachhinein am meisten überrascht?
Frenkel: In gewisser Weise hatte man uns Reportern erzählt, dass Facebook im Vorfeld gewarnt worden sei, etwa was die russische Einmischung in die US-Wahlen anging oder auch die die Vorgänge in Myanmar.
Sie beziehen sich auf die Anschuldigungen von UN-Experten, dass ungefilterte Hassrede und Anstiftungen zu Gewalt vor allem auf Facebook mitverantwortlich für die gewaltsame Vertreibung der Rohingya sein soll.
Frenkel: Als Reporterin war ich persönlich geschockt. Während wir am Myanmar-Kapitel gearbeitet haben, haben Cecilia und ich uns manchmal ungläubig angerufen, wie viele Warnungen Facebook immer wieder erhalten hat. "Wenn ihr nichts tut, dann wird das in Völkermord enden": Eine deutlichere Warnung kann man doch nicht erhalten! Und trotzdem hat Facebook nicht gehandelt, hat weiterhin nur einem einzigen Burmesisch sprechenden Moderator die Verantwortung für ein Land überlassen, in dem Hunderte verschiedene Sprachen gesprochen werden. Sogar jetzt, wenn ich das erzähle, frage ich mich, warum sie nicht anders gehandelt haben und wie anders es heute in Myanmar aussehen könnte, wenn Facebook es doch getan hätte.
Kang: Ich glaube, durch unsere Berichte hat sich herauskristallisiert, dass das, was wir bislang nur vermutet haben, tatsächlich zutreffend ist. Öffentlich hieß es stets: "Wir wussten doch nicht, dass wir nach russischen Einmischungen suchen sollten, wir haben nur auf Hacker und Phishing-Versuche geachtet." Aber es gab bereits viel früher echte Warnungen vor der tatsächlichen Bedrohung. Es zeigt sich ganz klar ein Muster von Warnung auf Warnung auf Warnung – und keiner Reaktion darauf von der Konzernspitze.
Eine der interessantesten Figuren im Verlauf Ihres Buches ist Facebooks Co-Geschäftsführerin Sheryl Sandberg. Sie gilt als das geschäftliche Hirn und die Nummer zwei des Konzerns. Allerdings scheint ihr Glanz in den vergangenen Jahren stark gelitten zu haben – auch weil sie nicht mit allen Konzernentscheidungen einverstanden zu sein scheint. Wie hat sich ihre Rolle entwickelt?
Kang: Bei Sheryl Sandberg sieht man absolut, wie sich ihre Rolle entwickelt – und man sieht, wie ihre Rolle immer dann herausgefordert und verändert wird, wenn sich Krisen ereignen. Während der Trump-Jahre – und das ist auch ein Grund, warum wir uns auf diesen Zeitraum fokussiert haben – traten alle bestehenden Probleme innerhalb der Plattform erst richtig zutage. Mark Zuckerberg übernahm daraufhin eine größere Verantwortung im Unternehmen und ihre Rolle veränderte sich. Sandberg war mit vielen Dingen nicht einverstanden, vor allem was die Redefreiheit anging – etwa das manipulierte Video der Sprecherin des Repräsentantenhauses, Nancy Pelosi, oder das Thema Holocaust-Leugnung.
Facebook hatte sich im Sommer 2020 auf Mark Zuckerbergs persönliche Entscheidung hin geweigert, ein bösartig gefälschtes Video von Nancy Pelosi zu entfernen, und dies mit Meinungsfreiheit begründet. An anderer Stelle hatte Zuckerberg selbst erklärt, dass er auch Holocaust-Leugnung auf seiner Plattform nicht sperren wolle, da auch dies eine freie Meinungsäußerung sei. Sandberg wäre mit den Situationen gern anders umgegangen?
