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Zum journalistischen Leitbild von t-online."So schaffen wir es" Wie ein Musiker die Corona-Not zur Tugend macht
Fynn Kliemann begegnet der Krise mit Kreativität und startet eine Kampagne, die es so in der Musikwelt noch nicht gab. Im Gespräch mit t-online.de erzählt er davon und erklärt, wie das Coronavirus ein Umdenken in Gang setzen kann.
"Um niemanden zu gefährden und unser Gesundheitssystem nicht weiter zu strapazieren, haben wir eine Idee entwickelt", erzählt Fynn Kliemann am Telefon bei einem Interview mit t-online.de. Eigentlich wollte der Musiker durch Deutschland reisen und mit seinen Fans ein großes gemeinschaftliches Projekt für sein neues Album auf die Beine stellen.
Doch das Coronavirus machte dem Plan einen Strich durch die Rechnung. Also disponierte der 29-Jährige um und startete eine digitale Kampagne, die in dieser Form wohl weltweit einzigartig ist.
Ein Musikvideo von Fynn Kliemann und seinen Fans – erstellt auf unzähligen mobilen Endgeräten. "Dafür tauschen wir alle einzelnen Bilder des Videos durch Bilder aus, die die Leute zuhause machen." Eine Video-Vorlage und eine eigens programmierte App, die die benötigten Einzelbilder so anzeigt, dass sie von den Teilnehmern heruntergeladen und nachgestellt werden können, bilden dafür die technische Grundlage. Seine Fans müssen sich fotografieren und ihre Bilder anschließend auf Kliemanns Website stellen. Dann werden sie Teil eines gemeinschaftlich produzierten Musikvideos.
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"So schaffen wir es, während der Pandemie mit tausenden Menschen zusammen ein Musikvideo zu drehen." Ziel sei es, die Krisensituation kreativ zu nutzen und mit den heutigen technischen Möglichkeiten "das Beste aus der Situation zu machen".
Kliemann verdient sein Geld nicht nur mit seiner Musik, sondern auch damit, genau das zu tun: kreativ zu sein. Er gestaltet Websites, baut das ehemalige Gunter-Gabriel-Hausboot gemeinsam mit dem Musiker Olli Schulz um und bewirtschaftet einen riesigen Hof – das sogenannte "Kliemannsland" im niedersächsischen Rüspel.
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"Das, was jetzt als Isolation bezeichnet wird, so lebe ich immer. Ich lebe ohne Nachbarn mitten auf dem Land und das was für viele jetzt Hamsterkäufe sind, mache ich alle zwei Wochen – denn öfter gehe ich nicht einkaufen". Von zu Hause aus würde er ohnehin schon immer arbeiten: "Das ist mein Leben: dezentral, digital und alles aus dem Homeoffice".
"Wir werden das auf jeden Fall überleben!"
Doch auch an dem vom NDR zum "Heimwerkerkönig" ernannten Freischaffenden geht die Corona-Krise nicht spurlos vorbei. "Alle Filmproduktionen sind eingestampft, unser Kinofilm, der Ende Mai anlaufen sollte, ist bedroht und auch meine Albumproduktion ist in Gefahr", berichtet Kliemann. Die Situation in Europa verhindere Lieferungen, auch sein Klamotten-Merchandise, das er in Portugal herstellen lässt, komme momentan nicht nach Deutschland: "Auf das ganze Business um mich herum hat das Coronavirus extreme Auswirkungen, nur auf mich selbst nicht".
Ob er sich finanziell Sorgen machen müsse, beantwortet er eher vorsichtig: "Wenn ich jetzt nur noch Websites bauen würde, dann wäre es schon gefährlich. Aber ich bin finanziell schon immer ein Pessimist und war sehr sparsam. Da habe ich so viel zur Seite gepackt, dass ich ein halbes Jahr ohne Einnahmen leben kann. Wir werden das auf jeden Fall überleben!"
