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Zum journalistischen Leitbild von t-online.Berlins "coolster Opa" Corona-Risikogruppe? "Mich braucht niemand zu schützen"
An Feiern ist in der Corona-Krise nicht zu denken. Oder? Ein Gespräch mit dem wohl ältesten Hipster Berlins, Günther Krabbenhöft. Er formuliert neue Tanzkonzepte und wehrt sich gegen Bevormundung.
Günther Krabbenhöft sticht ins Auge. Wenn er mit einem eleganten Gehstock durch Berlin spaziert, wenn er mal wieder auf einer Party in der Berliner Technoszene tanzt oder einfach, wenn er ist, wie er ist: ein stilvoll gekleideter Mann mit 75 Jahren.
Im Sommer 2015 wurde der bei Hannover geborene Krabbenhöft weltweit als Internetphänomen bekannt. Fotos des Rentners verbreiteten sich in den sozialen Netzwerken. Die Zeitschrift "Cosmopolitan" berichtete darüber und nannte ihn "fashionable Grandpa". Weitere Medien aus dem In- und Ausland sprangen auf und die Zuschreibungen wurden immer wilder. Krabbenhöft wird seitdem wahlweise als "ältester Hipster Berlins" ("Spiegel"), der "Hipster-Rentner vom Kotti" oder "Berlins coolster Opa" ("BZ") bezeichnet. Am weitesten holte die "Huffington Post" aus und ernannte ihn zum "officially the world's most fashionable grandpa" – dem modischsten Opa der Welt.
Im Gespräch mit t-online.de berichtet Krabbenhöft von seiner Sicht auf die Corona-Krise. Er spricht über die Gefahr, dass Ältere bevormundet werden, und sorgt sich um die Berliner Clubszene. Doch er macht auch Mut mit Ideen für neue Partykonzepte und dem Glauben daran, dass Wandel möglich ist.
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t-online.de: Herr Krabbenhöft, wie geht es Ihnen denn?
Günther Krabbenhöft: Gut geht es mir. Ich mag das manchmal gar nicht sagen, weil ich oft mit meinen Gedanken bei den Menschen bin, denen es nicht so gut geht. Menschen, die morgens aufwachen und denken, wie soll es für mich weitergehen? Aber nur weil es mir gut geht, bedeutet das nicht, dass ich das, was um mich herum passiert, außer Acht lasse. Leider tun manche Menschen das ständig und denken in der Corona-Krise nur an ihr eigenes Leid.
Wie meinen Sie das?
Viele Menschen betrachten die Welt nur aus ihrem beschränkten Blickwinkel. Die denken dann: 'Was ist denn so schwer daran, einfach zu Hause zu bleiben?' In einer 100-Quadratmeter-Wohnung mit Dachterrasse oder Balkon und Garten ist das auch kein Problem. Aber wohnen Sie mal mit vier Personen auf engstem Raum. Das ist viel schwerer. Man sollte immer mal seine Blase verlassen, um auch andere besser zu verstehen.
Haben Sie manchmal das Gefühl, dass es Menschen gibt, die immer nur von der Wand bis zur Tapete denken?
Ja, das finde ich wirklich. Ich versuche in Kommentaren auf Social Media klar zu machen, dass der eigene Blick nicht automatisch für alle gilt. Dieses verächtlich machen von anderen Gedanken und das sture Beharren auf den eigenen Positionen ist furchtbar. Es gibt nicht nur schwarz oder weiß. Demokratie ist vielfältig, und es ist keine Demokratie mehr, wenn wir alle gleich denken und gleich handeln. Das ist doch dystopisch. Ich meine, wer wünscht sich das?
Dieser Gedanke geht auch aus einem Ihrer Instagram-Posts hervor. Dort schreiben Sie zum Beispiel "Denkverbote darf es nicht geben." Deshalb die Frage: Sind Sie der Meinung, dass die Maßnahmen, die in der Corona-Krise ergriffen wurden, legitim sind? Oder gibt es Dinge, die Sie kritisieren?
Am Anfang war das für uns alle neu, und ich denke, der Staat hat versucht, für seine Bürger das Richtige zu tun. Aber all das, was nachher passiert ist, darüber kann man streiten. Ich sehe es nicht alles so, wie es gemacht worden ist, weil diese ganzen Verordnungen und Einschränkungen doch gar nicht nötig gewesen wären. Das, was verlangt wird, mache ich sowieso auch in einer ganz normalen Grippesaison. Ich sage den Leuten: "Bitte kommt mir nicht zu nahe." Ich fasse in der U-Bahn nicht ständig alles an. Das hat nichts mit Panik zu tun. Das sind für mich ganz normale Vorsichtsmaßnahmen. Diese Abstandsregeln, diese Tipps zum Niesen in die Armbeuge: Das mache ich allein vom gesunden Menschenverstand her. Dafür brauche ich keine Corona-Verordnungen.