Kang: Ja, auch in einigen weiteren Fällen. Aber sie war nicht in der Lage, Zuckerberg umzustimmen. Und das hat uns überrascht: Ihr Einfluss und ihre Macht innerhalb Facebooks waren begrenzt. Das hat für uns noch einmal den Eindruck bestärkt, dass dies ein Unternehmen ist, das in so vielen Belangen von einer Person gelenkt wird: Mark Zuckerberg. Er war der Mitgründer und er bleibt die wichtigste und mächtigste Person im Unternehmen. Er hat das Unternehmen und das Firmenkapital dahingehend strukturiert, auch kulturell dreht sich alles um Zuckerberg. Innerhalb des Unternehmens sieht man diese Veränderung auch in der Dynamik zwischen Sandberg und Zuckerberg, denn sie war in so vielen Belangen das öffentliche Gesicht von Facebook.
Ist Sandberg bei Facebook also weg vom Fenster?
Kang: Sie bleibt dennoch sehr mächtig. Und zwar aus einem Grund: Sie führt die Geschäfte – und die laufen weiterhin sehr, sehr erfolgreich. Es ist ein Unternehmen mit einer Billion Dollar Marktwert und 85 Milliarden Dollar Umsatz. Das Geschäft blüht. Aber so viele ihrer ursprünglichen Aufgaben liegen nicht mehr nur in ihrem Verantwortungsbereich. Mittlerweile wurden sie auf andere verteilt, oft direkt auf Mark Zuckerberg.
Als Sandberg zum Unternehmen kam, war sie die "Erwachsene" im Unternehmen. Mittlerweile hat sich das Verhältnis zwischen den beiden Spitzen entwickelt und verändert. Und wir haben auch gesehen, wie Mark Zuckerberg vor unseren Augen erwachsen geworden ist. Er ist nicht mehr das College-Kid, er ist nicht mehr jung – er ist 37. Jetzt sehen wir auch, wie er Konzern-Regeln aus dem Stegreif entwirft und wie Sandberg manchmal gezwungen ist, darauf zu reagieren. Man sieht bei Sandberg eine große Macht, große Fehlbarkeit, man kann große Absichten erkennen und auch ein vorsätzliches Verschließen der Augen vor vielen Dingen. Das macht sie als Figur sehr spannend, weil sie sehr kompliziert ist.
In Ihrem Buch klingt es so, als sei aus der einstigen Liebesheirat der beiden mittlerweile eine dysfunktionale Ehe geworden. Was glauben Sie, steht bald die Scheidung bevor?
Frenkel: Viele Leute fragen sich, ob Sandberg Facebook verlassen wird – aber das wissen nur sie und Mark Zuckerberg wirklich. Es dürfte für sie aber sehr schwer sein, Facebook so zu verlassen, weil es als Niederlage und Karrieretiefpunkt gewertet werden würde. Bemerkenswert ist auch, dass am vergangenen Donnerstag, nur wenige Stunden nachdem die ersten Auszüge aus unserem Buch in der "New York Times" erschienen sind, die beiden zusammen bei einem Spaziergang im Sun Valley fotografiert wurden. Das letzte Foto, das sie zusammen im Sun Valley zeigt, ist sieben Jahre alt.
Während der Trump-Legislatur hat Facebook sich oft offen an die Seite Trumps gestellt und gleichzeitig viele Brücken zu den Demokraten abgebrannt. Glauben Sie, dass Facebook das jetzt, wo die Demokraten in den USA an der Macht sind, auf die Füße fällt?
Kang: Ich glaube, dass Washington jetzt wirklich die Augen gegenüber den Tech-Riesen geöffnet hat. Es gibt gerade diese unglaubliche Bewegung, den Unternehmen in die Parade zu fahren – sowohl aus kartellrechtlichen als auch aus regulatorischen Gründen. Facebook ist dabei absolut eines der zentralen Ziele. Die Menschen in Schlüsselpositionen der Regierung schauen dabei aber auf die Gesamtheit der Industrie. Das hat weniger damit zu tun, was sie davon halten, dass Mark Zuckerberg in der Vergangenheit versucht hat, Verbindungen zu Trump zu bilden. Aber es hilft natürlich auch nicht bei Facebooks Lobby-Bemühungen. Sie haben nicht viele Freunde auf der Seite der Demokraten.
