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Zum journalistischen Leitbild von t-online.Iris Berben "Das hätte ich niemals gedacht"
Iris Berben will auch mit 73 Jahren noch eine Rebellin sein. Ein Interview über Protest, den Zustand Deutschlands und "hysterisches Geschrei".
Sie geht keinem Thema aus dem Weg, sei es noch so kontrovers: Iris Berben. Die Schauspielerin neigt nicht zur Schaumschlägerei oder zum Reden um den sprichwörtlichen heißen Brei herum. Sie ist klar und bestimmt, dabei aber differenziert und nachdenklich. Auch ihre eigenen Einstellungen und Werte hinterfragt und reflektiert sie.
Ihr neuester Film "791 km", der kommende Woche in die Kinos kommt, bildet einen guten Aufhänger, um über die viel diskutierten Themen unserer Zeit zu sprechen: über politische Korrektheit, Proteste der "Letzten Generation", die Unversöhnlichkeit unserer Gesellschaft und die Frage, wie es um die Demokratie in Deutschland bestellt ist. Iris Berben, so viel sei verraten, lässt sich dabei nicht aus der Ruhe bringen – und klingt dennoch besorgt.
t-online: Frau Berben, mangelt es unserer Gesellschaft an dem Willen, einander zuzuhören?
Iris Berben: Wir leben in einer Gesellschaft, die extrem aufgehitzt ist. Daran ist auch das Smartphone schuld. Wir begeben uns nicht mehr miteinander ins Gespräch, sondern lassen Diskussionen anonym stattfinden – meist mit der Prämisse, um jeden Preis recht haben zu wollen.
Was genau ist daran neu?
Das Leben besteht auch daraus, etwas aus- und durchzuhalten – und dazu gehören auch Meinungsverschiedenheiten. Unterschiedliche Meinungen zu respektieren, ist eine Grundvoraussetzung für ein gutes Gespräch. Denn nur wer zuhört und versteht, kann sein Gegenüber von seiner Überlegung überzeugen. Das ist das, was eine Gesellschaft ausmacht, und das verlieren wir mehr und mehr durch die anonyme Kommunikation im Internet.
Weil wir nur noch in den Echokammern der sozialen Medien unsere eigenen Meinungen widerhallen hören und nicht mehr in den persönlichen Austausch treten?
Im Grunde sind wir alle vernetzt, alle miteinander verbunden. Aber das Verbindende macht einsam. Das ist das Merkwürdige, der Widerspruch: Menschen fühlen sich alleingelassen, nicht mehr mitgenommen. Sie sind nicht fähig, den Kontext einer Situation, einer Entscheidung zu sehen. Viele möchten einfache Antworten auf sehr, sehr komplizierte Fragen haben und ich glaube, das ist alles ein Resultat dessen, warum Menschen entweder vereinsamen oder aggressiv werden.
Aggressiv?
Das Reden wird immer lauter, es schwillt regelmäßig zu hysterischem Geschrei an. Ein ergebnisoffener Austausch wird kaum noch praktiziert. Dabei ist es wichtig und gesund für eine Gesellschaft, wenn wir miteinander reden und einander zuhören.
Das kann in diesem Land nun wirklich niemand mehr wollen.
Iris Berben
Dann tun wir das doch hier. Was hilft gegen diese Erkenntnis? Gegen den lähmenden Zustand der sich unversöhnlich gegenüberstehenden Gruppen?
Es würde damit anfangen, dass man jedem auch die Bildung ermöglichen sollte, Zusammenhänge zu sehen und Verständnis dafür aufzubringen, dass Politik immer nur der kleinste gemeinsame Nenner sein kann. Das ist Demokratie, das gehört dazu. Die Alternative dazu sind Despoten, die dir sagen, was du zu tun hast – und das kann in diesem Land nun wirklich niemand mehr wollen.
