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Zum journalistischen Leitbild von t-online.Kommentar "Naked Attraction": Warum wir Penisse und picklige Popos wollen
Wer am Montagabend RTL2 einschaltete, dem trieb es die Schamesröte ins Gesicht. Weniger wie ein Autounfall als vielmehr wie eine Atomkatastrophe, die man kommen sieht und nicht verhindern kann, kam diese neue Datingshow daher. Ein Gau, den wir nicht anders verdient haben.
Ein Kommentar von Janna Specken
Sex sells nun einmal, das lässt sich nicht bestreiten. Und wenn schon Hoden im Dschungelcamp verspeist werden und Liebeshungrige sich nackt auf einer einsamen Insel kennenlernen, was ist dann der nächste Schritt? Wie weit muss man dann noch gehen, um extremer und krasser zu sein?
Nacktsein reicht offenbar schon längst nicht mehr, deswegen wird bei "Nacked Attraction" jede Vorhaut und jede Schamlippe genaustens besprochen, unter die Lupe genommen. Die Kandidaten lernen zuerst ihre Genitalien kennen und dann den Menschen, der dazugehört, zum Schluss erst wird das Gesicht enthüllt. Den Zuschauer lässt die Show mit der Frage zurück: Brauchen und wollen wir das eigentlich?
Ein Plan, der funktioniert hat
Die Antwort erfreut vielleicht nicht jeden, aber das, was uns RTL2 da hingeworfen hat, ist wie ein saftiges Stück Fleisch, das man einem Löwen in den Käfig schmeißt. Streift er angewidert drum herum und rümpft die Nase? Nein, er stürzt sich darauf, weil er nicht anders kann und wohl auch nicht anders will. So wie auch wir offenbar sehen wollen, wie Klein Erna eigentlich untenrum aussieht. Denn der Plan vom Sender hat natürlich funktioniert, die Quote kann sich sehen lassen. Klar, am Ende will es wieder keiner gesehen haben. Die meisten sind nur beim Zappen zufällig hängen geblieben, als Moderatorin Milka Loff Fernandes gerade den Unterschied zwischen Fleisch- und Blutpenis erklärte.
Zahlen lügen nicht
1,45 Millionen Zuschauern waren dabei, als die Kandidaten Jennifer und Rob ihre Dates anhand der Genitalien aussuchten. Pickelige Popos siegten vor US-Ermittlern, soll heißen RTL2 überholte am Montagabend Sat.1 und erzielte einen Marktanteil von steilen 10,4 Prozent.
"Ach, der ist ja voll dick, also da reicht meine Hand gar nicht", "die ist nicht zu zart gebaut im Genitalbereich", waren Sätze, die mit einer schon fast beeindruckenden Ernsthaftigkeit fielen. Während manch Zuschauer kichernd mit vorgehaltender Hand auf dem Sofa saß, nahm Rob, der übrigens früher eher brust-, dank seiner Exfreundin heute aber hinternfixiert ist, seine Sache ernst. "Schonmal mit Barbies gespielt und geguckt, wie die unten aussehen?", fragte er die Moderatorin. Nein, das will er als Mann nicht, auch an der Scheide solle man doch erkennen können, dass es sich um eine Frau handelt.
Dicke und dünne, lange und kurze, behaarte und glatte, gepiercte und tätowierte Geschlechtsteile hatte "Naked Attraction" im Programm und ließ die Dr.-Sommer-Seite aus der "Bravo" wie ein Kinderbuch aussehen. So viele unterschiedliche Genitalien hat selbst ein gut besetzter Porno nicht im Programm. Da fragt man sich doch, wie das RTL2-Casting wohl abgelaufen ist. "Machen Sie sich schon mal frei untenrum, wir hängen nur noch kurz ihre Würde draußen an den Kleiderständer." Aber wer sind wir schon, über die Kandidaten zu urteilen, wenn wir uns dann doch wie die Löwen auf das nackte Fleisch stürzen.