Mehr als 150 Journalistinnen und Journalisten berichten rund um die Uhr für Sie über das Geschehen in Deutschland und der Welt.
Zum journalistischen Leitbild von t-online.Ungereimtheit lässt aufhorchen Nur Esken? Wer mit dem "Talkshow-Verbot" noch gemeint sein könnte
SPD-Ministerin Katrin Lange aus Brandenburg schießt gegen ihre Parteivorsitzende Saskia Esken. Diese solle sich aus TV-Talks fernhalten. Aber etwas stimmt da nicht.
In der SPD scheint eine Art Alarmstimmung ausgebrochen zu sein. Nach den desaströsen Ergebnissen bei den Landtagswahlen in Sachsen und Thüringen ringen die Sozialdemokraten um eine Antwort auf die drängendste Frage: Warum schafft es die Partei nicht, Wählerinnen und Wähler für sich zu gewinnen? Vor allem wegen der am 22. September anstehenden Wahl in Brandenburg geht die Sorge nach einem fortschreitenden Bedeutungsverlust um.
Denn dort – im Gegensatz zu dem aus SPD-Sicht schon lange schwierigen Pflaster in Sachsen und Thüringen – stellt die Kanzlerpartei mit Dietmar Woidke den Ministerpräsidenten. Wohl kein Zufall, dass Brandenburgs Finanzministerin und SPD-Vize Katrin Lange am Montagabend in einem "Bild"-Interview wütete: "Fürs Erste wäre schon einiges gewonnen, wenn bestimmte Leute grundsätzlich nicht mehr an Talkshows teilnehmen würden. Es ist nämlich unerträglich."
"Ich bin schon durchaus richtig verstanden worden"
In der Zeitung erschien diese Forderung unter der Überschrift: "SPD-Ministerin will Talkshow-Verbot für Esken". Einen Namen hatte Katrin Lange zwar nicht genannt, dafür aber später den "Bild"-Artikel auf ihrem Facebook-Account geteilt und geschrieben: "Ich hatte zwar niemanden namentlich genannt, aber ich bin schon durchaus richtig verstanden worden." Dazu war ein Bild der Parteivorsitzenden Saskia Esken zu sehen. Mehr lesen Sie hier.
Wir benötigen Ihre Einwilligung, um den von unserer Redaktion eingebundenen Facebook-Inhalt anzuzeigen. Sie können diesen (und damit auch alle weiteren Facebook-Inhalte auf t-online.de) mit einem Klick anzeigen lassen und auch wieder deaktivieren.
Doch warum ausgerechnet Esken? Ist die 63-Jährige tatsächlich so oft in Polittalkshows des Landes zu Gast? Ein Blick auf ihre TV-Präsenz untermauert diese Aussage nicht. Im Gegenteil: Saskia Esken ist deutlich weniger in den einschlägigen ARD- und ZDF-Formaten als so manch einer ihrer SPD-Kollegen.
Im gesamten Jahr 2024 war Esken nicht einmal bei "Maischberger" oder "Hart aber fair" im Ersten zu sehen. Lediglich ein Talkshow-Auftritt in der ARD steht zu Buche: Am 25. August saß sie in der Runde von "Caren Miosga". Dort sagte sie zu dem Thema "Wie schützen wir uns vor islamistischer Gewalt?" unter anderem einen Satz, der im Nachhinein Wellen schlug. Esken urteilte, dass man aus dem Anschlag von Solingen "nicht allzu viel lernen kann" – und geriet dafür heftig in die Kritik.
Zwei Talkshow-Auftritte: Ist das alles?
Im ZDF das gleiche Bild: Saskia Esken war im Jahr 2024 nicht ein einziges Mal in der Sendung "Maybrit Illner" zu Gast. Nur in der Talkshow von Markus Lanz trat sie einmal in Erscheinung: am 13. Juni dieses Jahres. Damals wurde sie von dem ZDF-Moderator zu den Ergebnissen der Europawahlen befragt und sollte erklären, wieso eine Regierungspartei wie die SPD bei landesweiten Wahlen nur auf 13,9 Prozent Zustimmung kommt.
Wir benötigen Ihre Einwilligung, um den von unserer Redaktion eingebundenen Youtube-Inhalt anzuzeigen. Sie können diesen (und damit auch alle weiteren Youtube-Inhalte auf t-online.de) mit einem Klick anzeigen lassen und auch wieder deaktivieren.
Meint Katrin Lange also diese zwei Talkshow-Auftritte innerhalb von neun Monaten, wenn sie sagt, "bestimmte Leute" würden einen "unerträglichen" Eindruck hinterlassen? Es wäre zumindest eine bemerkenswerte Bilanz, wenn es Saskia Esken gelänge, mit so geringer Präsenz so viel Schaden anzurichten. Eher drängt sich allerdings der Eindruck auf, dass auch andere SPD-Verantwortliche und deren Omnipräsenz im Fernsehen gemeint sein könnten – in der Boulevardzeitung aber das Bild von Saskia Esken als passender empfunden wurde.
Kühnert und Klingbeil führen klar
Schließlich hatte die Brandenburg-Ministerin Lange in der Mehrzahl gesprochen, als sie "bestimmte Leute" adressierte. Der Name Kevin Kühnert, seines Zeichens Generalsekretär der SPD, taucht jedenfalls um ein Vielfaches häufiger in den Gästelisten der öffentlich-rechtlichen TV-Debatten auf. In einer Analyse des Branchendienstes "Meedia" bekam Kühnert schon vergangenes Jahr für seine 18 Auftritte in den fünf großen ARD- und ZDF-Sendungen den Titel "Talkshowkönig" verliehen.
Ein Bild, das sich dieses Jahr zu wiederholen scheint. Schon jetzt kommt der SPD-Mann auf mindestens 13 Auftritte bei "Caren Miosga", "Markus Lanz", "Maybrit Illner", "Hart aber fair" und "Maischberger". Ebenfalls deutlich häufiger in diesen TV-Talks zu Gast als Saskia Esken ist ihr Kollege aus dem SPD-Vorsitz: Lars Klingbeil. Er war dieses Jahr schon doppelt so oft bei Caren Miosga, zweimal bei Sandra Maischberger, einmal bei Louis Klamroth und dann noch zweimal bei Maybrit Illner und dreimal bei Markus Lanz.
Die Diagnose im Hinblick auf Saskia Esken irritiert also mindestens – oder wurde missverständlich verbreitet. Womöglich wird sich die Ungereimtheit aber auch schon bald auflösen. Schließlich ist Kevin Kühnert am Mittwoch wieder im TV zu sehen: Am 4. September feiert er in der ARD seinen vierten "Maischberger"-Auftritt in diesem Jahr. Sollte Katrin Lange danach ihre Forderung nach einem Talkshow-Verbot wiederholen, dürfte Saskia Esken zumindest nicht mehr allein in der Schusslinie stehen.
- Eigene Recherchen
- meedia.de: "MEEDIA-Analyse 2023: Kevin Kühnert ist der neue Talkshowkönig"
- facebook.com: Post von Katrin Lange
- bild.de: "SPD-Ministerin will Talkshow-Verbot für Esken"