Genau das erzählt Ihr neuester Film, "791 km", auf der Metaebene: Fünf sehr unterschiedliche Menschen kommen zusammen und überwinden in einem kammerspielartigen Roadmovie ihre Meinungsverschiedenheiten …
Das ist die Botschaft des Films, ja: Lasst uns miteinander reden. Dann erkennen und verstehen wir Dinge und Zusammenhänge noch besser.
Wann haben Sie das zuletzt auch privat erlebt, dass Sie sich für solch einen Austausch Zeit genommen haben?
Ich führe immer wieder journalistische Gespräche wie dieses hier. Dort werden mir Fragen gestellt und denen stelle ich mich, daraus entsteht dann ein Diskurs. Solche Möglichkeiten versuche ich zu nutzen. Aber natürlich geschieht mir das auch im kleinsten Kreis, im Privatleben. Politisch zu sein, ist etwas Privates. Und Privates ist politisch.
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Ein Credo aus den Siebzigern, geprägt von der linksgerichteten Sponti-Bewegung.
Wir alle kennen diesen Satz und wissen, dass wir auch im engsten Familienkreis politisch sein können: Man denke nur an die Care-Arbeit und daran, wie Mann und Frau sich die Verpflichtungen zu Hause aufteilen.
Sie sind sozialisiert und polarisiert worden in den Achtundsechzigern. Wie prägt Sie das noch heute?
Ich weiß, wie weit wir gegangen sind, was wir damals gemacht haben. Ich will Dinge verstehen. Ich verschließe mich neuen Entwicklungen nicht, ich höre neuen Generationen zu. In meinem Beruf ist das normal. Ich arbeite mit ganz vielen jungen Kolleginnen und Kollegen zusammen, Unterschiede sind da an der Tagesordnung. Junge Kollegen gehen heute anders um, mit Sprache, mit Gendern, mit so vielen Dingen, mit einer so großen Selbstverständlichkeit.
In "791 km" ist es die Rolle von Joachim Król, die sich Veränderungen verweigert, im Gestern lebt und das Klischee des alten weißen Mannes erfüllt …
Ja, und er macht das grandios, weil er einen Nerv trifft. Dieses Gefühl von: "Veränderung? Will ich nicht. Es war doch alles gut bis jetzt." Diese Einstellung verkörpert er in dem Film. Dabei geht es vor allem auch um die Angst, nicht mithalten zu können.
Kennen Sie die auch?
Ich bin ein angstfreier Mensch und ich habe Lust auf alles Neue, auch auf das, was ich nicht verstehe. Dann hake ich nach. Aber das kann man nicht einfordern. Wir können nur versuchen, das immer wieder anzustoßen. Leben ist Arbeit.
Die 68er prägen Sie bis heute. Sympathisieren Sie vielleicht auch deshalb mit radikaleren Ansätzen wie denen von der "Letzten Generation"?
Natürlich waren wir damals genauso radikal. Nur, ich unterscheide das heute. Ich bin da auf der Seite von "Fridays for Future". Was die "Letzte Generation" mit unserer Gesellschaft macht, wirkt auf mich kontraproduktiv. Weil sie mit ihren Methoden die Menschen, die sie braucht, gegen sich aufbringt. Also ja, auch ich bin ungeduldig und würde gerne all die Dinge schneller erledigen. Wir wissen aber, wir werden die Welt nicht verändern, wenn wir dafür keine Mehrheiten finden.
Da spricht aber eher die Lebenserfahrung aus Ihnen.
Klar, ich erinnere mich an meine eigene Hitzigkeit und an all die Dinge, die wir auch illegal gemacht haben, selbstverständlich. Nur heute würde ich das anders anpacken. Worum geht es denn? Um diese große Frage des Klimas, die der Großteil der Menschheit verstanden hat. Aber du merkst, es gibt Menschen, die in der Umsetzung dieses Gedankens ihre größten Ängste haben. Weil sie nicht wissen, ob sie finanziell mithalten können, ob sie alles richtig machen. Diese Menschen sollte man weniger verstören als versuchen, sie umzustimmen.
Sie finden also, dass die "Letzte Generation" eine Protestform gewählt hat, die eher dazu führt, dass sich die Fronten verhärten?
