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Zum journalistischen Leitbild von t-online.Maria Furtwängler "Dann heißt es, Frauen seien selbst schuld"
Am neuen Lindholm-"Tatort" hat Maria Furtwängler nicht nur als Hauptdarstellerin mitgewirkt. Im Interview mit t-online erzählt sie, weshalb sie hohe Ansprüche an sich als Produzentin hatte und woran sie scheiterte.
Maria Furtwängler hat erstmals nicht nur als Schauspielerin in der Rolle der Kommissarin Charlotte Lindholm am neuen "Tatort: Alles kommt zurück" mitgewirkt. Die 55-Jährige war obendrein auch Produzentin. Im Gespräch mit t-online erzählt Furtwängler, welche Schwierigkeiten diese Aufgabe mit sich gebracht hat und warum sie das auf ihren "weiblichen Instinkt" zurückführt.
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Außerdem ordnet sie die Tatsache ein, dass in der Corona-Pandemie zu wenige Expertinnen in verschiedenen TV-Shows zu Wort kommen. Was müsste sich ändern? Wer steht in der Verantwortung? Furtwängler hat Antworten und spricht auch über ihre Pläne für das kommende Jahr.
t-online: In einer Szene im "Tatort" läuft Charlotte Lindholm allein durch die Dunkelheit. Für viele Frauen eine Angstsituation. Inwiefern können Sie das nachvollziehen?
Maria Furtwängler: Es gehört zu den Erfahrungen jeder Frau, nachts Ängste zu haben. Ich habe in meiner Jugend auch unangenehme Sachen erlebt. Diese Ängste sind sehr real.
"Wenn Sie ein Problem haben, gehen Sie nach Haus", bekommt Lindholm von einem Passanten entgegengeraunt …
Ja, dann heißt es, Frauen seien selbst schuld, wenn sie nachts allein unterwegs sind, da müsse man ja mit dem Schlimmsten rechnen. In Filmen wird oft suggeriert, dass Frauen Übergriffe provozieren aufgrund ihrer Leichtsinnigkeit. Die Selbstverständlichkeit, mit der so was hingenommen wird, ist erstaunlich.
Wie kommen solche Behauptungen zustande?
Durch die Betrachtung aus männlicher Sicht. Ich muss auch immer den Kopf schütteln, wenn ich Männer höre, die sich wegen "dieser ganzen #MeToo-Geschichten" nicht mehr trauen, mit einer Frau im Fahrstuhl zu fahren – es könnte ihnen ja jemand was anhängen.
In meinen Augen ist es vollkommen in Ordnung, wenn ein Mann sich das eine Zeit lang nicht traut. Für uns ist die Erfahrung, sich nachts draußen oder im verlassenen Parkhaus zu fürchten, selbstverständlich. Darüber macht sich aber kaum jemand Gedanken. Deshalb möchte ich diesen Männern im Grunde nur zurufen: Willkommen in unserer Realität.
Was müsste sich ändern, dass Frauen sich sicherer fühlen können?
Wir Medienmacher*innen können die Gewaltdarstellung hinterfragen. Etwa auch mal die strukturelle Dimension von Gewalt innerhalb der Gesellschaft erzählen. Außerdem könnten wir Hinweise vor oder nach der Ausstrahlung einbauen, die es auch gibt, wenn Suizide thematisiert werden. Darüber könnte man etwa auf eine Hilfehotline aufmerksam machen. Auch dadurch würde klargemacht, dass es ein strukturelles Problem ist und nicht, wie wir in vielen Fällen behaupten, ein tragischer Einzelfall.
MaLisa-Stiftung
Die MaLisa-Stiftung wurde 2016 von Maria Furtwängler und ihrer Tochter Elisabeth gegründet. Der Name setzt sich aus den Namen der beiden Frauen zusammen. Die Stiftung verfolgt das Ziel einer gleichberechtigten Gesellschaft. Ein besonderer Schwerpunkt liegt dabei auf der Darstellung von Frauen und Männern in den Medien.
