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Zum journalistischen Leitbild von t-online.Krimi-Star über bestimmte Rollen "Habe dann gemerkt, dass es mir schlecht ging"
Diversität, Gendern, der Kampf gegen Rollenklischees – Themen, die immer mehr Aufmerksamkeit bekommen. Allerdings nicht genug, wenn es nach Schauspielerin Kristin Suckow geht.
Die neueste Rolle von Kristin Suckow ist die der Kriminalpsychologin Annett Schuster. Am Donnerstagabend löst diese gemeinsam mit ihrem Team einen spannenden ersten Fall in der Krimireihe "Tod am Rennsteig" (9. März, 20.15 Uhr im Ersten). Die Schauspielerin ist angetan, denn die Figurenkonstellation ist hier anders als sonst häufig.
"Mir gefällt, dass es viele starke Frauenfiguren gibt und einen Mann, und dass die Frauen untereinander nicht konkurrieren, sondern sich auf Augenhöhe begegnen – ganz ohne: Es kann nur eine geben", erklärt sie. Eine auf den ersten Blick sehr gleichberechtigte Produktion. Doch das ist längst nicht immer so.
t-online: Gleichberechtigung im Film: Wie ist es darum in den 2020er-Jahren Ihrer Ansicht nach bestellt?
Kristin Suckow: Wenn ich mir die ganzen Filmplakate ansehe, würde ich sagen: nicht so gut. Männer stehen im Mittelpunkt und eine Frau spielt auch irgendwie eine Rolle. Warum ist es immer noch so? Warum werden Filme immer noch nach dem "Schlumpfine-Effekt" besetzt, wie Carolin Kebekus es in ihrem Buch "Es kann nur eine geben" nennt? Geht es um einen "normalen" Plot, ist es – leider – erst mal ein Mann, an den wir denken. Und wenn eine Frau eine Hauptrolle spielt, dann ist es eine Geschichte über Frauenthemen oder die "starke Frau". Man sagt doch auch nicht "starker Mann". Mich macht das wütend, weil wir noch so weit von einer echten Gleichberechtigung entfernt sind.
Es gibt einen Test, um einen feministischen Film auszumachen, richtig?
Ja, den Bechdel-Test.
Erklären Sie kurz, wie der aussieht?
Es muss mindestens zwei eigenständige Frauenfiguren geben, mit Namen genannt, die sich miteinander unterhalten, über etwas anderes als einen Mann. Immer mehr Filme bestehen den Bechdel-Test inzwischen.
Aber dann kann es doch nicht so schlecht um die Gleichberechtigung stehen, oder?
Doch, denn es reicht noch lange nicht. Ich will jetzt keinen Film schlechtmachen, aber gerade lief eine Produktion im Fernsehen, in der ich eine Nonne spiele. Neben mir gibt es fünf weitere Hauptdarstellerinnen – und der Film besteht den Bechdel-Test nicht. Denn im Film gibt es keinen Dialog, in dem es nicht um die männliche Rolle geht oder um Gott, wenn man diesen als Mann zählt.
Mit dem Bechdel-Test im Hinterkopf schaut man Filme und Serien ganz anders …
Absolut. "Im Westen nichts Neues", unseren Oscar-Kandidaten, mag ich mir gar nicht anschauen. Natürlich sind es im Ersten Weltkrieg die Männer gewesen, die an der Front waren. Aber wir reproduzieren diese alten Bilder ständig in unserer Branche, obwohl wir die Chance hätten, auch solche Geschichten anders zu erzählen.
"Ich bekomme echt manchmal Bauchschmerzen, wenn ich solche Drehbücher lese."
Kristin Suckow
Machen Sie dann auch den Bechdel-Test, bevor Sie eine Rolle annehmen?
Der Test ist ja aus einem Spaß entstanden und nicht generalisiert zu betrachten. Aber natürlich versuche ich, Frauenfiguren zu spielen, die nicht stereotyp sind oder Rollenbilder reproduzieren. Ich bekomme echt manchmal Bauchschmerzen, wenn ich Drehbücher lese, in denen genau das der Fall ist. Ich habe solche Rollen schon angenommen und dann gemerkt, dass es mir beim Drehen schlecht ging. Gott sei Dank habe ich das Privileg, ein bisschen auswählen zu können. Das muss man sich aber erst mal leisten können als Schauspielerin. Ich habe wirklich Glück, Frauenfiguren spielen zu dürfen, die das überwinden und interessante, vielschichtige Aspekte haben.
Ist das auch in Romanzen möglich?
Ich habe 2022 "Einen Sommer in der Bretagne" gedreht und die Frauenfigur darin sehr gern gespielt. Aber in dem Film gab es eine Hochzeit, die Schauplatz für eine Handlung war. Ich habe dafür gekämpft, dass da zwei Männer heiraten. Das hat nicht geklappt. Was die Frauenfigur angeht, war der Film befriedigend, was den Rest angeht: na ja.
Was müsste sich noch ändern?
