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Zum journalistischen Leitbild von t-online.Dagmar Berghoff "Da klingelten bei mir alle Alarmglocken"
Keine Anrede mehr bei der Begrüßung, Moderationen im Stehen und zu viel gesprochene Sprache: Diese Neuerungen ihrer alten Wirkungsstätte gefallen Dagmar Berghoff nicht. Ein Gespräch mit "Miss Tagesschau".
Vor 25 Jahren beendete sie ihre Karriere als Nachrichtensprecherin: Am 31. Dezember 1999 sprach Dagmar Berghoff zum allerletzten Mal eine "Tagesschau"-Ausgabe. Als erste Frau der wohl bekanntesten Nachrichtensendung Deutschlands schrieb sie Fernsehgeschichte: Dagmar Berghoff leistete 1976 in einer männerdominierten Branche Pionierarbeit und wurde zur Wegbereiterin vieler Frauen vor der Kamera. 23 Jahre lang war sie "Miss Tagesschau" und wurde unter anderem mit der Goldenen Kamera und einem Bambi ausgezeichnet.
Wohl auch weil sie das Ende ihrer Berufslaufbahn selbst bestimmt hatte, ist die gebürtige Berlinerin mit sich völlig im Reinen. Als t-online mit ihr zwischen einer Weihnachtslesung und anderen Termin spricht, zeichnet sich das Bild einer sehr scharfsinnigen, präsenten und wachen 81-Jährigen. Anders als viele andere prominente Interviewpartner, die bloß nicht anecken möchten und deswegen jedes Wort mühselig wählen, sagt Dagmar Berghoff, was sie denkt: unverblümt und ehrlich.
Im Interview mit t-online kritisiert sie die fehlende Anrede zu Beginn jeder "Tagesschau"-Ausgabe, sinniert über Thomas Gottschalk und erinnert sich an den steinigen Weg als erste Nachrichtensprecherin in der ARD.
t-online: Frau Berghoff, am 31. Dezember jährt sich Ihr Ende bei der "Tagesschau" zum 25. Mal. Welche Gefühle haben Sie dabei?
Dagmar Berghoff: Das hat mich dann doch überrascht, weil ich gar nicht daran gedacht habe, dass das schon 25 Jahre her ist. Den Schritt habe ich aber nie bereut, auch weil ich mich ja selbst dazu entschieden hatte. Mein Mann sagte irgendwann mal: "Du hast ja nie Zeit." Da klingelten bei mir alle Alarmglocken. Außerdem habe ich den Zeitpunkt sehr genau gewählt: Ich ging zum Ende des Jahrzehnts, des Jahrhunderts und des Jahrtausends.
Warum konnten Sie dann scheinbar so gut loslassen? Anderen wie beispielsweise Thomas Gottschalk fällt das offenbar sehr schwer ...
Ich bin damals freiwillig gegangen, das war bei ihm möglicherweise anders. Ich verstehe diese Verbitterung bei Herrn Gottschalk nicht, weil er so ein gutes Leben gehabt hat – und immer noch hat mit seiner neuen Frau. Er hat genug Geld, Zeit und ist gesund. Er sollte einfach schöne Reisen unternehmen. Scheinbar war "Wetten, dass..?" sein einziger Lebensinhalt. Wenn sich alles um den Beruf dreht, ist es schwer, das alles aufzugeben.
Wie gut können Sie von Ihrer Rente leben?
Ich musste privat vorsorgen und habe mich um meine Rente selbst gekümmert. Vom NDR erhalte ich keine Rente, weil ich als "Tagesschau"-Sprecherin als Freie gearbeitet habe. Glücklicherweise hat man mir sehr früh dazu geraten, in eine Pensionskasse für freie Mitarbeiter einzuzahlen. Da war ich noch nicht mal 30 Jahre alt und hatte wenig Interesse an diesem Thema. Heute bin ich dankbar dafür und kann gut von meiner Rente leben.
Wie wirkt die Anmutung der "Tagesschau" heute nach 25 Jahren auf Sie?
Vor etwa einem halben Jahr wurde ich ins "Tagesschau"-Studio eingeladen. Das sieht mittlerweile wie eine Raumstation aus. Mir wurde alles geduldig erklärt, aber ich habe nicht verstanden, wie das nun alles funktioniert.
Können Sie die "Tagesschau" heute wertfrei gucken? Sie blicken doch bestimmt ganz anders auf die Sendung als eine übliche Zuschauerin?
