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Neujahrsspringen | Karl Geiger: Der Geerdete hat sein Lachen zurück


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Deutscher Skisprungstar Karl Geiger
Der Geerdete hat sein Lachen zurück

  • T-Online
Von Alexander Kohne, Garmisch-Partenkirchen

Aktualisiert am 01.01.2022Lesedauer: 5 Min.
Karl Geiger: Die größte deutsche Tournee-Hoffnung präsentierte sich in Garmisch-Partenkirchen bisher gut aufgelegt.Vergrößern des Bildes
Karl Geiger: Die größte deutsche Tournee-Hoffnung präsentierte sich in Garmisch-Partenkirchen bisher gut aufgelegt. (Quelle: Daniel Karmann/dpa)
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Nach dem Dämpfer zum Tournee-Auftakt wirkt Karl Geiger vor dem Neujahrsspringen in Garmisch wie ausgewechselt. Das ist geradezu sinnbildlich für einen mental höchst diffizilen Sport – und könnte für den DSV-Star genau zur richtigen Zeit kommen.

Während der Vierschanzentournee steht die Skisprungwelt Kopf. Für die Teilnehmer bedeutet das weltweit beachtete Event einen zehntätigen Ausnahmezustand. Dies ist in einer mental extrem anspruchsvollen Sportart wie Skispringen eine besondere Herausforderung – die naturgemäß ein Auf und Ab der Gefühle mit sich bringt.

Exemplarisch zeigt sich das an Karl Geiger. Der 28-Jährige aus Oberstdorf gilt als Deutschland Vorzeigespringer und trägt vor der 70. Vierschanzentournee eine Last, die größer kaum sein könnte: Er soll als erster Springer seit Sven Hannawald vor 20 Jahren – ja, Sie haben richtig gelesen, so lange ist das nun schon her – die traditionsreiche Skisprungkonkurrenz gewinnen.

Doch das ist nicht so einfach, wie es sich im ersten Moment anhört. Zwar ist Geiger Führender im Weltcup, stand dort zuvor in fünf von neun Springen auf dem Podium und galt gemeinsam mit dem Japaner Ryoyu Kobayashi als absoluter Topfavorit auf den Tourneetitel. Der bereits angesprochene Hannawald sagte sogar: "20 Jahre sollten eigentlich genug sein, dass endlich mal wieder ein Deutscher gewinnt" und spielte damit klar auf Geiger an. Doch beim ersten Springen seiner Heimat Oberstdorf landete der Allgäuer nur auf dem fünften Platz.

Der in Interviews meistens ruhig und besonnen auftretenden Geiger gab denn auch freimütig zu, dass die letzten Tage nicht spurlos an ihm vorbeigegangen sind. "Es war reichlich Druck auf dem Laden, das Spannungslevel sehr hoch – dann gehen eben irgendwann die Beine zu", sagte Geiger. Und das war ihm deutlich anzumerken. Während der Kumpel Markus Eisenbichler nach dem Springen in Oberstdorf als Siebter bestens aufgelegt keinem Mikrofon aus dem Weg ging, wirkte Geiger müde – als ob er dem Rummel am liebsten ganz schnell entfliehen und heim zu seiner Frau Franziska und der einjährigen Tochter Luisa gefahren wäre. Der Druck, der auf Geiger lastete, machte auch seiner Trainer Stefan Horngacher – ähnlich wie Geiger alles andere als ein Lautsprecher – Sorgen. Aber selbst Horngacher konstatierte, dass sein Vorzeigespringer schon "sehr unter Strom" gestanden habe.


Dabei gilt Geiger eigentlich als jemand, der besonders in derartigen Situationen cool bleibt und den besonders auch die mentale Stärke zu seinen Erfolgen verholfen hat. Und seine Arbeitseinstellung. Denn der Weltcup-Führende gilt als akribischer Arbeiter, der sich in den vergangen Jahren Stück für Stück verbessert hat. Vor gut drei Jahren träumte Geiger – damals noch ein unbeschriebenes Blatt im Skisprungzirkus – in einem t-online-Interview von seinem ersten Weltcupsieg in einem Einzelspringen und bezeichnete diesen als "der absolute Wahnsinn".

Nur wenige Wochen später, am 15. Dezember 2018, sollte dieser "Wahnsinn" in Engelberg dann Realität werden und seitdem sammelte Geiger zehn weitere Weltcupeinzelsieger. Dazu kommen zehn Titel bei Nordischen Skiweltmeisterschaften und der Sieg bei der Skiflug-Weltmeisterschaft 2020 in Planica. Man könnte also meinen, dass Geiger, der abgeschlossenes Ingenieursstudium in der Tasche hat, in der absoluten Spitzen seines Sports angekommen ist.

