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Was Meinungen von Nachrichten unterscheidet.Du willst es doch auch Die Weste von Gareth Southgate

Ins WM-Finale hat es England nicht geschafft – dafür stieg ihr Trainer zur neuen Stilikone auf: Dank seiner dunkelblauen Weste, die man immer noch günstig erwerben kann.
Der vergangene Mittwochabend war ein trauriger für viele Engländer – irgendwann, es kann ein bisschen dauern, könnte es ein schwacher Trost für sie sein, dass sie dabei immerhin super aussahen. Der WM-Halbfinal-Spieltag gegen Kroatien war auf der Insel zum "Waistcoat Wednesday" ausgerufen worden. Fans der englischen Mannschaft sollten, wenn sie nicht gerade Jauchetaucher oder Frostkammerkontrolleure waren, eine Anzugweste zur Arbeit tragen – um damit Gareth Southgate zu ehren, den Trainer des Nationalteams, der dieses Outfit in den vergangenen WM-Wochen zu seinem Markenzeichen und zu einem kleinen Modehype gemacht hatte. Herrenausstatter bejubelten um ein Drittel gestiegene Westenverkäufe, seit die in der Vergangenheit ja gerne mal etwas unglücklich daherkickende englische Mannschaft, angeführt von Southgate, erfolgreich von Spiel zu Spiel zog. Derart beliebt war dieses Kleidungsstück zum letzten Mal im 17. Jahrhundert gewesen, nachdem König Karl I., der von 1625 bis 1649 über England, Schottland und Irland regierte, diesen Look populär gemacht hatte.
Warum sind aber alle zu vernarrt in Southgates navyfarbenes Anzugwams? Immerhin haben wir uns doch längst daran gewöhnt, dass Fußballtrainer keine ballonseidenen Stilschluris sind, die in Trainingsanzügen mit dem Vereinsemblem drauf an der Seitenlinie zetern. Man denke nur an Pep Guardiola, dessen Hosen mitunter so scharfkantig geschnitten waren, dass die Nähte auch schon mal effekthascherisch barsten. Eine Weste ist dennoch ein besonderer, eleganter Touch: Als männliche Form des Korsetts schmiegt sie den Körper darunter sanft, aber bestimmt in Form.
Southgates Hauptverdienst aber war es, seine klassische, schmucklose Weste nicht mit Geckendetails oder einer angestrengt angesagten Frisur krampfhaft zu hipsterisieren: Seine Weste ist eine Weste, fertig. Und noch dazu eine extrem volksnahe aus der WM-Kollektion von Marks & Spencer, die gerade einmal 65 Pfund kostet. Kein Vergleich etwa zu David Beckham, der letztens bei der royalen Hochzeit von Harry und Meghan auch eine Weste als Element seines dreiteiligen Anzugs trug – allerdings selbstverständlich geschneidert von Dior Homme, was auch dem glühendsten Fußballfan die stilistische Identifikation doch reichlich schwer macht.
Gareth Southgate dagegen ist ein echter Mann aus dem fußballerisch dauergebeutelten Volk. Als junger Trainer des FC Middlesbrough stand er noch in beuligen Trainingshosen und dickem Vereinsanorak am Spielfeldrand, bevor er sich nun Jahre später zur Weltmeisterschaft – dem Anlass angemessen – elegant transformierte. Seine Weste ist dabei ein interessantes Mittelding: Einerseits ist sie Teil eines Anzugs, also dem typischen Kleidungsstil privilegierter Leute – aber andererseits ist sie, solo getragen, auch die ikonische Klamotte der Kneipen-Klavierklimperer und Cowboys.
Kein Wunder, dass sich in England gleich zwei Museen darum batteln, wer die Weste nach dem Turnier in seine Sammlung aufnehmen darf: Das National Football Museum und das Museum of London zeigten sich beide höchst interessiert – ersteres forderte zweiteres bei Twitter sogar zu einem Elfmeterschießen um die Weste auf, um den Streitfall zu entscheiden. Allerdings schielten da alle noch euphorisiert auf die Chance, womöglich tatsächlich Weltmeister zu werden.
Nun spielt England am Samstag immerhin um Platz drei. Southgate ging übrigens nicht nur der WM-Titel durch die Lappen, sondern auch ein großzügiger Westendeal: Der Herrenausstatter Sir Plus hatte angeboten, den Trainer bis an sein Lebensende kostenlos mit Westen auszustatten, falls er es mit seinem Team bis ins Finale schaffte. Immerhin bleibt ihm nach dem absoluten Achtungserfolg, bis ins Halbfinale zu kommen, ein ähnliches Schicksal wie das seines Stilgenossen König Karl erspart: Er trug seine geliebte Weste der Überlieferung nach auch bei seiner Hinrichtung.
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