Im Alltag lässt sich aber beobachten, dass immer mehr Menschen diese Regeln einhalten: Am besten erkennt man das am Tragen der Masken. Gewisse Vorschriften von Autoritäten können also auch etwas bewirken. Sie sind 75 Jahre alt und gehören damit zur definierten Risikogruppe. Freut es Sie nicht, dass Ihre Mitmenschen Rücksicht nehmen?
Ich möchte nicht zu einer Risikogruppe zugeordnet werden, ohne dass ich gefragt werde. Ich bin vielleicht fitter und agiler als manch Jüngere. Ich wehre mich entschieden gegen diese pauschalen Zuschreibungen. Mich braucht niemand zu schützen.
Das ist ein wirklich sehr wichtiges Thema, weil es auch um die Mündigkeit der Bürger geht. Ab dem Jahr 65 wird ja nicht das Recht auf Selbstbestimmung an der Türklinke abgegeben. Wie sehen Sie das: Werden in der Corona-Krise Entscheidungen über den Kopf der Älteren hinweg getroffen? Ist es so, dass Sie sich das anders wünschen würden?
Ich würde mich immer dagegen wehren, wenn mir etwas aufgezwungen wird. Klar ist: Mich hat keiner gefragt. Also sollte mich bitte schön auch niemand bevormunden. Das ist ziemlich übergriffig letztendlich. Und damit wird mir signalisiert: 'Du bist nicht mehr so ganz frisch.'
Dabei sind Sie über die Grenzen Berlins hinweg als agiler "Hipster-Opa" bekannt. Doch in der Berliner Clubszene, die Ihnen persönlich sehr nahe ist, herrscht seit Monaten Stillstand. Abstands- und Hygieneregeln lassen sich dort nicht einhalten. Oder?
Nein, im Club lässt sich Abstand nicht einhalten. Es gibt immer wieder sehr endorphingeladene Momente, in denen man ausgelassen zusammen tanzt. Da kommt es natürlich zu viel Körperkontakt.
Wie denken Sie über diesen Stillstand?
Das könnte ich auch auf überschäumende Familienfeiern, wo sich Onkel und Tante und Neffe in die Arme fallen und sich zuprosten, übertragen. Diese Unbeschwertheit gibt es ja nicht nur in der Clubszene. Aber klar: Für das Feiern im öffentlichen Raum sieht es düster aus. Auch wenn ich verstehen kann, dass meistens jüngere Leute das anders sehen. Die fragen sich natürlich: Was reden die denn eigentlich? Lasst uns doch feiern. Diese Gegenhaltung der Jugend ist ganz normal, die gab es auch früher schon.
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Okay, klar: Eine Club- und Partyszene besteht vorwiegend aus jungen Leuten, und die haben das Bedürfnis nach Ausgelassenheit, Ekstase und Spaß. Aber auch andere Menschen stellen ihre Bedürfnisse zurück: Kinder gehen nicht in die Kita, Familien fahren nicht in den Urlaub und Theater, Kinos und viele andere Kulturstätten bleiben ebenfalls leer.
Völlig korrekt. Dieser Partystil, dieses Überschäumende und Übertriebene, wäre gegenwärtig eine Farce. Das lässt sich jetzt natürlich nicht weiterführen. Darüber muss man neu nachdenken, ob es nun eine Chance gibt, neue Dinge zu entdecken oder andere Vergnügungsformen zu erfinden. Es wird eine Veränderung geben, auf alle Fälle. Aber es muss ja nicht schlechter sein.
Haben Sie denn schon Lösungen mitbekommen, die Ihnen gefallen haben?
Ja, das habe ich. Und manche Ideen sind gar nicht so blöd. Warum darf es kein Festival auf dem Tempelhofer Feld geben? Jeder bekommt am Eingang einen Hula-Hoop-Reifen und hält damit beim Tanzen den Mindestabstand zum Partner. Meinetwegen können sie auch Platzanweiser einführen, und dann geht das Feiern an unterschiedlichen Stellen los. Jeder tanzt ekstatisch in seinem Ring. Oder man begrenzt die Zahl an Menschen, die pro Nacht in einen Club dürfen, und limitiert die Zeit. Eine bestimmte Personenanzahl könnte im Berghain oder sonst wo feiern und nach vier Stunden wird getauscht werden.
