Tatort Alle gegen einen: Wuchtige Selbstjustiz im urbayerischen "Polizeiruf"
Schweigend sieht die versammelte Landgemeinde mit versteinerten Mienen zu, wie sich ein vermeintlicher Mörder, zermürbt vom Psychoterror seiner Peiniger, in höchster Verzweiflung eine Pistole von unten gegen den Hals presst. Keiner unternimmt einen Rettungsversuch, alle warten darauf, dass er abdrückt. Ein Fall von Selbstjustiz spaltet ein Dorf in der bayerischen Provinz - und machte den "Polizeiruf" am Sonntagabend zu einem dichten Mix aus Heimatfilm, TV-Krimi und Dorfdrama.
Anna Burnhauser (Anna Maria Sturm) ist schuld. Sie bringt den Zorn zurück in ihr Heimatdorf in der bayerischen Provinz. Sie möchte die Hochzeit ihrer Schwester Kati (Barbara Bauer) mit Xaver Edlinger (phänomenal: Daniel Christensen) verhindern. Der wurde in einem Mordprozess zwölf Jahre zuvor in letzter Sekunde freigesprochen - doch Anna hat nach einer Neuuntersuchung der DNA-Spuren nun eindeutige Beweise für seine Schuld. Gerade hatten die Gemüter der Dörfler sich beruhigt und man war bereit, im Zuge der Verlobung von Kati und Xaver die alten Zeiten zu vergessen. Annas Aussage aber sät einmal mehr Zwietracht und die männlichen Hitzköpfe des Dorfes fordern die Verurteilung des Überführten.
In diesem Chaos tritt "Herr Baron" Hanns von Meuffels (Matthias Brandt) auf den Plan. Der Kommissar aus dem hohe Norden, der schon in München oft aneckt, kann mit den Provinzlern im Voralpenkaff erst recht nichts anfangen. Er versteht ihre Sprache nicht und kurvt fein gekleidet mit seinem alten Peugeot-Cabrio mit Bremer Kennzeichen zwischen den grünen Hügeln, Höfen und dreckigen Landmaschinen umher. Eine andere Kultur, ein anderer Stil, eine andere Welt: Mehr Gegensatz geht fast nicht.
Dichte Inszenierung ohne große Hilfsmittel
In "Schuld" schilderten Drehbuchautor Stefan Kolditz und Regisseur Hans Steinbichler nicht den üblichen Krimi-Klassiker Tat-Mördersuche-Festnahme, sondern beschränkten ihre Geschichte auf den Überlebenskampf eines freigesprochenen Tatverdächtigen, der das Stigma "Mord" all die Jahre nicht abwerfen konnte und nun von den Bewohnern seines Dorfes erneut dazu angehalten wird, die Tat endlich zu gestehen. "Ein Gericht kann einem Gerücht nichts anhaben. Es bleibt ewig", wie ein Polizist schon zu Beginn des Films sagt.
Was tut die Gesellschaft, wenn sie glaubt, dass der Staat nicht mehr weiterhilft? Einen vermeintlichen Mörder aus dem Haus zerren und in Selbstjustiz verurteilen. Dafür ist den Dorfbewohnern in "Schuld" jedes Mittel recht, von Kneipenschlägereien bis hin zu unmittelbarer Bedrohung des Lebens. Für den Betroffenen eine unhaltbare Situation, zur physischen Bedrohung kommt der psychische Terror. Die Szenen, in der Xaver und die Dorfmeute sich mit Blicken duellieren und die Stärke des Gegenüber abwägen, gehörten zu den intensivsten in diesem "Polizeiruf", weil sie ohne Hilfsmittel funktionierten. Handfeste Auseinandersetzungen statt wilde Verfolgungsjagden.
Polizei als moralische Instanz im Hintergrund
Steinbichler schaffte es, dass die sommerliche Idylle des Bergdorfes zu einer düsteren, bedrohlichen Einöde mutierte, in der der Begriff "vogelfrei" einem Freibrief für die Schlachtbank gleichkam. Hinter der Idylle liegt die Hölle. Selbst das wiedeholte Summen einer Fliege wurde zur Nervenprobe. Mitten drin als Mahnmal und moralische Instanz Hanns von Meuffels, der jedoch in der quirligen Dorfgemeinschaft eher wie ein stummer, strenger, unnahbarer Schattenmann wirkte. Ein gewollter Fremdkörper, der letztendlich nur als Bodyguard für Xaver fungierte.
Matthias Brandts äußerst sparsam Inszenierung als Impulsgeber für Xavers Aktionen und die lebhafte Gangsterjagd im Dorf bekam dem Krimi gut. Sie stellte den Ermittler auf dieselbe Stufe wie den Zuschauer - als Beobachter der Szenerie. Der Spannung tat das keinen Abbruch. Die entlud sich hin und wieder in lautstarken Schimpftiraden und gebrüllten Kraftausdrücken. Pure Lebensart auf bayerisch eben, die doch nach dem Leben trachtete. Es gibt eine andere Seite der Idylle. Jenseits der grünen Hügel, der tiefen Seen und friedlichen Kuhwiesen samt Glockengeläut. Das weiß nach diesem "Polizeiruf" jeder. Und Freibier ist längst kein Allheilmittel!