Trauer um Bestsellerautor Wolfgang Herrndorf ist mit 48 Jahren gestorben
Der Schriftsteller Wolfgang Herrndorf ist tot. Der Autor des Bestsellers "Tschick", der sich sensationelle 71 Wochen in den Top Ten der Bestsellerliste des "Spiegel" hielt, starb am Montag in seiner Heimatstadt Berlin, wie der Rowohlt Verlag in Reinbek bei Hamburg mitteilte. Er wurde nur 48 Jahre alt.
Wolfgang Herrndorf litt seit 2010 an einem bösartigen Gehirntumor und musste sich dreimal operieren lassen. Über seinen Kampf gegen die Krankheit gab er in dem Internetblog "Arbeit und Struktur" Auskunft.
Beging Herrndorf Selbstmord?
Über die genaue Todesursache herrschte zunächst Unklarheit. Nach den Worten seiner Kollegin und Weggefährtin Kathrin Passig, sei er nicht seinem Krebsleiden erlegen. "Er hat sich gestern in den späten Abendstunden am Ufer des Hohenzollernkanals erschossen", schrieb Passig am Dienstagnachmittag im Kurznachrichtendienst Twitter, was ihr zufolge in seinem Sinne geschah. Mittlerweile ist eine Bestätigung des Suizid per entsprechendem Eintrag in Herrndorfs Blog erfolgt.
Monatelang auf den Bestsellerlisten
2010 hatte der gebürtige Hamburger Herrndorf mit seinem Roman "Tschick" den Überraschungserfolg des Jahres gelandet. Das Buch stand monatelang auf den Bestsellerlisten, erhielt den Deutschen Jugendliteraturpreis 2011 und hat sich inzwischen mehr als eine Million mal verkauft. Die abenteuerliche Lada-Fahrt der beiden Freunde Maik und Andrej quer durch Ostdeutschland rührte viele Leser ans Herz. "Ein großartiges Buch, egal, ob man nun dreizehn, dreißig oder gefühlte dreihundert ist", befand die "Frankfurter Allgemeine Zeitung".
Nur wenige Monate vor dem Druck des Romans wurde bei Herrndorf ein bösartiger Gehirntumor diagnostiziert. Prognose: nicht heilbar. Seither gab er in seinem Blog "Arbeit und Struktur" (www.wolfgang-herrndorf.de) regelmäßig Auskunft über sein Leben. Am 8. März 2010, nach einer Einlieferung in die Psychiatrie begonnen, ist das Internet-Tagebuch ein ebenso erschütterndes wie bitter-komisches Dokument von Wut und Verzweiflung, Angst und Überlebenskampf.
Schreiben gegen den Tod
"Gib mir ein Jahr, Herrgott, an den ich nicht glaube, und ich werde fertig mit allem", schreibt er zu Beginn. Doch so soll es nicht kommen. Erst eine OP, dann eine zweite, eine dritte. "Der aktuelle Champion in meiner Gewichtsklasse hat es hier auf vier Hirn-OPs gebracht", notiert er einmal. Ein andermal heißt es: "Links jetzt, als ob jemand die Nervenstränge büschelweise aus den Buchsen zieht." Oder: "Ja, mach dich vom Acker, Körper, hau ab, nimm mit, was du tragen kannst."
Wider aller Erwartungen bringt er trotzdem auch seinen nächsten Roman "Sand" zu Ende, ein brillantes Vexierspiel um Gewalt und Verfolgung, Selbstsuche und Tod. Der ebenso rätselhafte wie großartige Agententhriller aus der afrikanischen Wüste trägt ihm 2012 den Leipziger Buchpreis, später zusätzlich eine Nominierung für den Deutschen Buchpreis ein. "Wenn man den Anspruch hat, die feinsinnigsten, innovativsten und genauesten Erzählungen zu benennen, dann muss Herrndorf dabei sein", begründete Jurychef Andreas Isenschmid damals den ungewöhnlichen Doppelschlag.
"Keine Anfragen, keine Interviews, keine Lesungen, keine Ausnahmen"
Seit seiner Krebsdiagnose lebte Herrndorf absolut zurückgezogen in Berlin. "Keine Anfragen, keine Interviews, keine Lesungen, keine Ausnahmen", schrieb er auf seiner Internetseite. Nur die Freunde, die Lebensgefährtin C. und die Arbeit gaben seinem Leben Struktur. Ein Roadmovie "Isa" wollte er noch fertigbekommen und eine Buchfassung seines Blogs.
Die letzten Einträge in seinem Blog zeugen erschütternd davon, wie der große Sprachkünstler immer mehr seine Worte verliert. "Ich bin nicht der Mann, der ich einmal war. Meine Freunde reden mit einem Zombie", schrieb er Anfang Juli. Und einige Tage später folgte ein Gedicht: "Niemand kommt an mich heran/bis an die Stunde meines Todes./Und auch dann wird niemand kommen./Nichts wird kommen, und es ist in meiner Hand." Der Autor schien zerissen, harderte schwer mit seinem Schicksal: "Jeden Abend der gleiche Kampf. Laß mich gehen, nein, laß mich gehen, nein. Laß mich", schrieb er wenige Wochen vor seinem Tod. Seinen letzten Beitrag verfasste er am 20. August dieses Jahres. Kathrin Passig verkündete ebenfalls via Twitter, dass der Blog schon bald als Buch erscheinen soll.
"Hat immer zum Leben ermuntert"
Der Berliner Theaterintendant Ulrich Khuon hat nach Herrndorfs Tod warme Worte für den Schriftsteller gefunden. "Ihn zu lesen, hat immer zum Leben ermuntert", sagte er und würdigte besonders das Können bei den Figuren: Herrndorf sei es gelungen, hinter einer negativen Fassade eine "zarte Seelenlandschaft" zu zeichnen. Sein Tod sei "unglaublich traurig". Kulturstaatsminister Bernd Neumann (CDU) nannte Herrndorf einen "großartigen Bestsellerautor, von dessen Sprachwitz, Intelligenz und Träumen man sich gern mitreißen ließ." Sein Tod sei für die Literaturlandschaft ein großer Verlust.