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Tokio Hotel: "In Deutschland ist es für Bill und Tom nach wie vor schwer"


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Tokio Hotel
"Wir hatten einfach keine andere Wahl"

InterviewVon Sebastian Berning

26.12.2022Lesedauer: 5 Min.
Tokio Hotel 2022 (v.l.): Georg Listing, Gustav Schäfer, Bill Kaulitz und Tom Kaulitz.Vergrößern des Bildes
Tokio Hotel 2022 (v.l.): Georg Listing, Gustav Schäfer, Bill Kaulitz und Tom Kaulitz. (Quelle: Lado Alexi)
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Kaum eine deutsche Band hat so polarisiert wie Tokio Hotel. Tom Kaulitz und Georg Listing blicken im t-online-Interview auf ihre Jugend zurück und erzählen von einem Leben zwischen Hype und Hysterie.

Mit der Single "Durch den Monsun" fing 2005 alles an. Aus den Zwillingsbrüdern Tom und Bill Kaulitz sowie ihren beiden Freunden Georg Listing und Gustav Schäfer wurden über Nacht Teenager-Rockstars.

17 Jahre später sind die vier zwar in alle Himmelsrichtungen verteilt – so wohnen die Kaulitz-Brüder in Los Angeles, Georg Listing in Berlin und Gustav Schäfer weiterhin im heimatlichen Magdeburg. Doch die Band existiert noch und ist wieder sehr erfolgreich: Mit "White Lies", einem gemeinsamen Song mit Vice, heimste die Band eine goldene Schallplatte ein, der "Kaulitz Hills"-Podcast der Zwillinge zählt zu den erfolgreichsten deutschen Spotify-Produktionen, und gerade kam das neue Tokio-Hotel-Album "2001" heraus.

t-online hat Gitarrist Tom Kaulitz und Bassist Georg Listing in Berlin getroffen. Im Interview reden die beiden Musiker über mehr als 20 Jahre Freundschaft, die Zeit als Teenie-Herzensbrecher und über den Luxus der Privatsphäre.

Georg, bei Tokio Hotel standen zu Beginn der Karriere eher Tom und Bill in der ersten Reihe. Kam da Eifersucht auf?

Georg Listing: Nein, nie. Ich empfand das sogar als positiv. Gustav und ich hatten mehr Privatsphäre – zumindest im damals möglichen Rahmen. Es gab nie Ego-Gerangel zwischen uns, wer jetzt auf dem Cover vorne steht oder ob Bill ein Video allein dreht oder nicht. Wir anderen waren eher froh, mal frei zu haben.

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Die Band besteht seit 2001 – so auch der Titel Ihres neuen Albums – in genau dieser Viererkonstellation. Wie bewahren Sie die Chemie?

Tom Kaulitz: Das frage ich mich selbst oft. Wahrscheinlich, weil wir vier, seit wir Teenager waren, so viel zusammen durchgemacht haben. Ich verstehe uns in erster Linie als Familie. Viele fragen sich, wie das wohl war, als Bill und ich nach Amerika zogen und wir eine Pause eingelegt haben. Georg und Gustav mussten sich nie fragen, was aus der Band wird. Wir haben ein Grundvertrauen. Wir stellen uns nicht infrage.

Es gab also nie Momente, in denen einer überlegte, ob er mit dem Leben als Musiker aufhört?

Listing: Nein. Man muss allerdings dazusagen, dass wir alle die Schule nicht abgeschlossen haben.

Kaulitz: Wir hatten einfach keine andere Wahl als Tokio Hotel (lacht).

Als Band sind Sie zwar eine Einheit, führen aber doch sehr unterschiedliche Lebensstile.

Kaulitz: Total. Besonders Gustav ist ein privater Typ. Er lebt noch immer in unserer Heimatstadt Magdeburg, hat dort seine Familie und sein Haus. Er mag das Leben außerhalb des Rampenlichts. Er kann dort ein privates Leben führen und zum Bäcker gehen, ohne dass Leute ihn nerven.

Werden Sie beide beim Bäcker genervt?

Kaulitz: In L.A. geht es eigentlich, weil das eine ziemlich private Stadt ist.

Listing: Ich glaube, in Deutschland ist es für Bill und Tom nach wie vor schwer. Die Leute erkennen euch an der Nasenspitze. Besonders, wenn ihr zusammen unterwegs seid.

Kaulitz: Stimmt, aber seit wir und auch die Fans älter sind, werden wir zumindest nicht mehr verfolgt.

Listing: Du guckst auch ganz schön böse, wenn du aus dem Flugzeug steigst.

Kaulitz: Ich strahle schon aus, dass man mich privat nicht ansprechen sollte (lacht).

Georg, wie ist das bei Ihnen?

Listing: Ich wohne in Berlin. Es ist sehr selten, dass ich hier mal jemandem begegne, der gerne ein Foto oder ein TikTok-Video machen möchte.