Absolut, das denke ich. Es bringt uns eher weg voneinander. Dabei ist genau das Gegenteil gemeint: Dass man die Menschen in einen Dialog zwingen will. Dafür würde ich einen anderen Weg suchen, einen gemäßigteren, wie es zum Beispiel "Fridays for Future" tut.
Würden Sie sich trotzdem manchmal noch als rebellisch bezeichnen?
Ich hoffe, ich habe das nie abgelegt. Aber natürlich tobte früher eine größere Ungeduld in mir. Ich komme aus einer Nachkriegsgeneration. Ich wollte eine neue, eine andere, eine bessere, eine gerechtere Welt haben und nun bin ich in der Zwischenzeit 73 und ich merke, manche Dinge sind uns gelungen, aber andere Entwicklungen hätte ich niemals so kommen sehen …
Welche sind das?
Ich hätte niemals gedacht, dass wir noch mal so sehr die Demokratie verteidigen müssen. Aber auch das muss man lernen: Dinge, von denen man dachte, sie seien in trockenen Tüchern, geraten ins Wanken. Die Gesellschaft muss immer wieder an die Werte der Demokratie erinnert werden – egal wie selbstverständlich sie auch wirken.
Ich wünsche mir generell mehr Aufstand.
Iris Berben
Bereitet Ihnen das Sorge, dass so etwas Grundsätzliches wie unsere Demokratie ins Wanken kommen kann?
Ja, schon. Durch die multiplen Herausforderungen unserer Zeit – von Klimakrise, über Krieg und Inflation bis künstliche Intelligenz – bekommen Menschenfänger Auftrieb. Das erinnert an düstere Zeiten. Ich versuche auf meinen Wegen, dagegen zu kämpfen. Immer wieder zu betonen, wie wenig Lösungen die AfD anbietet, ist einer davon. Unsere Demokratie zu verteidigen und den Rechten nicht das Feld zu überlassen, ist ein anderer.
Sollten noch mehr Prominente ihre Reichweite nutzen, um auf diese Missstände aufmerksam zu machen?
Jeder sollte für sich einen Weg finden. Ich wünsche mir generell mehr Aufstand – nicht nur in Sachen Klimafragen. Denn wo sind andere Protestformen fernab von "Letzte Generation" und Co.? Viele bemerken gar nicht, wie ein Rechtsruck unsere Demokratie unterläuft. Wenn Rechte mehr Macht gewinnen, braucht man über die Klimafrage gar nicht mehr nachzudenken, weil das Klima dort gar nicht auf der Agenda steht. Man muss leider Gottes so viel gerade im Blick haben, das ist anstrengend.
Zum Glück gibt es dann Filme wie "791 km", der mit Mitteln der Kunst aufrüttelt und auf leichtfüßige Art schwerwiegende Probleme behandelt.
Ja, die Macht solcher Bilder und Dialoge sollten wir nicht unterschätzen. Lasst uns einfach mehr miteinander reden. Wenn wir das wirklich tun, wie es die Figuren in "791 km" machen, dann heulen und lachen wir, lernen dazu und kommen voran. Dieses menschliche Miteinander im Film geht einem wahnsinnig nah und wie dort Klischees angerissen und dann gebrochen werden, zeigt, wie gut es ist, lernwillig und offen zu bleiben. Das ist eine kluge Haltung für einen Film – aber vor allem auch eine kluge Haltung im Leben.
In dem Film "791 KM" (Kinostart 14.12.2023) fahren fünf fremde Menschen mit dem Taxi von München nach Hamburg, weil die Bahn wegen eines Sturms ausfällt. Auf der Fahrt entspinnen sich allerlei kontroverse Diskussionen über die aktuellen Themen unserer Zeit, so wie auch in diesem Interview. Und doch finden die sehr unterschiedlichen Charaktere, gespielt von Iris Berben, Joachim Król, Nilam Farooq, Ben Münchow und Lena Urzendowsky, einen Weg, miteinander umzugehen.
- Interview mit Iris Berben