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Zum journalistischen Leitbild von t-online.Iris Berben und das Gendern "Das ist das Gegenteil von dem, was wir wollen"
Hitzige Diskussionen um die deutsche Sprache machten in diesem Jahr auch vor der Filmbranche nicht Halt. Iris Berben bezieht bei t-online Stellung zum Gendern.
In diesem Jahr war es Senta Berger, die mit ihrer Meinung zum Gendern Diskussionen in der Filmbranche auslöste. "Ich habe den Eindruck – er mag falsch sein und meinem Alter entsprechen –, dass in der Filmakademie 'gegendert' wird, weil man das jetzt eben so macht. Ob es inhaltlich richtig ist, wage ich zu bezweifeln", sagte die 82-Jährige in einem Interview mit der "Neuen Osnabrücker Zeitung".
Tatsächlich findet sich bei der Deutschen Filmakademie, der wichtigsten Interessenvertretung der Branche hierzulande, ein sogenannter "Code of Conduct". Ein Verhaltenskodex, der Regeln für den Umgang von Filmschaffenden miteinander vorschreibt – und dafür das Gendern als Sprachform nutzt. Iris Berben war lange Zeit Präsidentin der Akademie, erst von 2010 bis 2013 gemeinsam mit Bruno Ganz, dann bis 2019 allein. t-online hat mit ihr über das Gendern gesprochen.
"Das ist der Ursprung des Genderns"
"Warum ist das Gendern wichtig geworden?", fragt Berben und liefert die Antwort gleich selbst: "Es geht darum, ausgegrenzte, benachteiligte Menschen in unsere Gesellschaft zu integrieren. Egal ob Religion, sexuelle Ausprägung, Hautfarbe, Geschlecht: Alle gehören dazu. Das ist der Ursprung des Genderns."
Genau dieses Ziel sehe Iris Berben mehr und mehr in Gefahr. In ihrem neuesten Film, dem Roadmovie "791 KM", spielt Joachim Król neben ihr die Inkarnation des "alten, weißen Mannes", also jenen Typus, der hierzulande immer wieder Einzug in eine Art Kulturkampf erhält. "Das entsetzliche Wort, das auch Joachim Król in seiner Rolle sagt, lautet: Cancel Culture. Das ist etwas ganz Gefährliches."
Was Iris Berben damit sagen will: Heutzutage müsse man damit rechnen, gecancelt zu werden, wenn man die falsche Sprache benutzt. "Der Inhalt dessen, warum wir Gendern wollten, ist die Zusammenführung gewesen. Bei dieser oft arrogant daherkommenden Maßregelung, die folgt, wenn man nicht gendert, verlieren wir aus den Augen, was der Grund war, wofür wir es machen. Und das halte ich für nicht richtig", so die 73 Jahre alte Schauspielerin deutlich.
Andersherum empfinde ich es auch als ein Ausgrenzen, wenn man diese Menschen, denen das Gendern schwerfällt, verurteilt.
Iris Berben
"Sprache verändert sich, Sprache hat sich immer verändert", ist sich Berben sicher und ergänzt: "Die Generation der 20- bis 25-Jährigen denkt gar nicht mehr darüber nach. Die werden gendern, die werden so groß werden, und wir, die wir noch aus einer anderen Generation kommen, tun sich schwerer damit. Dabei hat das für uns nie Ausgrenzung bedeutet, das Nicht-Gendern."
Iris Berben werde das Gendern "auch nicht hinkriegen"
Ihren Umkehrschluss will sie deshalb noch einmal deutlich machen. "Andersherum empfinde ich es auch als ein Ausgrenzen, wenn man diese Menschen, denen das Gendern schwerfällt, verurteilt. Das ist das Gegenteil von dem, was wir wollen." Das Zusammenführen, das Betonen marginalisierter Gruppen rücke damit in den Hintergrund. Und tatsächlich ist das in den Diskussionen um Sprachsensibilität immer wieder zu beobachten: Am Ende geht es nicht mehr um Gerechtigkeit, um das Gleichstellen der Geschlechter. Ob T-Shirt-Aufdrucke von Mario Barth oder Verbote von Markus Söder: Das Gendern dient zur Provokation und lässt kaum noch eine sachliche Diskussion zu.
Manchmal wird das Gendern in einer Weise vorgenommen, die buchstäblich bevormundend auf mich wirkt.
Iris Berben
Deshalb sagt Iris Berben: "Wir müssen mit ein bisschen mehr Lässigkeit, mit ein bisschen mehr Verständnis, dass jemand das vielleicht noch nicht in der Perfektion beherrscht, an die Sache herangehen. Ich persönlich werde auch nicht hinkriegen, Freund*innen zu sagen. Ich werde sagen: meine Freunde und Freundinnen."
Für sie persönlich gebe es einen einfachen Grund für diese Entscheidung: Der Klang der Sprache verändere sich dadurch ihrer Ansicht nach zum Schlechteren. "Das tue ich auch, weil ich die deutsche Sprache liebe, und beim Gendern holpert es für mich, es stört mich auch beim Lesen. Ich liebe Prosa, ich liebe Sprache, ich gehe mit Sprache um und wie gesagt, Sprache verändert sich. Aber manchmal wird das Gendern in einer Weise vorgenommen, die buchstäblich bevormundend auf mich wirkt."
Zahlen zeigen, dass das Gendern von einer Minderheit in Deutschland praktiziert wird. Mehr noch: Eine klare Mehrheit im Land lehnt geschlechtergerechte Sprachformulierungen ab. Rund drei Viertel sind es insgesamt: Das hat im September dieses Jahres eine repräsentative Umfrage des Meinungsforschungsinstituts Civey für t-online ergeben. Iris Berben zieht daher das Fazit: "Ich bin auch gerne radikal, aber wenn die Mehrheit der Menschen in unserem Land so nicht sprechen kann und will, dann ist es kontraproduktiv, immer mit dem Zeigefinger auf sie zu zeigen."
Ihr Lösungsweg sieht so aus: "Damit wir die Menschen, die wir für eine Veränderung zum Besseren brauchen, auch mitnehmen können, sollten wir behutsam vorgehen und Stück für Stück eine neue Sprachrealität schaffen. Dann schaffen wir es auch wieder, daran zu erinnern, warum wir das überhaupt machen: aus Gründen der Gerechtigkeit." Es wäre eine sachliche Herangehensweise an ein Thema, das heutzutage fast ausschließlich mit Schaum vor dem Mund diskutiert wird.
- Interview mit Iris Berben
- dfa.de: "Code of Conduct"