Könnte das Facebooks große Lobby-Maschine lähmen?
Kang: Facebook betreibt nach wie vor die mächtigste Unternehmens-Lobby-Maschinerie in Washington. Sie geben mehr Geld für Lobbyisten in Washington aus als jedes andere Unternehmen und sie sind sehr gut verdrahtet. Aber trotzdem: Wir sehen einen kompletten Perspektivenwechsel in Washington, was die Regulierung von Tech-Unternehmen angeht. Die vielen Jahre des Dämmerschlafs sind vorbei.
Wenn wir also vier Jahre in die Zukunft blicken, sehen wir dann eine deutlich strenger regulierte Tech-Szene in den USA?
Kang: Ich denke, dass alles sehr langsam in Gang kommen wird. Das liegt daran, wie unsere Regierung strukturiert ist, mit verschiedenen Regierungszweigen – und manchmal arbeiten die dann sogar gegeneinander. Aber es gibt republikanische wie demokratische Unterstützung für manche Regulierungen und ganz sicher auch im Allgemeinen dafür, die großen Tech-Unternehmen rechenschaftspflichtig zu machen, vor allem mithilfe des Kartellrechts und des Datenschutzes.
Frenkel: Ich möchte da noch ergänzen, dass diese Entwicklung nicht nur in den USA stattfindet. Derzeit passiert international sehr viel, das ist faszinierend und rechtlich für Facebook sehr herausfordernd. Der Wandel mag vielleicht nicht aus den USA kommen, sondern aus anderen Ländern, die Regeln schaffen, denen Facebook gehorchen muss und die das Unternehmen dazu zwingen könnten, seinen Kurs zu ändern.
Die vielleicht größte Macht hätten allerdings die Nutzer. Denn wenn sie aus Protest oder Zorn in großen Zahlen ihre Facebook-Konten löschen oder zumindest gegen Facebook aufbegehren würden, würde das Zuckerberg zu unmittelbaren Reaktionen zwingen. Aber sie tun es nicht, trotz aller Skandale, Datenlecks und Ungeheuerlichkeiten, die über Facebook und andere Tech-Riesen berichtet werden. Und so spannend Ihr Buch ist, ich glaube nicht, dass es etwas daran ändern wird. Was muss passieren, damit es passiert?
Frenkel: Ich glaube, man muss seine Erwartungen daran neu denken, was es eigentlich heißt, die Haltung der Öffentlichkeit zu ändern. Zu erwarten, dass die Menschen Facebook löschen oder Instagram oder WhatsApp nicht mehr nutzen, ist einfach nicht realistisch. Diese Dienste sind so eng mit vielen Teilen der Welt verflochten – und es gibt auch wirklich gute Dinge an diesen Apps. Also, was ist Wandel? Wandel ist, zu verstehen, wie diese Unternehmen arbeiten, was sie mit unseren Daten tun, was ihr Werbemodell ist, wie sie uns auf den Plattformen halten.
Ein guter Vergleich sind vielleicht Süßigkeiten: Wir werden Zucker nicht abschaffen, wir werden Süßigkeiten nicht abschaffen. Als Journalistin kann man Tausende Artikel darüber verfassen, wie Süßigkeiten zu Übergewicht und damit einer der häufigsten Todesursachen führen oder zu Karies. Aber man wird die Menschen dennoch nie davon überzeugen, ganz auf Zucker zu verzichten. Aber man kann sie davon überzeugen, dass Zucker nicht gut für sie ist und nur maßvoll konsumiert werden sollte. Bei Social Media sollte man wissen, wie es den Geist beeinflusst und welche Folgen es für die Gesellschaft hat. Die Folgen davon könnten die Forderung nach besserer Bildung über Online-Themen sein und danach, dass Regierungen auf der ganzen Welt ihre Öffentlichkeit darüber aufklären, was es heißt, online zu sein, was valide Quellen von Online-Informationen sind und wie eine verantwortungsvolle Präsenz auf Social Media aussieht.
- Eigenes Interview