Ist das gut, weil Sie Privatsphäre haben, oder schlecht, weil Sie nicht erkannt werden?

Listing: Für mich ist das super. Das ist Freiheit. Ich muss mir keine Gedanken machen, ob ich beobachtet werde. Ich kann einfach in einem ollen Pulli und in Schlabberhose mit meinem Hund durch den Wald laufen oder durch die Stadt bummeln.

Kaulitz: Wir wollten alle nie berühmt werden. Klar, Bill ist und lebt den klassischen Frontmann und ist viel unterwegs, aber wir hatten nie die Absicht, Stars zu werden. Auf einmal waren der Erfolg und die Aufmerksamkeit da. Als wir dann merkten, dass es mehr um uns als Personen als um unsere Musik ging, haben wir 2011 die Pause eingelegt.

Hand auf's Herz: Zumindest die Anfänge als Teenieschwarm haben Sie aber schon genossen, oder?

Listing: Das ist Toms Frage (lacht).

Kaulitz: Natürlich hat man das mal genossen.

Listing: Aber generell hat die Zeit gefehlt, irgendetwas zu reflektieren. Es folgte Termin auf Termin. Man war ständig unterwegs und das Leben durchgeplant.

Kaulitz: Wir waren meist total abgeschottet. Einfach in die Stadt gehen, konnten wir damals nicht. Es hätte sich auch keiner von uns dort hingestellt und gesagt: "Hier bin ich, schaut mich an!" Das hätten wir uns gar nicht getraut. Wir wurden viele Jahre lang von acht fest angestellten Bodyguards beschützt und das nicht nur wegen der Fans.

Wie würden Sie Ihre persönliche Entwicklung in den zurückliegenden 21 Jahren beschreiben?

Listing: Obwohl wir so weit auseinander wohnen, haben wir täglich Kontakt. Wenn wir uns sehen, sind wir wieder die Teenager von früher und lachen über die gleichen dummen Witze wie vor 15, 20 Jahren. Aber wir sind auch vernünftiger geworden. Tom beispielsweise ist Familienvater, hat geheiratet und kümmert sich um tausend Dinge neben der Musik.

Wie waren die Teenager, die Tokio Hotel gegründet haben, 2001 drauf?

Kaulitz: Unbeschwert, frei, sorglos.

Listing: Sorglos?!

Kaulitz: Vielleicht nehme ich das zurück. Ich habe Schule gehasst. Die Band war für uns die kreative Flucht aus dem grauen Alltag. Wir waren alle rebellisch, hatten wahnsinnige Schwierigkeiten mit Lehrern und viel Stress in der Schule.

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Sie alle vier waren Lehrerschrecks?

Kaulitz: Ich mit Sicherheit. Aber Georg war ein absoluter Streber.

Listing: Na ja, ich hatte auch Meinungsverschiedenheiten in der Schule und rebellierte. Die Lehrer hatten es bestimmt nicht immer leicht mit mir.

Kaulitz: Georgs einzige Rebellion war, dass er mit zwölf anfing, Zigarillos zu rauchen. Die versteckte er hinter seinen Kuscheltieren (lacht).

Listing: Die habe ich da doch nur für dich aufgehoben, weil zu Hause alle deine Verstecke aufgeflogen waren (lacht).

Erinnern Sie sich noch an die erste Probe?

Kaulitz: Mit Gustav haben wir das erste Mal in einem Proberaum gespielt, in dem die Toilette kaputt war. So viel weiß ich noch. Georg kam erst eine Woche später dazu. Mit ihm waren wir in unserem ersten richtigen Proberaum. Meine Mom hatte zu der Zeit eine Galerie und hinten war ein Hinterhof mit altem Schuppen, wo wir proben konnten.

Listing: Es war schon sehr Rock 'n' Roll.

Kaulitz: Ich frage mich bis heute, wie wir es damals dort ausgehalten haben. Es gab keine Fenster, keine Belüftung. Wir haben uns mehrmals pro Woche getroffen. Georg hat irgendwann angefangen, auch mal eine Probe ausfallen zu lassen.

Warum?

Kaulitz: Georg wollte auch Handballprofi werden. Band und Handballtraining haben sich oft überschnitten. Aber er hatte uns das vorher nie gesagt und kam dann einfach nicht … Dabei hatte Georg – und das ist bis heute so – die Probe von uns am nötigsten (lacht).

Listing: Das Besondere war, dass wir jung waren und einen Altersunterschied von zwei Jahren haben. Wenn man so jung ist, spielen diese zwei Jahre schon eine Rolle. Trotzdem waren wir sofort auf einer Wellenlänge. Das bedeutet entweder, dass ich total zurückgeblieben war oder die Jungs ihrer Zeit voraus …

Kaulitz: Treffen wir uns einfach in der Mitte (lacht).

Verwendete Quellen
  • Eigenes Interview mit Tokio Hotel
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