Von Hirschhausen "Die eigentliche fette Krise kommt erst noch – mit Ansage"
Der Gesprächspartner muss auf jede unserer Fragen antworten. Anschließend bekommt er seine Antworten vorgelegt und kann sie autorisieren.
Zum journalistischen Leitbild von t-online.Eckart von Hirschhausen ist Mediziner und Comedian. In seiner Rolle als Wissenschaftler steht er für tiefgründige Analysen – als Komiker nutzt er diese für Humor mit Sachverstand. Im Interview mit t-online.de betrachtet er die Corona-Krise aus beiden Blickwinkeln.
Vor genau einem Monat begann unser Austausch mit Deutschlands bekanntestem Medizin-Comedian. In einem Kommentar zum Umgang mit Humor in der Corona-Krise nahm t-online.de Bezug auf das Buch "Humor ist, wenn man trotzdem lacht" von Hellmuth Karasek. Von Hirschhausen hatte das Vorwort geschrieben und urteilt dort: Humor ist das natürlichste Anti-Stress-Mittel der Welt.
Mehrere Absprachen später fiel der Entschluss, dass wir nicht nur zur humoristischen Perspektive auf die Corona-Krise sprechen wollen. Die Diskussion um eine Maskenpflicht, zu der Eckart von Hirschhausen eine Kampagne in Gang setzte, sollte ins Zentrum rücken – wie der 52-Jährige über seinen Aufruf #maskeauf spricht, sehen Sie oben im Video. Doch auch die verheerenden und teils überraschenden Folgen der Pandemie und der Blick auf die politisch angespannte Lage wurden zum Thema. Herausgekommen ist ein Interview, in dem der gelernte Mediziner vor allem eines beweist: seine klare, sachlich fundierte Haltung.
t-online.de: Lieber Herr von Hirschhausen, Sie sind derzeit auf Instagram, Facebook oder YouTube sehr aktiv. Warum ist es Ihnen so wichtig, sich in der Corona-Krise nicht zurückzuziehen?
Eckart von Hirschhausen: Wir alle sind soziale Wesen, deswegen fällt uns soziale Distanz naturgemäß schwer. Ich wäre jetzt auch lieber mit meinem Kabarettprogramm auf Tour, statt jeden Tag nur über Bildschirme zu kommunizieren. Ausverkaufte Termine abzusagen ist nicht lustig, weder für die Zuschauer, die Techniker, die Veranstalter und alle, die da noch mit dranhängen.
Aber?
Egal auf welchem Kanal – im Herzen bin und bleibe ich Arzt. Und wenn die Gesundheit von vielen Menschen in Deutschland und weltweit gerade so massiv gefährdet ist wie jetzt, muss jeder helfen, wo er kann. Und das kann ich am besten in der Vermittlung. Und wir lernen ja auch jeden Tag dazu. Und da helfe ich gerne auf meine Art, Wissenschaft verständlich zu machen. Und das ist nicht nur Virologie, sondern auch viel Psychologie.
Was kann denn aus psychologischer Sicht helfen, die Quarantäne-Situation erträglicher zu machen?
Es klingt fast buddhistisch, aber ein Tipp heißt: Radikale Akzeptanz. Je mehr psychische Energie wir damit vertrödeln, der Realität vorzuwerfen, dass wir uns das Ganze anders vorgestellt haben, desto anstrengender wird es. Und umso weniger Energie bleibt für die konstruktive Gestaltung dieser Ausnahmesituation.
Das klingt sehr abstrakt. Haben Sie ein Beispiel für diese Form der Bewältigungsstrategie?
Ich war ja letztes Jahr für eine ARD-Doku drei Tage im Knast. Und ich war privat schon mal über 10 Tage in einem Schweigekloster. Die Einrichtung der Zellen ist sehr ähnlich. Bett, Stuhl, Tisch, fertig. Einmal ist es Zwang, einmal selbst gewählt. Nicht alles, was hinkt ist ein Vergleich, aber vielleicht hilft dieses Bild, sich in seiner Haltung zu entscheiden: ich bleibe jetzt zu Hause – nicht, weil ich dazu verdonnert werde, sondern weil ich es will. Ich bin freiwillig zu Hause, weil ich das für sinnvoll halte und ich damit andere Menschen schütze. Und ich versuche, das Beste daraus zu machen.
Was bringt das ganz praktisch gesehen für Vorteile mit sich?
