Wer bin ich? Kevin Spacey spricht über seinen tiefen Fall
München (dpa) - Es ist eigentlich noch gar nicht so lange her, da erleuchtete das Rampenlicht Kevin Spaceys Alltag. Wohin auch immer er ging, er wurde gefeiert. Doch dann kam der Herbst 2017.
Damals wurden im Zuge der #MeToo-Debatte Vorwürfe von sexuellen Übergriffen und Belästigung gegen den Oscar-Preisträger ("American Beauty") laut - in mehr als 30 Fällen. Seither liegt seine steile Karriere in Trümmern. Ein ganz tiefer Fall.
Von einer Vollbremsung spricht Spacey nun rund zwei Jahre danach. Der einst gefeierte Hollywood-Star - inzwischen 60 Jahre alt geworden - sitzt an einem Schreibtisch vor einer Wand mit Fotos, Büchern, Action-Figuren und einer alten Schreibmaschine und scheint etwas nervös zu sein. Das, was er nun sagen wolle, werde er ablesen, kündigt er an. "Weil es sehr lange her ist, dass ich zu so vielen Menschen gesprochen habe." Bei ihm sei nur sein Hund Boston.
Spacey ist der Stargast bei einem virtuellen Treffen des Münchner Start-up-Festivas "Bits & Pretzels", als dessen offizieller Partner er auftrat in einer Zeit, in der seine Welt noch in Ordnung war. Dort hielt er in den Jahren 2016 und 2017 umjubelte Reden, bevor mehrere Schauspieler ihm im Sog des Skandals um den inzwischen verurteilten Filmproduzenten Harvey Weinstein öffentlich vorwarfen, sie sexuell belästigt zu haben.
Auf diese Vorwürfe geht er nicht ein am Sonntag, aber es ist das erste Mal, dass er sich ausführlich dazu äußert, wie er die Zeit damals erlebte. "Meine Welt hat sich im Herbst 2017 komplett verändert", sagt er. "Mein Job, viele meiner Beziehungen, mein Ansehen in meiner eigenen Industrie - all das war innerhalb von Stunden weg."
Dabei kannte seine Karriere mehr als 30 Jahre lang nur den Weg nach oben. Seinen Durchbruch im Film hatte er als Serienmörder in "Sieben". 1996 erhielt er den Nebenrollen-Oscar für "Die üblichen Verdächtigen" und vier Jahre später die Auszeichnung als bester Hauptdarsteller in "American Beauty". Für seine grandiose Darstellung des Frank Underwood im Netflix-Megaerfolg "House of Cards" bekam er einen Golden Globe. Die Serie ging ohne ihn zu Ende.
"Alles, was ich konnte, war schauspielern", sagt er in die Kamera seines Computers. "Alles, was ich jemals machen wollte, war schauspielern." Schon im Alter von elf Jahren habe er Schauspieler werden wollen. "Ich dachte, ich sei dazu geboren."
Darum sei er in eine Identitätskrise geraten: "Ich war so damit beschäftigt, mich über das zu identifizieren, was ich tat oder zu tun versuchte, dass ich, als das alles vorbei war, keine Ahnung hatte, was ich als nächstes tun sollte", sagt Spacey. "Als meine Karriere zu einem schleifenden, quietschenden Ende kam" habe er sich zum ersten Mal fragen müssen: 'Wenn ich nicht mehr schauspielern kann: Wer bin ich?'" In den vergangenen beiden Jahren habe er versucht, sich diese Frage zu beantworten. Er habe sich mit Traumata auseinandersetzen müssen, die er stets verdrängt habe. Über seine mutmaßlichen Opfer verliert er kein Wort.
Die Veranstalter, die sich 2017 noch "schockiert" über die Vorwürfe gegen Spacey gezeigt hatten, begründen dessen Rückkehr jetzt damit, dass er Unternehmern in der Corona-Krise Tipps geben könne, mit unvorhergesehenen Situationen fertig zu werden.
Er wisse, wie es sich anfühle, plötzlich nicht mehr zur Arbeit gehen zu dürfen und wenn man Angst haben müsse, seinen Job zu verlieren. Spaceys Karriere liegt weitgehend brach. Sein Auftritt in dem Film "Alles Geld der Welt" (2017) von Regisseur Ridley Scott wurde herausgeschnitten. Der Streaming-Dienst Netflix kündigte die Zusammenarbeit mit Spacey für "House of Cards" auf. Es sei "eine Situation, über die man überhaupt keine Kontrolle hat".
Möglich, dass Spacey diese Kontrolle - angefangen mit diesem Auftritt - nun langsam zurückerobern will. Seit Bekanntwerden der Vorwürfe war er bislang weitgehend abgetaucht. Lediglich mit der Rezitation eines Gedichtes über einen ziemlich zugerichteten Boxer in einem Museum in Rom und zwei bizarren Weihnachts-Videos auf Youtube präsentierte er sich öffentlich.
Erst Anfang Januar dieses Jahres war eine weitere Klage wegen sexueller Belästigung gegen ihn fallengelassen worden. Im vergangenen Sommer hatte bereits ein Schauspieler eine Klage gegen Spacey zurückgezogen. Der Mann hatte Spacey beschuldigt, ihn in einem Restaurant auf der Insel Nantucket betatscht zu haben.
In seinem Youtube-Video von Weihnachten hatte Spacey angekündigt, 2020 wolle er seine Stimme für "mehr Gutes in dieser Welt" abgeben. Statt jemanden zu attackieren, könne man seine Gegner auch "mit Freundlichkeit" fertigmachen.
Früher ließ Spacey sich bei "Bits & Pretzels" feiernd und Bier trinkend mit den Veranstaltern und in bayerischer Tracht fotografieren. Von dieser Unbeschwertheit zeugt nun nur noch die Tracht, in die Spacey sich geworfen hat, um seine Rede an diesem Sonntag zu halten. "Es ist nie zu früh, um sich für das Oktoberfest schick zu machen", sagt er. Er hoffe, es werde nicht mehr lange dauern, bis sie alle wieder zusammen "in einem dieser ungeheuerlichen Zelte in München" feiern können. Zum Schluss sagt er: "Kämpft den Kampf weiter."