Zur Darstellung von Gewalt gegen Frauen im Film gibt es eine in diesem Jahr veröffentlichte Untersuchung Ihrer Stiftung MaLisa.
Genau, wir haben festgestellt, dass Gewalt gegen Frauen häufig gezeigt wird. Dabei ist diese Darstellung oft gar nicht notwendig für die Geschichte, sondern wird für ein bisschen Spannungsaufbau missbraucht. Zudem wird Gewalt gegen Frauen häufig zu Beginn eines Films gezeigt, um den traurigen Mann zu rechtfertigen, der auf die Vendetta geht, um sich zu rächen. Anfangs wird erzählt, die Frau ist entführt, ermordet oder vergewaltigt worden – und jetzt erzählen wir die Heldengeschichte von ihm. So wie in "96 Hours" mit Liam Neeson oder in "Gesetz der Rache" mit Gerard Butler.
Frauenfiguren werden also benutzt, um männliche Protagonisten gleichermaßen als Opfer und als Helden dastehen zu lassen?
So ist es, das ist ein klassisches Narrativ, weil oft nur aus männlicher Perspektive erzählt wird. Wenn es um Gewalt geht, muss Mitgefühl für die brutalen Ausraster des Mannes aufgebaut werden: Er ist ein armer Kerl. Dadurch, dass wir zu selten aus der Perspektive der Frau erzählen, reduzieren wir, was ihr passiert, auf einen Plotpoint und nehmen es als gegeben hin. Ich bin – wie gesagt – sicher, dass wir etwas dagegen tun können und sollten.
Auch zu Diversität im deutschen Fernsehen wurde eine Studie durchgeführt, die zeigt: Es gibt immer noch ein unausgewogenes Verhältnis zwischen Mann und Frau. So waren in einem untersuchten Zeitraum im Jahr 2020 nur 26 Prozent Expertinnen in TV-Informationssendungen. Wie erklären Sie das?
Wir Medienschaffende müssen uns entscheiden, ob wir Teil des Problems oder der Lösung sein wollen. Es gibt viele Berufsgruppen, in denen Frauen überrepräsentiert sind: in Pflegeberufen, in vielen medizinischen Berufen, im Bildungsbereich. Dennoch werden sie sowohl in der Fiktion zu wenig gezeigt als auch – und das ist aktuell das größere Problem – zu selten als Expertinnen zurate gezogen.
Da sind die Sender gefordert, sich anders zu bemühen, um Frauen, die uns die Welt erklären und Lösungen präsentieren können, dies auch tun zu lassen. Gerade was etwa die Linderung der Auswirkungen der Klimakrise angeht, ein größtenteils männergemachtes Problem, höre ich zu wenige Frauen. Ich glaube nicht, dass die ganzen Probleme, die durch das patriarchale System entstanden sind, auch von ihm behoben werden können.
Aber weshalb werden nicht einfach Expertinnen zurate gezogen?
Das ist reine Bequemlichkeit. Es geht uns beim Drehen auch so. Ich erlebe immer wieder, dass jungen Regisseuren Dinge zugetraut werden, die würden einer jungen Regisseurin mit genauso wenig Erfahrung niemals zugetraut werden. Wir sind so großgeworden: Der Mann kriegt das schon hin.
Wir Frauen treten leider auch oft zögerlicher auf, obwohl wir gut in unserer Sache sind. Oder wir wollen uns nicht öffentlich äußern, weil wir damit rechnen müssen, dass wir noch deutlich häufiger als unsere männlichen Kollegen mit Hass, Beleidigungen und sogar Bedrohungen konfrontiert werden.
Sie haben beim "Tatort: Alles kommt zurück" erstmals als Produzentin mitgewirkt und am Drehbuch mitgearbeitet. Wie war das für Sie?