Wenn wir uns alle daran halten, geht die Krise schneller vorbei. Wir helfen damit Ärzten, Pflegekräften und vielen anderen Mitmenschen, die gerade unter maximalem Einsatz den Laden am Laufen halten, nicht in die totale Überlastung zu kommen. Und wir geben den Wissenschaftlern Zeit, Medikamente und Impfstoffe zu entwickeln.
Sie machen sich mit einer Kampagne unter dem Titel #maskeauf stark für das Tragen von Gesichtsmasken: Was sind Ihre Argumente für eine Maskenpflicht?
Wie bei jedem Virus werden viele gesunde Menschen als Überträger genutzt. Deswegen dürfen wir die Viren nicht weiterschleppen und müssen es hinbekommen, dass sie sich zu Tode langweilen. Weil wir aktuell nicht alle Menschen testen können, ist das Schlaueste: Wir verhalten uns alle wie potentielle Überträger und schützen unsere Mitmenschen vor uns – gerade in Situationen, in denen es schwer ist, den antiviralen Mindestabstand zu garantieren: in engen Straßen, beim Einkaufen, in Bahn und Bus.
Welche Art von Maske soll es denn sein, damit diese gewünschte Wirkung auch sichergestellt wird?
Selbstgebastelte Masken sind kein "Atemschutz", denn der Schutz vor Viren, die mich anfliegen, ist gering. Es ist aber ein guter Aus-Atem-Schutz, ein Schutz für alle anderen. Der beste Vergleich, wenn auch unpassend: Wenn ein Betrunkener neben mir in der U-Bahn steht und Wasser lässt, macht es einen großen Unterschied, ob er eine Hose anhat oder nicht. Einmal werde ich nass, einmal die Hose. Masken sind die Hose fürs Gesicht. Und wenn sie nass sind, sollte man sie wechseln. Hosen weiterhin auch.
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In Deutschland ist es gesamtgesellschaftlich betrachtet allerdings nicht eingeübt, in der Öffentlichkeit Masken zu tragen. Was bedarf es, um die Bevölkerung für solche Maßnahmen zu sensibilisieren?
Das stimmt, Masken hatten bisher in Deutschland ein echtes Imageproblem: Wer eine trug, machte sich verdächtig. Man dachte bei Maskenträgern nie an etwas Gutes, eher an Pest und Cholera, Banküberfall oder Karneval. In anderen Ländern ist das anders, im asiatischen Raum ist es zum Beispiel viel üblicher, Masken zu tragen, wenn man sich begegnet. Da gilt das als höflich, rücksichtsvoll, ein Zeichen von Respekt und Solidarität. In Südkorea ist es gelungen, die Epidemie auszubremsen. Masken aufzusetzen in der Öffentlichkeit war nach aller Wahrscheinlichkeit ein wirksamer Teil dieser Erfolgsstrategie. Wir haben uns doch immer aufgeregt, wenn Ideen aus Deutschland ungefragt anderswo nachgebastelt wurden. Ideen zu "klauen" ist eigentlich die höchste Form von Anerkennung.
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Sie meinen: Jetzt wäre der richtige Zeitpunkt, um dem Beispiel aus Südkorea und anderen asiatischen Ländern zu folgen?
Höchste Zeit, dass wir jetzt "asiatischer" werden, sprich: mehr an die Gemeinschaft denken als nur an uns. Deswegen: Je mehr Menschen in der Öffentlichkeit jetzt Masken tragen, desto normaler wird es für alle. Das ist es was wir brauchen – eine neue Normalität in dieser Ausnahmesituation. Die Stadt Jena hat kaum mehr Neuinfektionen, seit alle Masken tragen. Viele kleine Effekte zusammen genommen bewirken großes.
Jetzt haben Sie uns aus Ihrer Sicht als Mediziner geantwortet. Wie können Sie der Diskussion als Komiker begegnen?
Wie immer im Leben gilt – wenn man keinen Sinn für Humor hat, welchen dann? Deswegen eine humorvolle Replik für alle, die sich im Stillen die entscheidende Frage stellen: Und wenn es Scheiße aussieht? Wenn das Ihre größte Sorge ist, dann schauen Sie doch mal in Ihr Fotoalbum. Wie viele bekloppte Trends haben wir nicht schon in unserem Leben mitgemacht. Optik ist kein Argument. Oder um es noch deutlicher zu sagen: An einem Beatmungsgerät sieht erst recht keiner gut aus.