Die Infektionsketten müssten nachprüfbar sein. Das heißt: Jeder muss seine Identität preisgeben. Falls es zu einem Ausbruch kommt, muss der Veranstalter die Menschen informieren. Wären die Menschen denn bereit, ihre Anonymität, die im Berliner Nachtleben ja auch ein hohes Gut ist, an der Tür abzugeben? Zum Zwecke des gemeinsamen Schutzes.
Wenn ich darüber nachdenke, dann wäre der erste Impuls: 'Nee, so weit geht es nicht.' Aber auf der anderen Seite gibt man in so vielen Momenten an so vielen Orten seine Daten ab. Im Internet tut man das ständig. Und plötzlich, im echten Leben, wird man ganz, ganz streng.
Wie sehr fehlt Ihnen denn das Tanzen?
Das Tanzen fehlt mir total, weil alles andere nur wie ein Placebo wirkt und jetzt ausgeleiert ist – zum Beispiel diese albernen Streaming-Events. Ich brauche diese Energie, die ich nur bekomme, wenn ich mittendrin bin. Die Leute können noch so sehr versuchen, das schönzureden. Das erreicht mich nicht, weil genau das ist der Punkt, wo ich anders sein kann: der Moment im Club, in dem man einfach tanzt ohne nachzudenken.
Auf Ihrem Facebook-Profil schreiben Sie davon, dass das Tanzen Sie glücklich macht. Aber auch, dass es für Sie eine Art Jungbrunnen ist. Wenn der jetzt wegfällt, bleibt die Frage: Altern Sie gerade schneller?
Wenn das mein einziger Jungbrunnen wäre oder meine einzige Energiequelle, dann ja. Aber ich bin ja eingebunden in ein soziales Umfeld. Und natürlich hält es mich auch jung, wenn ich mit einem Freund spazieren gehe oder allein durch die Wälder streife. Auch die Natur berührt mein Herz und schickt meine Gedanken auf die Reise. Die Energie kommt von draußen: Das müssen die Leute begreifen. Das ist überhaupt die große Kunst, durchs Leben zu kommen. Sich selbst immer mal kennenzulernen und zu wissen, was alles in einem schlummert, und sich nicht nur auf die Impulse von anderen zu verlassen.
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Sie haben gesagt, Sie sind nicht mit allem auf einer Linie, vor allem mit Blick auf die Einschränkungen. Was sollte sich mit Blick auf den Sommer nun verändern?
Die Einschränkungen sollten weniger werden. Das ist das Wichtigste für mich. Ich möchte wieder an ein Alltagsleben anknüpfen. Ich denke dabei daran, dass das Virus ganze Existenzen weggefegt hat, dass Menschen arbeitslos sind und verzweifelt. Diese Verzweiflung, das wurde in der gesellschaftlichen Diskussion außen vor gelassen. Das Virus tötet Menschen, es zerstört aber auch Existenzen. Das halte ich für viel gefährlicher, für viel tödlicher für den Menschen. Ich hoffe, dass die Gesellschaft weiß, dass jetzt erst die Arbeit anfängt.
Sie meinen, es muss Aufbauarbeit geleistet werden. Haben Sie eigentlich Angst um die Existenzen ihrer Lieblingsclubs?
Das hat mich natürlich beschäftigt. Viele Clubs werden diese Krise nicht überleben. Aber jetzt ist es ja so, dass nicht nur die Orte gefährdet sind, sondern auch das Leben der Menschen, das dort dranhängt. Allerdings habe ich in meinem Leben schon so viel erlebt: Irgendwas Neues, etwas anderes wird kommen. Wenn man merkt, dass sich etwas verändert und man Abschied nehmen muss, wird es unbehaglich. Man denkt, die Welt geht unter. Aber nein, die Welt wird nicht untergehen. Es wird etwas anderes kommen. Ich glaube an den Wandel.
Hinweis in eigener Sache: Das Gespräch fand vor den Vorfällen am Pfingstwochenende in Berlin statt, als am Landwehrkanal mehrere Tausend Menschen mit Booten eine Party feierten und es anschließend massiv Kritik hagelte – hier gibt es einen aktuellen Hintergrundartikel zu den Vorkommnissen.
- Telefonat mit Günther Krabbenhöft am 19. Mai 2020