Matthias Reim "Ich habe einen Haufen Kinder, die alle Geld wollen"
Matthias Reim kann auf über 25 Jahre Musikkarriere zurückblicken. Heute feiert die Schlagerikone ihren 60. Geburtstag. Im Gespräch mit t-online.de spricht der Musiker über seine Höhen und Tiefen, und wie schwer es ist, sich als Künstler über Wasser zu halten. (Das Interview erscheint in zwei Teilen).
In den Neunzigerjahren stürmte der blauäugige Schlagerbarde mit der blonden Prachtmähne die deutschen Charts. Doch so schnell es bergauf ging, so schnell ging es für Matthias Reim auch wieder bergab. Lange war der "Verdammt, ich lieb' dich"-Interpret das Sorgenkind der Schlagerwelt: ein Millionen-Hit, ein Pleite-Skandal, mehrere gescheiterte Ehen und sechs Kinder von fünf Frauen.
Das Interview führten Ricarda Heil und Florian Wichert.
t-online.de: Alles Gute zum 60. Geburtstag, Herr Reim! Sie können auf ein turbulentes Leben zurückblicken...
Matthias Reim: Ja. Eigentlich habe ich schon sechs, sieben Leben geführt. Ich habe in Amerika gelebt, in Kanada, auf Ibiza, auf Mallorca, in Berlin, in Köln, jetzt wohne ich am Bodensee. Ich bin froh, dass es so viele Veränderungen gab. Es ist ein bisschen ruhiger geworden, aber es war nie langweilig. Ich kann aus diesen Leben erzählen. Musikalisch. Das gibt immer wieder Stoff.
Geplant war das Leben in der Form nicht?
Es ist immer wieder einfach so gekommen, mit anderen Lebensumständen. Oder mit einer Pleite, bei der du plötzlich denkst: "Was jetzt?" Oder wenn Beziehungen in den Arsch gehen. Du hast ein Leben geführt, das zu Ende geht. "Was machst du jetzt? Wohin gehst du?" Ob es danach besser wird, weißt du nicht. Das weißt du erst später.
Für die Musik ist so ein Auf und Ab sicherlich gut.
Ja, für die Musik war es immer gut. Du wirst im Kopf nicht müde, du schläfst nicht ein. Wenn du mal wieder gar keine Kohle hast, hast du einen Motor und weißt, du musst wieder hochkommen. Ich habe einen Haufen Kinder, die alle Geld wollen. Also: "Gib Feuer!" Und dann habe ich immer Feuer reingegeben. Dass das immer so aufgegangen ist, dafür bin ich sehr dankbar. Ich habe auch Glück gehabt.
Wie schwer ist es, sich als Künstler über Wasser zu halten?
Ich habe zwei Kinder, die Musiker werden wollen. Ich sage denen immer: "Das sieht bei mir so einfach aus, oder bei Michelle. Aber das nochmal hinzubekommen, was deine Mutter geschafft hat oder ich, das ist ein ganz, ganz langer und ganz harter Weg. Da brauchst du Nerven – viel Vergnügen. Und vor allem: Wovon willst du am Anfang leben?" "Von dir, Papa", heißt es. Dann sage ich: "Nee, ich helfe dir im Notfall. Aber das ist keine Grundvoraussetzung, um zu sagen: 'Ich warte, bis ich berühmt werde und lasse bis dahin meine Wohnung und mein Auto von Papa und Mama bezahlen.'"
Also raten Sie ihren Kindern davon ab, Musiker zu werden?
Du brauchst einfach einen Plan B, das hat mein Vater zu mir auch gesagt. Es ist heute noch schwieriger geworden. Die Gefahr, eine Eintagsfliege zu werden, ist heute noch viel, viel größer als vor 20, 30 Jahren. Das möchte ich meinen Kindern ersparen.
Was war Ihr Plan B?
Studienrat. Das habe ich studiert, eine Zeit lang durchgezogen – und dann kam "Verdammt, ich lieb dich". Dann war klar, was ich mache. So viel Geld kann ich als Studienrat nie verdienen. Ich wusste da natürlich noch nicht, dass ich das ganze Geld wieder verlieren werde, aber als Studienrat hätte ich es nicht wieder reinbekommen. Mit Musik habe ich es hinbekommen.
Muss man heutzutage in der Musikbranche mit noch mehr Tiefen rechnen – selbst wenn man ein Star wie Helene Fischer ist?
Helene Fischer braucht sich keine Sorgen machen – zumindest nicht um Geld. Wenn du aber ultrahoch fliegst, dann geht es immer irgendwann runter, damit muss man klar kommen. Psychisch ist das nicht einfach.
Warum?
Wolfgang Petry zum Beispiel. In den Neunzigern sind 80.000 Leute zu dem ins Stadion gerannt – und dann war's vorbei. Er hat gesagt: "Ich höre auf." Weil er den Niedergang voraussehen konnte. Ich war bei "Verdammt, ich lieb dich" zu jung, um schon aufzuhören. Ein Hit reicht nicht für ein ganzes Leben. Ich wollte aber auch weitermachen, weil es mein Lebensinhalt war.
Wie gehen Sie damit um, wenn es nach unten geht?
Ich habe es erlebt. Es kamen 15.000 oder 20.000 Leute in die Halle und zehn Jahre später kamen nur noch 13 – ohne Tausend dahinter. 13! Am Anfang habe ich zweieinhalb Millionen Platten im Jahr verkauft, dann war ich plötzlich bei 10.000. Das sind nicht mal 0,01 Prozent davon. Da kannst du nur tief durchatmen und wieder von vorne anfangen. Das habe ich gemacht. Von Jahr zu Jahr wurden es wieder mehr. Erst kamen 600 bis 700 Leute, zwei Jahre später 1500, dann 3000 – jetzt sind wir bei 10.000 bis 15.000 in Berlin. Im Moment geht es dauernd nach oben.
Wie kann man einen Künstler auf einen Absturz vorbereiten?
Gar nicht! Mich hat auch niemand darauf vorbereitet. Keiner weiß, was kommt, gerade wenn du anfängst. Heute brauche ich mir darüber überhaupt keine Sorgen mehr zu machen. Selbst wenn ich nur mit "Verdammt, ich lieb dich" auf die Bühne gehen würde, springen alle auf, singen und feiern mit. Das ist ein Geschenk und das bleibt. So lange ich lebe, wird das die Zugabe bleiben. Ich muss nicht ganz in Weiß mit einem Rosenstrauß raus auf die Bühne, sondern mit einem geilen Rocksong.
Aber die Karriere nimmt nicht bei allen, die abgestürzt sind, nochmal einen so positiven Verlauf.
Du kannst daran zerbrechen. Du musst aufpassen, wenn du unterwegs bist. Du musst aufpassen, auf die Versuchungen, wenn du dir deinen Hotelfrust wegsaufen willst. Wenn du damit anfängst, geht's auch bergab. Du musst dich unter Kontrolle haben. Du musst mit Einsamkeit umgehen können, mit Leere, mit Warten. Das ist das Schlimmste in unserem Beruf, dieses Warten.
Wie man sich fühlt, wenn man 16 Stunden in einem Hotel auf den Auftritt wartet, wo sich Matthias Reim mit 80 Jahren sieht und die Wahrheit über seine Frauen-Geschichten – all das lesen Sie morgen in Teil 2 des Interviews.