Diese Debatten rund um die Maskenpflicht beschäftigen Deutschland nun seit mehreren Wochen – am Schluss ist es jedoch an der Politik, eine Entscheidung zu fällen. Wie bringen Sie die aktuellen politischen Diskussionen mit Humor auf den Punkt?
Humor lebt von den Widersprüchen – in der Welt, und auch in uns. Weil wir nicht durch die Gegend düsen, entdecken viele Natur in ihrer Nähe und staunen, wie gut das tut, einfach jeden Tag spazieren zu gehen. Pflegeberufe sind plötzlich "systemrelevant" – als ob sie es nicht vorher auch schon waren. Die Regeln ändern sich, und die Verschwörungstheorien sind schneller in der Welt als die Vernunft. Früher musste man einen Erste-Hilfe-Kurs besuchen, wenn man Leben retten wollte. Heute reicht es, auf dem Sofa zu sitzen. Früher haben die Eltern mit einem geschimpft, wenn man als Teenager aus dem Haus wollte. Heute muss man die Eltern ermahnen, drin zu bleiben. Und mein liebster Spruch: "Wenn Corona vorbei ist, mache ich mir erstmal ein paar gemütliche Tage zu Hause"!
Humor sorgt für Leichtigkeit in dem derzeit aufgeheizten Klima. Was macht Ihnen noch Hoffnung?
Corona ist etwas gelungen, was vorher als undenkbar galt: die Emissionen sind gesunken! Wenn die Politik auf Virologen hören kann – wann hört sie auf Klimawissenschaftler? Die eigentliche fette Krise kommt erst noch – mit Ansage. Der Grund, warum immer wieder Viren von Wildtieren auf Menschen übertragen werden, ist der brutale Rückgang ihrer natürlichen Lebensräume. Und dann werden die noch gegessen und gehandelt. Wildtiermärkte gehören weltweit verboten. Sofort. Vor 10.000 Jahren hatten Menschen global einen Gewichtsanteil von 1% und Wildtiere 99%. Heute haben sich die Verhältnisse komplett umgedreht: vom Gewicht der Landbewohner her sind 32% Menschen, 67% Nutztiere und nur noch 1% Wildtiere. Das ist und macht krank. Denn diese Kreaturen fressen, kacken, pupsen und rülpsen die Erde und die Atmosphäre aus dem Gleichgewicht.
Sie sprechen den Rückgang der Emissionen an. Es ist auch eine ganz grundsätzliche Frage nach der Art des Wirtschaftens, wenn diese Form der Umweltbelastung wirklich dauerhaft eingeschränkt werden soll...
Absolut! Meine große Hoffnung ist, dass wir nach der Krise neu darüber nachdenken, welche Art von Wachstum wir denn wieder "ankurbeln" wollen, wenn es mit sauberer Luft, mehr Fahrrad und weniger sinnlosen Flügen eigentlich viel schöner ist. Wir haben Gesundheit viel zu lange als etwas Individuelles betrachtet: Jeder ist für sich selber verantwortlich und für jede Krankheit gibt es eine Behandlung. Corona erinnert uns an den Stellenwert von "Public Health", an Gesundheitsgefahren, für die es übergeordnete Lösungen braucht, und an die Chancen. Die größte Gesundheitsgefahr ist und bleibt die Klimakrise, die Zerstörung unserer Mitwelt, die sich an vielen Stellen rächt, durch eine Zunahme von Infektionskrankheiten, von Allergien, von Hitze, Dürre und Waldbränden. Gesunde Menschen gibt es nur auf einem gesunden Planeten. Wenn uns das Überleben Einzelner heute befähigt, unseren Lebensstil zu ändern, sollte das nicht auch für das Überleben der Menschheit gelten?
Irgendwann werden auch Sie wieder die Bühne betreten und mit Ihrem Programm auf Tour gehen können. Worauf freuen Sie sich am meisten, wenn es Lockerungen geben wird?
Nach Corona werden wir den Charme des Analogen und Authentischen neu schätzen lernen: Dann gehe ich offline und zurück live auf die Bühne. Wir werden wiederentdecken, dass Theater, Kabarett und Konzerte unverzichtbar sind, für Künstler und Publikum gleichermaßen. In einem Raum voller lachender, lauschender und lebendiger Menschen entstehen Resonanzen, die nie zu digitalisieren sein werden. Für die Griechen saß die Seele im Zwerchfell. Und sich kitzeln kann man halt nicht mit 2 Metern Abstand.
- Youtube: Eckart von Hirschhausen