Eigentlich habe ich da schon einen gesunden Abstand. Ich wundere mich nur manchmal über Ausdrücke, die in den Meldungen verwendet werden. Vor einiger Zeit war von "klauen" die Rede. Das ist kein Wort, das man normalerweise in der "Tagesschau" benutzen würde. Der gehobenere und seriösere Ausdruck wäre "stehlen".
Das hat sicherlich damit zu tun, dass man sich laut NDR bei der "Tagesschau" zunehmend am gesprochenen Wort statt an formeller Schriftsprache orientieren möchte. Dazu passt, dass man seit Kurzem auf die traditionelle Anrede "Guten Abend, meine Damen und Herren" verzichtet. Damit ist man bei der Begrüßung nun genderneutral. Wie denken Sie darüber?
Das finde ich ganz furchtbar, weil es nicht verbindlich genug ist und sehr unpersönlich wirkt. Mit der alten Anrede hat man sich direkt an die Zuschauerinnen und Zuschauer gerichtet und war einladend. Das fehlt mir sehr und ich vermisse es. Darüber hinaus kann ich mir nicht vorstellen, dass sich jemand von "meine Damen und Herren" wirklich ausgegrenzt fühlt.
Welche anderen Neuerungen bei der "Tagesschau" gefallen Ihnen und welche nicht?
Das Stehen der Sprecher zu Beginn der "Tagesschau" gefällt mir nicht. Ich weiß auch nicht, was das bringen soll. Vielleicht Lockerheit? Das finde ich überflüssig. Gut finde ich, dass die Sprecher mittlerweile auch mal Interviews während der Sendung führen können. Bei mir war das damals noch sehr starr und ein reines Vorlesen der Meldungen.
Sie waren die erste Sprecherin, die diskret, aber sichtbar Gefühle in die "Tagesschau" gebracht hat.
Von meinen Kollegen Karl-Heinz Köpcke und Werner Veigel war gewünscht, dass man die Meldungen, waren sie noch so traurig, geradeaus und ganz ohne Gefühl spricht. Da habe ich dann gesagt: "Nein, das mache ich nicht. So wie ich betroffen bin, wenn ich die Meldung lese, sind es auch die Zuschauer." Das fand ich menschlicher.
Also haben Sie sich darüber hinweggesetzt?
Ich habe es einfach gemacht. Man darf und muss die Meldung in seiner Stimme mitfühlen lassen. Man kann auch kurz den Blick senken, anstatt starr in die Kamera zu schauen, oder harrt für eine Nanosekunde aus, um das Gesprochene nachklingen zu lassen. Mir war immer klar, dass man politische Meldungen so nicht vorliest, aber bei traurigen oder auch schönen Nachrichten gehörte das für mich dazu.
Wie schwer war es anfänglich für Sie mit Chefsprecher Karl-Heinz Köpcke?
Er wurde gezwungen, eine Frau als Sprecherin zu nehmen, weil die ARD das so wollte. Dass ich dann entgegen der Tradition gleich mit der dritten Sendung schon die große 20.00-Uhr-Ausgabe gesprochen habe, hat ihm auch nicht gefallen. Für ihn war es sehr schwierig, dass eine Frau so schnell so berühmt wurde wie er.
Wie groß waren seine Vorbehalte Ihnen gegenüber?
Köpcke meinte, eine Frau könne keine Nachrichten sprechen. Er war überzeugt davon, dass eine Frau nicht über eine unglückliche Meldung berichten kann, ohne sofort in Tränen auszubrechen. "Wirtschaft? Davon hat sie doch keine Ahnung! Sport? Da sagt sie doch sicherlich 'Schalke 07'!" Dann merkte er: Die kann das ja doch! Das war sehr schwer für ihn zu akzeptieren.
Aber anfänglich standen Sie doch sicherlich unter Druck ...
Ich habe einfach meinen Job gemacht, so gut wie möglich – denn ich dachte die ganze Zeit: Ich möchte jetzt auch beweisen, dass Frauen diesen Beruf genauso gut, wenn nicht sogar besser machen. Aber das erste halbe Jahr nach meinem Start bei der "Tagesschau" war schon hart, weil ich im Hinterkopf hatte: Wenn ich vor lauter Stress in Tränen ausbrechen würde, hätten sich viele bestätigt gefühlt und dieser Beruf wäre Frauen über Jahre hinweg vielleicht verwehrt geblieben.
- Interview mit Dagmar Berghoff
- bild.de: "'Tagesschau' streicht 'Damen und Herren'" (kostenpflichtig)