Die Sache mit dem Tourneesieg

Doch obwohl er bei der Wahl zum Sportler des Jahres 2021 den dritten Platz gemacht hat, ist Geiger in Deutschland von der Bekanntheit, mit der Hannawald oder Martin Schmitt um die Jahrtausendwende einen regelrechte Skisprungboom auslösten, weit entfernt.

Das liegt einerseits daran, dass der heimatverbundene Bayer, dessen Familie in Oberstdorf eine Holzfirma betreibt, in der als äußerst geerdete geltende Geiger auch selbst mal mit anpackt, wenig Interesse an übermäßiger medialer Aufmerksamkeit hat. Das liegt aber auch daran, dass ihm dieser eine große Titel fehlt: die Vierschanzentournee, die in Deutschland oft wichtiger als ein Olympiasieg gesehen wird.


Und die sogar den sonst eher zurückhaltenden Geiger vor dem der 2021/22er Auflage dazu veranlasste, in die Offensive zu gehen und den Tourneesieg explizit als Ziel anzupeilen – mit dem Zusatz "Ich werde angreifen." Das war durchaus untypisch für Geiger, der sich mit derartigen Aussagen sonst eher zurückhält. Doch nun sah der die Zeit dafür offenbar gekommen. "Wir waren oft genug nah dran, rein statistisch muss es irgendwann klappen", erklärte er außerdem – und meinte damit auch sich selbst. Denn nach Platz drei 2019/20 und dem zweiten Rang 20/21 wäre die logische Konsequenz nun wohl der Titel. Doch so einfach ist es gerade in einer teils hochkomplexen Einzelsportart wie Skispringen eben nicht – das bekam Geiger zum Tourneestart in Oberstdorf mal wieder vor Augen geführt.

Doch der kleinere Rückschlag dort scheint dem deutschen Vorzeigespringer augenscheinlich nicht schlecht bekommen zu haben – denn der Druck scheint ein bisschen von ihm abgefallen zu sein. ARD-Moderatorin Lea Wagner fragte sich in diesem Zusammenhang: "Ist der Favoritenrucksack etwas leichter geworden?"

Geiger scherzt an der Schanze

Diese Frage scheint man anhand der Eindrücke der vergangen Tage eindeutig mit "ja" beantworten zu können. Das merkte man Geiger unter anderem an Silverstetag in der Qualifikation zum Neujahrsspringen in Garmisch-Partenkirchen an, als er Dritter wurde. In einer Medienrunde, in der auch t-online dabei war, wirkte der 28-jährige Familienvater so gelöst wie lange nicht – und war sogar zu Scherzen aufgelegt.


Auf die Frage, ob er das Neujahrsspringen nicht gewinnen wolle, weil es ja die 100. Auflage der Traditionsveranstaltung, sei, sagte er nach einer kurzen Pause und einem gespielt beeindruckten Blick zur Schanze hoch, dass er es – naja – zumindest mal versuchen wolle. Danach verzog er das Gesicht nicht zum ersten Mal an diesem Tag zu einem Lachen, sodass selbst unter seiner großen schwarzen Maske und der markenten rosafarbenen Mütze deutlich auszumachen war. Geigers Sorgenfalten sind Lachfalten gewichen.

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Hannawald auch letzter deutscher Sieger in Garmisch

Und überhaupt: In der Gesamtwertung liegt er mit 295,9 Punkten nur gut sechs Zähler hinter Kobayashi, was auf der Schanze etwa drei Metern entspricht. Geiger konstatiert bei noch sechs ausstehenden Wertungssprüngen entsprechend: "Da ist noch alles drin."

Dazu muss er sich heute (ab 14 Uhr im Liveticker von t-online) im ersten Durchgang aber erst einmal gegen Außenseiter Roman Trofimow aus Russland durchsetzen. Und wer weiß: Vielleicht folgt er dem großen Hannawald dann zumindest schonmal in einer Sache nach – denn der war vor genau 20 Jahren auch der letzte Deutsche, der in Garmisch-Partenkirchen gewonnen hat.

Verwendete Quellen
  • Beobachtungen vor Ort an der Olympiaschanze in Garmisch-Partenkirchen
  • Medienrunde mit Karl Geiger
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