Es war spannend und lehrreich. Ich habe Fehler gemacht, die ich beim nächsten Mal sicher nicht mehr machen werde. Aber es hat genau das gebracht, was ich mir erhofft hatte: den kreativen Prozess begleiten und auf die Qualität Einfluss nehmen können, indem man das richtige Team zusammenstellt und es zusammenhält.
Eine sehr fordernde Aufgabe?
Absolut. Ich weiß gar nicht, wie beispielsweise Florian David Fitz oder Matthias Schweighöfer das machen. Die führen auch noch Regie und spielen selbst die Hauptrolle. Das stelle ich mir schwierig vor. Ich habe bei Drehbeginn an meine Koproduzentin Kerstin Ramcke übergeben und war nur Schauspielerin. Erst beim Schnitt bin ich wieder als Produzentin eingestiegen.
Sie haben von Fehlern gesprochen, die Sie gemacht haben. Was ist passiert?
Ich hatte den Ehrgeiz, dass alle Beteiligten die ganze Zeit superglücklich und entspannt sein sollten. Aber das geht nicht. Manchmal musste ich einfach sagen: "So muss es sein." Da kann man nicht obendrein noch dafür sorgen, dass sich jeder kuschelig fühlt. Das funktioniert nicht. Es kommt vor, dass man sich unbeliebt macht. Das hätte mir früher klarer sein müssen. Ich habe mich daran erst mal sehr abgearbeitet, das war nicht sinnvoll.
Wie erklären Sie sich Ihre Herangehensweise?
Wahrscheinlich kam das auch aus diesem typisch weiblichen Instinkt heraus, dass man von allen geliebt werden möchte und aus dem Mutterinstinkt, der den Wunsch nach der Zufriedenheit aller beinhaltet.
Was ist derzeit Ihr wichtigstes Ziel?
Ich würde gerne Filme produzieren, die Themen voranbringen, die mir am Herzen liegen. Es geht dabei um Diversität und um vielschichtige, ambivalente Frauenfiguren. Mich beschäftigen auch unser Biodiversitätsverlust und die Klimakrise. Ich denke darauf rum, wie man das fiktional umsetzen kann. Ich glaube, ich habe als Geschichtenerzählerin eine Verantwortung, dass wir dieses Thema anders aufgreifen und Fakten, die in unseren Köpfen schon halbwegs verankert sind, auch in unseren Herzen ankommen lassen. Dazu können und müssen wir einen Beitrag leisten.
Worauf freuen Sie sich besonders dem Jahresende entgegenblickend?
Ich freue mich, dass der erste von uns produzierte "Tatort" läuft. Ich bin stolz auf den Film und gespannt, wie er ankommt und sich behauptet – immerhin haben wir keinen leichten Sendetermin: Parallel laufen "Das Traumschiff" und "The Masked Singer". Quote ist nicht alles, aber Quote ist natürlich eine wichtige Währung.
Und im Privaten?
Das Jahr 2021 war sehr intensiv für mich. Da freue ich mich sehr auf eine Zeit, wo all meine Liebsten zusammenkommen und ich E-Mails mal E-Mails sein und das Handy auslassen kann.
Warum genau war das Jahr so intensiv für Sie?
Ich habe viel gedreht – von "Krull" über den "Tatort" bis "Green Light". In der Stiftung gab es viel zu tun, verschiedene Studien wurden aufgesetzt und präsentiert, und dann ist da ja auch die Produktionsfirma. Alles war sehr vielgestaltig, aber auch sehr fordernd. Deshalb habe ich mir für das nächste Jahr vorgenommen, mich auf die Dinge zu fokussieren, von denen ich glaube, dass sie entscheidend sind für mein ohnehin breit aufgestelltes Berufsleben und alles andere wegzulassen, so verlockend es auch bisweilen ist.
- Telefonisches Interview mit Maria Furtwängler
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