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Vierschanzentournee: Martin Schmitt – "Skispringen ist wie Elfmeterschießen"


Interview
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Martin Schmitt
"Es ist nicht mehr mit meiner Zeit zu vergleichen"

  • Melanie Muschong
InterviewVon Melanie Muschong

29.12.2020Lesedauer: 5 Min.
Martin Schmitt: Der frühere Weltcupsieger kurz vor dem Absprung bei der Vierschanzentournee im Jahr 2013 in Oberstdorf.Vergrößern des Bildes
Martin Schmitt: Der frühere Weltcupsieger kurz vor dem Absprung bei der Vierschanzentournee im Jahr 2013 in Oberstdorf. (Quelle: Sven Simon/imago-images-bilder)
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Am 28. Dezember startete die Vierschanzentournee erstmals ohne Zuschauer. Ex-Springer Martin Schmitt hat über die Rolle der Psyche bei solchen Turnieren und den Vergleich zum Fußball gesprochen.

Martin Schmitt ist einer der erfolgreichsten deutschen Skispringer aller Zeiten. Der frühere Weltklasse-Athlet hat zwei Mal den Gesamtweltcup gewonnen. Nun schaut er mit Spannung auf die Vierschanzentournee, auch wenn er längst nicht mehr selbst antritt.


Am Montag hat bereits die Qualifikation auf der ersten der vier Schanzen in Oberstdorf stattgefunden, am 29. Dezember geht es nun weiter. Mit dabei sind auch die deutschen Favoriten Markus Eisenbichler und Karl Geiger. Doch in diesem Jahr muss die 69. Tournee erstmals ohne Zuschauer stattfinden. Eine Situation, die für alle Springer neu ist.

Und an die sich auch Schmitt als Eurosport-Experte vor Ort gewöhnen muss. Im Interview mit t-online spricht der erfahrene Springer über die Tournee, die Herausforderungen seiner Sportart und erklärt, warum man Skispringen mit dem Elfmeterschießen im Fußball vergleichen kann.

t-online: Was ist für Sie die Vierschanzentournee ohne Fans?

Martin Schmitt (42): Es ist ein Notprogramm. Eine Veranstaltung wie die Vierschanzentournee lebt auch von der Begeisterung und der Atmosphäre vor Ort. Aber in diesem Jahr ist alles anders. Im Moment ist nicht daran zu denken, es mit Zuschauern durchzuführen. Ich freue mich, dass überhaupt Wettkämpfe stattfinden.

Ist es für Springer selbst ein großer Unterschied, ob Fans dabei sind oder nicht?

Inzwischen nicht mehr, glaube ich. Die ersten Springen waren sicherlich etwas komisch. Wenn man das erste Mal in Oberstdorf an der Schanze steht, dann merkt man schon, dass etwas anders ist als die Jahre zuvor. Allerdings ist man als Springer sehr auf seine Wettkampf-Performance fokussiert. Die Springer sind so konzentriert, dass sie wissen, es bringt nichts Energie für solche Gedanken zu verschwenden.

Haben Sie früher, als Sie oben auf der Schanze standen, vor dem Absprung überhaupt noch etwas wahrgenommen oder waren Sie schon im Tunnel?

Man bekommt die Zuschauer und die Begeisterung, wenn beides vorhanden ist, schon mit und kann das auch für sich nutzen. Aber auch das ist individuell verschieden. Man versucht natürlich diese positive Energie zu nutzen, aber man darf es auch nicht übertreiben. Das ist ein schmaler Grat im Skispringen. Übermotiviert sollte man nicht sein. Wenn man losfährt, hört man nichts mehr.

Als Sie zu Ihrer erfolgreichen Zeit gesprungen sind, konnten Sie Millionen Menschen begeistern. Aktuell feiern die Deutschen wieder Siege, doch die Aufmerksamkeit ist durch die Pandemie eine andere. Schadet das der Sportart langfristig?

Dieses Jahr ist sicher alles anders, doch ich denke, dass das Interesse der Zuschauer an den Fernsehgeräten nicht abgenommen hat, im Gegenteil. Wenn es dann irgendwann auch wieder Sportveranstaltungen mit Zuschauern vor Ort gibt und man diese sorglos besuchen kann, wird auch das Interesse am Skispringen groß bleiben.

Haben Springer, die sonst nervöser sind, einen Vorteil durch die aktuelle Situation?