Im schlimmsten Fall, so hofft Kliemann, wird sich "alles einfach nur verzögern". Und doch schwingt bei seinen Erzählungen eine Ungewissheit mit, wie sie gerade Menschen überall auf der Welt umtreibt. Keiner kann abschätzen, wie sich die Corona-Pandemie entwickelt. "Presswerke schließen, Transportunternehmen fahren ihren Betrieb herunter, Waren kommen nicht mehr über die Grenzen und die Bewegungsfreiheit wird eingeschränkt – und eine Albumproduktion besteht nun mal primär daraus, irgendwelche Sachen von A nach B zu bringen. Das wird jetzt kompliziert!" Die Vinyls und CDs für sein Album "Pop", das am 29. Mai erscheinen sollte, werden hier in Deutschland produziert, aber die Presswerke machen jetzt gar nichts mehr – sie haben den Betrieb eingestellt.
Das einzige was zählt, sind Menschenleben
Die Maßnahmen der Regierung empfinde er dennoch als richtig. "Eine Vinyl, eine CD, eine Mütze, ein Produkt: Das ist alles egal. Was wichtig ist, sind Menschenleben – das steht über allem." Dem Leben müsse nun die Arbeit untergeordnet werden oder wie Kliemann es ausdrückt: "Jedes Business ist völlig egal, wenn man dadurch ein Menschenleben retten kann."
Für Menschen, die nun lamentieren würden, dass sie zu Hause eingesperrt werden, habe er überhaupt kein Verständnis. "Schaltet mal zehn Gänge runter und macht das Beste draus. Die meisten Leute heulen eh den ganzen Tag rum, anstatt sich Lösungen einfallen zu lassen oder an Ideen zu arbeiten", so der Musiker. Die Krise zeige, dass es der Umwelt guttun würde, wenn die Welt herunterfährt und laut dem "Do it yourself"-Spezialisten sei diese Situation sogar eine Chance, es "besser zu machen als vorher".
Kliemann ist sich sicher, dass es die Menschen "zusammenschweißt", wenn sie an gemeinsamen Erfahrungen teilhaben können – sein Musikvideo sei dafür das beste Beispiel. "Ich möchte natürlich einfach nur, dass diese Krise vorübergeht und dass es den Menschen gut geht. Aber letztendlich sind das die spannendsten Momente in meinem Leben, denn das ist das, was ich den ganzen Tag mache: mir für irgendein Problem eine kreative Lösung einfallen lassen."
Fynn Kliemanns Ansatz in dieser schweren Zeit: Einfallsreichtum und Lösungsorientierung. "Das einzige, was jetzt nichts bringt, ist zu Hause zu sitzen und rumzuflennen. Wir müssen jetzt für alle Bereiche, die bedroht sind und für alle Menschen, denen es schlecht geht, Lösungen finden, damit es allen besser geht."
Auch andere Künstler werden erfinderisch
Die Botschaft ist klar: In der Krise helfen nur Tatendrang und Engagement, keine Trägheit und kein Gammeln. Andere Kreativschaffende machen es vor. Immer mehr Künstler, darunter internationale Musikgrößen wie Coldplay-Sänger Chris Martin, Gianna Nannini oder John Legend, streamen ihre Konzerte von zuhause aus in die Welt. Deutsche Popmusiker wie Johannes Oerding, Max Giesinger, Lotte und Nico Santos veranstalten am Sonntag aus der selbst auferlegten Corona-Quarantäne das "Wir bleiben zuhause"-Festival und Fans können per Instagram-Livestream dabei sein.
Oder die Macher der Plattform "dringeblieben.de", die derzeit regelmäßig Events, die eigentlich in gut gefüllten Clubs und Bars stattfinden, organisieren: neben Konzerten auch DJ-Sets, Theateraufführungen und sogar Cocktailkurse. Jüngst hat Star-Koch Jaime Oliver bekanntgegeben, einfache Kochrezepte für die Selbstisolation bereitzustellen. Not macht erfinderisch – eine Erkenntnis, die das Coronavirus als eine der wenigen positiven Nebeneffekte in die Welt bringen könnte.
- Telefoninterview mit Fynn Kliemann
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