Umdenken war langer Prozess Sawsan Chebli hatte als Jugendliche Wut und Hass auf Juden
Sawsan Chebli kämpft heute gegen Antisemitismus. Jetzt gibt die SPD-Politikerin zu: Als Jugendliche habe sie Juden gehasst.
Am Samstag wurde ein Tourist, der auf Hebräisch telefonierte, von drei Männern in Berlin angegriffen. Das Trio schlug auf den 19-Jährigen ein, während er am Boden lag. Die Polizei Berlin prüft jetzt ein antisemitisches Tatmotiv. Laut den Behörden werde nach drei – möglicherweise arabischstämmigen – Männern gefahndet. Hier lesen Sie, was genau passiert ist.
Ein solcher Vorfall ist hierzulande keine Seltenheit. Jüdinnen und Juden müssen vielerorts Angriffe fürchten. Antisemitismus ist in Deutschland nach wie vor ein großes Problem. Sie fühle "Trauer, Wut und auch Scham", wenn sie von Taten, wie am Samstag in Berlin erfahre, äußert Sawsan Chebli im Interview mit dem Tagesspiegel. "Ein solches Verhalten ist durch nichts zu rechtfertigen und gehört bestraft", betont die SPD-Politikerin.
Chebli ist mit Judenhass großgeworden
Cheblis Eltern lebten ab 1948 als palästinensische Flüchtlinge im Libanon und kamen 1970 als Asylbewerber nach Deutschland. Die 45-Jährige, die in West-Berlin geboren wurde, spricht über ihre eigene frühere Einstellung gegenüber Juden und gibt zu, dass sie als junge Frau Wut und Hass gespürt habe. "Als Jugendliche habe ich Juden für das Leid der Palästinenser und für das Schicksal meiner Eltern verantwortlich gemacht. Ich war wütend, dass Juden einen eigenen Staat haben und wir staatenlos und bitterarm sind", sagt Chebli.
Prozess des Umdenkens dauerte lange
Ein Umdenken habe bei Chebli nicht von heute auf morgen eingesetzt. "Auf jeden Fall spielten Begegnungen mit Juden und Israelis in Israel eine zentrale Rolle", erklärt die Berlinerin. "Im Laufe der Jahre ist aus Wut und Hass der Wunsch gewachsen, Brücken zu bauen und junge Menschen auf beiden Seiten zusammenzubringen, um Hass zu überwinden", sagt Chebli.
Kampf gegen Antisemitismus geht alle an
Heute setzt sich Chebli gegen Antisemitismus ein. Im Kampf gegen die Judenfeindlichkeit sei auch die gesamte arabische und muslimische Community gefragt. Dabei könnten unter anderem Begegnungsprojekte helfen. "Genauso wie Araber und Muslime als Minderheiten erwarten, dass die Mehrheitsgesellschaft sich für sie starkmacht, wenn sie diskriminiert und angefeindet werden, dürfen sie nicht schweigen, wenn Juden in Deutschland bedroht und angegriffen werden", erklärt Chebli. Außerdem fordert sie verpflichtende Besuche von KZ-Denkstätten für alle, die in Deutschland leben.
Juden sind in Deutschland nicht sicher
Doch wie sorglos können sich Jüdinnen und Juden in einer Stadt wie Berlin aktuell bewegen? Würde Chebli jüdischen Freunden zum Beispiel davon abraten, mit einer Kippa durch Kreuzberg zu laufen, fragt der Tagesspiegel. "Zur traurigen Wahrheit gehört, dass Juden in vielen Teilen Deutschlands nicht sicher sind. Der Hass kommt aus vielen Richtungen. Israelbezogener Antisemitismus unter Arabern und Muslimen ist eine große Bedrohung, die größte ist und bleibt die Gefahr von Rechts", sagt Chebli.
- tagesspiegel.de: Chebli nach Angriff in Berlin-Kreuzberg: "Als Jugendliche habe ich Juden für das Leid der Palästinenser verantwortlich gemacht" (kostenpflichtig)
- Mit Material der Deutschen Presse-Agentur