Das werden wir nicht erfahren, weil die Springer es nicht verraten werden. Es gibt jedes Jahr einen Wechsel der Top-Springer. Es ist selten so, dass einer über Jahre hinweg dominiert. Es gibt immer wieder neue Gesichter, die dazu kommen und Sportler, die Schwierigkeiten haben, obwohl sie im Jahr zuvor noch zur absoluten Spitze gehört haben. Das lässt viel Interpretationsspielraum. Es gibt sicherlich Sportler, denen fehlt etwas ohne Zuschauer und sie nervt das insgeheim. Andere macht das eher nervös und sie können sich derzeit tatsächlich besser fokussieren.

Warum ist es so schwierig als Skispringer über die Jahre eine Konstanz reinzubringen?

Es spielen mehrere Faktoren eine Rolle. Man hat eine sehr lange Vorbereitungszeit für zwei Bewegungsabläufe. Man hat eine Stunde Zeit sich auf die Sprünge vorzubereiten. Dann kommt die eine Bewegung, das war es. Der Absprung, das entscheidende Element, dauert weniger als 300 Millisekunden, da entscheidet sich alles. Diesen kurzen Moment kann beziehungsweise sollte man nur begrenzt willentlich beeinflussen, das ist vor allem im Wettkampf eine enorme mentale Aufgabe.

Ganz anders als beispielsweise im Fußball.

Wenn im Fußball der erste Pass nicht hundertprozentig ankommt, dann gibt es noch einige mehr im ganzen Spiel. Man kann über den Kampf reinkommen. Bei uns ist es diese eine Bewegung, die entscheidend ist. Wenn man gewinnen will, muss man volles Risiko gehen. Der Bewegungsablauf ist auf den ersten Blick relativ einfach, aber um zu der Weltspitze zu gehören, muss er entsprechend höchstpräzise und gleichzeitig mit voller Energie ausgeführt werden. Skispringen ist wie Elfmeterschießen. Eine Möglichkeit, entweder es klappt oder es klappt nicht. Die letzten fünf Prozent kommen über Automatismen und Selbstvertrauen.


Wenn man kein hundertprozentiges Selbstvertrauen hat, ist es also schwierig in der Weltspitze mitzufliegen?

Das ist definitiv so. Die entscheidenden fünf Prozent laufen über den Kopf.

Erinnern Sie sich an eine Situation in Ihrer Karriere, in der Sie sich selbst überrascht haben?

Ich habe ein interessantes Beispiel von der Weltmeisterschaft 2001 in Lahti. Das Großschanzenspringen war der erste Wettbewerb. Er wurde erst gestartet und dann doch aufgrund eines Sturzes abgebrochen. Ich weiß noch, dass es sehr windig war. Ich war als Titelverteidiger beim Aufwärmen, habe auf die Schanze geschaut und gedacht, dass es schwer wird. Dann ist das Springen verschoben worden und ich habe mich gefreut, weil ich gemerkt hatte, dass ich nicht dazu bereit war. An dem neuen Termin war es ganz anders, obwohl kein Training dazwischen war. An den Voraussetzungen hatte sich nichts geändert, aber ich hatte einfach körperlich ein gutes Gefühl. Und so konnte ich in den Wettkampf reingehen und habe gewonnen. Ich wusste an dem Tag, dass ich brutal gut sein werde. Ob es reicht, weiß man nie, aber es hat gereicht damals.

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Teilen Sie Ihre Erfahrungen mit den heutigen Springern oder kommen diese auf Sie zu?

Wir reden miteinander, auch über die eigentliche Performance aber ich mische mich da nicht ein. Es ist nicht mehr mit meiner Zeit zu vergleichen, was momentan gefordert wird. Der Sport entwickelt sich weiter, das Reglement entwickelt sich weiter, das Material verändert sich. Es war auch zu meiner Zeit anders, als zehn Jahre zuvor auch, wenn sich ein paar Gesetzmäßigkeiten nicht ändern. Man muss tief in einem Sprung stecken, um ihn zu verstehen.

Trauen Sie den deutschen Springern in den nächsten Jahren einen Tourneesieg zu?

Ja. Die deutsche Mannschaft hat das Leistungsvermögen. Es ist eine Frage der Zeit, aber ich glaube, wenn es einer gewinnt, dann wird es für die nächsten Springer einfacher, es zu wiederholen. Das deutsche Team ist so gut, dass sich das auch in der Gesamtwertung der Vierschanzentournee niederschlagen muss.

Verwendete Quellen
  • Eigenes Interview mit Martin Schmitt
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