Grundsätzlich muss die Vielfalt im Film viel weiter gehen. Es geht nicht nur um Feminismus, sondern auch um andere diskriminierende Strukturen, um die Sichtbarkeit von queeren Menschen. Ein Prozent der Charaktere im deutschen Fernsehen ist queer, in der Gesellschaft sind es aber ungefähr elf Prozent. Da gibt es eine Riesenlücke. Wo sind die Menschen mit Behinderung und mit Migrationsgeschichte? Wir sind weit davon entfernt, die ganze Gesellschaft abzubilden. Wenn wir das nicht sehen, machen wir diese Menschen unsichtbar und erzählen von einer Gesellschaft ohne die marginalisierten Gruppen. Da ist auch im "Rennsteigkrimi" noch viel zu tun. Aber ich werde immer weiter dafür kämpfen.
Kristin Suckow (*1989)
Sie wurde in Königs Wusterhausen geboren und lebt in Berlin, hat eine Tanzausbildung und ein Schauspielstudium absolviert. 2019 spielte Suckow im ARD-Zweiteiler "Ottilie von Faber-Castell – Eine mutige Frau" die Titelrolle. 2023 war sie bereits im Dresdner "Tatort: Totes Herz" in einer Doppelrolle zu sehen.
Inwiefern haben Sie Mitspracherecht, wenn es um Fragen der Diversität geht?
Ich versuche den kleinen Hebel, den ich habe, zu betätigen und Einfluss auf die Drehbücher zu nehmen. Ich hoffe immer, dass ich über so etwas auf Augenhöhe reden kann. Manchmal klappt es, und manchmal klappt es nicht. Ich lehne aber auch aus diesen Gründen Drehbücher ab. Ich habe schon E-Mails an Castingagenturen und Produktionen geschrieben und erklärt, warum die Drehbücher meiner Meinung nach rassistisch und sexistisch sind und diskriminieren. Dann hoffe ich, dass das gelesen wird und sich vielleicht etwas ändert.
Und wenn bereits gedreht wird und Diskriminierung oder Rassismus aufkommen?
Auch im Prozess selbst spreche ich diese Themen mit der Regie und den Menschen hinter der Kamera an. Wenn diskriminierende Kommentare fallen, ist es wichtig, etwas dagegen zu sagen und nicht dazustehen, zu schlucken und das ungute Gefühl mit nach Hause zu nehmen. Mich betrifft das emotional. Ich bin auch im Netzwerk Inklusion von Pro Quote Film und versuche so hinter den Kulissen eine gewisse Arbeit zu leisten. Ich hoffe, je mehr Filme ich machen darf und je etablierter ich werde, desto mehr kann ich das beeinflussen.
Um diskriminierungsfrei zu schreiben und zu drehen, gibt es inzwischen sogenannte Sensitivity-Reader, die Drehbücher auf schädliche oder missverständliche Darstellungen hin überprüfen …
Genau. Denn nicht alle kennen sich mit den verschiedenen Formen von Diskriminierung aus. Das ist ein sehr komplexer Stoff. Aber es gibt Menschen, die das beruflich machen, und die Produktionen können diese ins Boot holen. Es ist eine Frage des Geldes und des Willens.
Inzwischen sieht man bei vielen Filmen im Abspann ein Gütesiegel für einen nachhaltigen Dreh. "Sensitivity-Check" wäre doch auch ein Label, mit dem sich Produktionen schmücken könnten.
Das wäre toll. Wir haben uns gerade die Filmförderstrukturen in England angeguckt, wo man gewisse Vielfältigkeitspunkte vorweisen muss, um überhaupt Geld für die Produktion zu bekommen. Da merkt man: Die wollen es wirklich. Da sind wir in Deutschland noch weit hinterher. So ein Gütesiegel wäre eine super Idee, aber angesetzt werden muss ganz oben, in der Politik.
Sie legen in Ihrer Sprache spürbar viel Wert auf das Gendern. Das ist ja nicht unumstritten. Spüren Sie auch Gegenwind?
Klar, gibt es Gegenwind. Menschen sagen beispielsweise: Sprich mal vernünftig. Aber da denke ich einfach, es ist vielleicht eine andere Generation, eine andere Bubble. Unterschiedliche Erfahrungen führen zu unterschiedlicher Sprache. Ich kann auch immer noch dazulernen. Gerade wenn es um das diverse Sprechen geht, mache ich immer wieder Fehler oder schaffe den Absprung nicht zum Gendern. Ich freue mich immer, Menschen zu treffen, die sich damit besser auskennen.
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Und wie gehen Sie damit um, wenn Sie fürs Gendern kritisiert werden?
Das ist mir wirklich egal. Da gehe ich mit dem Kopf durch die Wand. Ich darf reden, wie ich möchte. Ich zwinge niemandem das Gendern auf. Es gibt auch gute Argumente gegen Gendern. Aber für mich ist das Gendern das einzige Tool, das ich gerade benutzen kann, um diskriminierungsfrei und sensibel zu sprechen. Ob es das Ende der Fahnenstange ist, weiß ich nicht. Ich glaube, das ist ein Schritt auf etwas anderes hin. Ein Zwischenschritt vielleicht, den ich sehr gut finde. Ich mache das einfach.
- Interview mit Kristin Suckow
- Vorabsichtung: "Tod am Rennsteig: Auge um Auge"