Auf Streife im Internet Wie die Polizei gegen Hasskommentare vorgeht
Beleidigungen, Gerüchte, Hass: Im Internet verlieren manche die Hemmungen. Das stellt die Polizei vor neue Herausforderungen. Machtlos ist sie nicht.
Einige Tage nach dem Tod der 14-jährigen Keira in Berlin war das Social-Media-Team der Hauptstadt-Polizei besonders gefragt. Pegida-Initiator Lutz Bachmann hatte auf Twitter auf das Facebook-Profil eines 15-Jährigen verwiesen und geschrieben: "Mordfall Keira G. Nun ist es wohl raus: Die Bestie vom Kaukasus, Edgar H., tschetschenischer Moslem und Ex-Flüchtling". Eine falsche Anschuldigung, später löschte Bachmann den Tweet.
Tatsächlich sitzt ein 15-jähriger Mitschüler in U-Haft. Er ist jedoch mit der von Bachmann verlinkten Person nicht identisch. Die Polizei reagierte. Auf Facebook schrieb sie, dass Falschnachrichten zur Herkunft des Täters im Umlauf sind. Und gegen Bachmann wird wegen falscher Verdächtigung, übler Nachrede und Volksverhetzung ermittelt. Er beruft sich darauf, dass er "wohl" geschrieben hat.
Polizei zeigt selbst Präsenz
Gerüchte, Hasskommentare, Beleidigungen: Seit Jahren gibt es das Phänomen, dass manche User in den sozialen Netzwerken alle Hemmungen verlieren. Die Polizeibehörden reagieren und zeigen in den sozialen Netzwerken immer häufiger mit eigenen Accounts Präsenz.
Laut Erhebungen der Fachhochschule der Polizei des Landes Brandenburg hat es Anfang 2017 bundesweit 216 Social-Media-Accounts der Polizei gegeben. "Inzwischen schätze ich, dass es rund 300 sind", sagt Kriminologe Thomas-Gabriel Rüdiger von der Fachhochschule. Präsent sei die Polizei vor allem auf Facebook und Twitter, aber immer häufiger auch auf Instagram.
Bei der Berliner Polizei gibt es seit 2015 ein Social-Media-Team. Die Amtsstube unterscheidet sich kaum von anderen. Schreibtische mit Computern, eine Zimmerpflanze, ein altes Sofa als Sitzgelegenheit. "Wir berichten über Einsätze, machen Präventionsarbeit und veröffentlichen Fahndungsaufrufe und helfen bei der Nachwuchssuche", erklärt Leiterin Yvonne Tamborini die Aufgaben. Sechs ausgebildete Polizisten gehören zur Truppe.
Social-Media-Team ermittelt nicht
Ermittlungsarbeit macht das Team dagegen nicht. Fälle wie den Bachmann-Tweet gibt es an den Staatsschutz weiter. Im Jahr 2016 leitete der Berliner Staatsschutz nach Polizeiangaben 179 Verfahren wegen Hassbeiträgen ein – unter diese Kategorie fällt auch der Bachmann-Post. 2017 waren es bis September 149.
Die Berliner Polizei ist auf Twitter, Facebook und Snapchat präsent. Noch in diesem Jahr soll ein Instagram-Kanal folgen. Mit der 24-Stunden-Kampagne #24hPolizei twittern die Beamten regelmäßig über alle Einsätze an einem Tag.
Als eine der ersten war die Polizei in Niedersachsen im Netz unterwegs. 2016 bekamen die Beamten der bayerischen Polizei in München viel Anerkennung für ihre Arbeit in den sozialen Netzwerken während des Amoklaufs in einem Einkaufszentrum.
So viel Gegenrede wie möglich
Das Besondere an der Öffentlichkeitsarbeit im Netz sei, dass sie immer "feedbackbar" ist, sagt Tamborini. Die Nutzer könnten jede Veröffentlichung gleich kommentieren. Auf ihre Reaktion zum Bachmann-Tweet bekam die Polizei zum Beispiel 4.391 Kommentare. Dann tippt sich das sechsköpfige Team die Finger wund. Sie versuchen, auf so viele Kommentare wie möglich zu antworten. "Wenn du schweigst, bleiben negative Kommentare einfach stehen", sagt Tamborini.
Die Polizei stellt das vor Herausforderungen. Die sozialen Medien sind extrem schnell. Um als Behörde zügig reagieren zu können, hat das Social-Media-Team deswegen große Freiheiten. Nur im Einzelfall brauchen sie für einen Tweet das Okay von oben.
Die Gefahr, sich im Ton zu vergreifen oder auch etwas Falsches zu schreiben, sei allerdings immanent, erläutert Tamborini den schmalen Grat. Und manchmal brauchen Kollegen auch eine Pause. "Das tendenziöse, negative Grundrauschen im Netz ist nicht immer leicht zu ertragen."
Im Internet auf Streife gehen
Präsenz zeigen im Netz: Nach Ansicht des Kriminologen Rüdiger macht die Polizei das noch viel zu wenig. "Wir brauchen eine höhere Sichtbarkeit der Polizei im Netz", fordert er. Auch einzelne Polizisten sollen in sozialen Netzwerken dienstliche Accounts haben, so seine Idee. Nur dann könne die Polizei Grenzüberschreitungen im Netz Einhalt gebieten. Gut findet er auch die Idee einer Internetstreife.
Diese Idee wird in Sachsen-Anhalt schon umgesetzt. Seit Dezember 2017 patrouillieren dort zwölf Beamte im Netz. Sie suchen nach strafbaren Inhalten und sorgen dafür, dass ein Ermittlungsverfahren gegen die Nutzer eingeleitet wird. "Wir wollten nicht nur auf Hinweise reagieren, sondern wie auf der Straße auch im Netz Streife fahren", sagt Andreas von Koß vom Landeskriminalamt Sachsen-Anhalt. Zahlen zum Erfolg des Projekts gibt es noch nicht.
Datenschutzrechtliche Bedenken gegen eine Internetstreife in dieser Form gebe es dabei nicht, sagt Thomas Petri, Datenschutzbeauftragter in Bayern. "Wenn jemand seine Aussagen in sozialen Netzwerken öffentlich stellt, muss er damit rechnen, dass die Polizei sie zur Kenntnis nimmt." In strafrechtlich relevanten Fällen müssten Nutzer dann eben auch mit Konsequenzen rechnen.