Die subjektive Sicht des Autors auf das Thema. Niemand muss diese Meinung übernehmen, aber sie kann zum Nachdenken anregen.
Was Meinungen von Nachrichten unterscheidet.Staatsministerin für Digitales Dorothee Bär zielt weit und springt zu kurz
Statt eines Digitalministeriums bekommt Deutschland eine Staatsministerin im Kanzleramt, die für alles Digitale zuständig sein soll. Dorothee Bär scheut allerdings schon jetzt Detailfragen, die ihre eigene Partei in keinem guten Licht erscheinen lassen.
Dorothee Bär möchte nicht über den Breitbandausbau reden. Die zukünftige Staatsministerin für Digitales im Kanzleramt sagt, das sei nicht ihr Thema. Schade, ist es doch genau das Thema, das Moderatorin Marietta Slomka an diesem Abend im ZDF-"heute journal" verstärkt verfolgt.
Bär versucht, den Fragen auszuweichen und landet irgendwie bei autonomen Autos und fliegenden Taxis. Jetzt ist nicht nur Moderatorin Slomka verwirrt. Große Teile Deutschlands haben noch immer keinen Zugang zu schnellem Internet – und die CSU-Politikerin hebt gedanklich bereits im Flugtaxi ab?
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Im Netz reagieren die Zuschauer mit Belustigung auf den Interviewausschnitt. Vielleicht wollte Bär einfach nur demonstrieren, dass sie eine Politikerin mit Visionen ist. Das Interview lässt aber auch ahnen, mit welchen Altlasten Bär in ihr neues Amt startet.
Deutschland hat die Digitalisierung verschlafen, notwendige Investitionen wurden verschleppt. Jetzt mangelt es an den Grundlagen: der Infrastruktur für schnelles Internet zum Beispiel oder Fachkräften für die wachsende IT-Branche.
Eine Stelle im Kanzleramt soll es nun richten. Manche Fachverbände hätten sich ein Digitalministerium gewünscht – eines mit einem eigenen Budget für die vielen Baustellen in der digitalen Gesellschaft. Doch am Geld liege es gar nicht, behauptet Bär. Das Problem sei vielmehr, dass das Thema Digitalisierung in den eigentlich zuständigen Ministerien stiefmütterlich behandelt worden sei.
Bär will "groß denken" – aber die Minister müssen handeln
Dieses Bewusstseins- und Wahrnehmungsproblem will sie jetzt zu ihrer Baustelle im Kanzleramt machen. Als Staatsministerin will sie die Digitalisierung in allen Ministerien ganz oben auf die Agenda setzen. Bär will "groß denken" – machen müssen die Minister aber selbst.
Die Rolle als das "digitale Gewissen" der großen Koalition trauen ihr viele Beobachter durchaus zu. Bär genießt einen guten Ruf in der Digitalbranche. Sie gilt als fachkundig, leidenschaftlich und zugänglich – und in Sachen Digitalkompetenz als große Ausnahme innerhalb ihrer Partei.
Der Branchenverband Bitkom würde Bär am liebsten eine Vetovollmacht ausstellen, mit der sie innovationsschädigende Gesetzesvorhaben aus den Ministerien stoppen könnte. Welche Befugnisse Bär in ihrem neuen Amt genau haben wird, ist aber noch völlig unklar.
Netzaktivisten und Verbraucherschutzorganisationen warnen vor der Einflussnahme durch die Lobbyisten im Kanzleramt. Vor allem die Netzbetreiber wissen ihr Kerngeschäft und ihre Interessen zu verteidigen. Mit Händen und Füßen wehren sie sich gegen Vorgaben vom Staat bezüglich des Netzausbaus. Der Koalitionsvertrag bietet hier erneut reichlich Reibungsfläche.
Netzpolitik betrifft nicht nur den Breitbandausbau
Kein Wunder, dass Bär diese Fragen noch aussparen will. Und irgendwie hat sie ja auch recht, wenn sie sagt: Digitalisierung bedeute so viel mehr als ein Gigabit-Internetanschluss. Urheberrecht, Plattformökonomie, Fachkräftemangel, Innovationsschwäche, Datenschutz, Automatisierung und Arbeitsplatzverlust – das alles sind große Herausforderungen, die mit der Digitalisierung einhergehen, und die von den verschiedenen Ministerien angegangen werden müssten.
Die Technik dahinter werde „schon irgendwie funktionieren“, zeigt sich die Politikerin zuversichtlich. Auch das muss sie sagen: Schließlich wird ihr Parteifreund Andreas Scheuer (CSU) als neuer Minister für Verkehr und digitale Infrastruktur hier die Verantwortung übernehmen. Dem kann sie nicht so einfach in den Rücken fallen oder eine bestimmte Politikrichtung vorgeben.
Dobrindt mit katastrophaler Bilanz
Das Werk seines Vorgängers – der zugleich Bärs Vorgesetzter war – Alexander Dobrindt (ebenfalls CSU) hatten Bundesrechnungshof und Digitalstrategen in der Luft zerrissen. Es ist nachvollziehbar, dass Bär dieses Kapitel am liebsten hinter sich lassen würde.
Auch Bürger, Unternehmen und Verbände hätten nichts dagegen, nach vorne zu blicken. Sie hoffen, dass mit der neuen Stelle im Kanzleramt endlich Bewegung in den Breitbandausbau und all die anderen drängenden Probleme kommt.
Daraus wird aber leider nichts, solange Parteigrenzen immer noch mehr zählen als konkrete Lösungen. Und solange Politiker wie Bär die Fehler der Vergangenheit nicht klar benennen können, sondern sich an jede noch so kleine Erfolgsmeldung einflussreicher Unternehmen klammern – und einfach weiter machen wie bisher.
- eigene Recherche
- AFP